Rambo ist ihr Vorbild
Kindersoldaten gehören, trotz der Bemühungen der UN, in vielen Staaten Afrikas zum ganz normalen Erscheinungsbild. Von Christoph Link (Nairobi)
"Gib mir ein Geschenk!" Der 15-jährige Soldat hält sein Gewehr durch das geöffnete Wagenfenster - Straßenkontrolle im Osten Sierra Leones, irgendwo zwischen den Provinzstädten Bo und Kenema. Hier hat die traditionelle Kamajores-Truppe das Sagen, die eigentlich mit der Regierung gegen die RUF-Rebellen verbündet ist und dennoch macht, was sie will. Viele der Kamajores-Kämpfer sind unter 18 Jahren, in wildem Outfit machen sie Eindruck bei den Reisenden. Sie tragen Sonnenbrille, Piratenkopftuch, Patronengurte und manchmal baumelt an einer Kette eine Granate um den Hals. Rambo ist hier Vorbild. "Gib mir ein paar Dollar!" oder "Kauf mir einen Diamanten ab!" herrschen die Jugendlichen die Durchfahrenden an.
Wegen ihrer Willkür sind die "Kadogo" gefürchtet. Selbst Straßenkontrollen durch Achtjährige mit vorgehaltener AK 47 sind in Sierra Leone keine Ausnahme. Wie will man mit einem Achtjährigen verhandeln? Wegen seiner Kindersoldaten hat das westafrikanische Land traurige Berümtheit erlangt. Laut Amnesty International sind seit Beginn des Bürgerkrieges vor neun Jahren 5000 Kinder in Sierra Leone unter Waffen gezwungen worden, zwangsrekrutiert in den Dörfern oder in Schulen. Alle Kriegsparteien, die RUF-Rebellen, die Regierungsarmee, die West-Side-Boys und die Kamajores haben sich Kinder und Jugendlicher bedient.
Doch spricht man mit den Bürgern in der Provinz Bo, hört man, dass viele Jugendliche freiwillig zu den Soldaten gehen. "Dort verdienen sie leichter Geld als beim Reisanbau, unsere Felder liegen brach. Die meisten Jugendlichen sind bei der Armee, bei den Rebellen oder in den Diamantenminen", sagt ein Agraringenieur aus Bo. Nur noch Alte seien auf den Feldern zu finden. Durch den Diamantenhandel werden alle Kriegsparteien in Sierra Leone finanziert, zum Teil wird das Geld in Drogen investiert. Viele der Kindersoldaten werden zum Konsum von Rauschgift gezwungen. Nach dem Kokaingenuss seien Kinder "extrem brutal", berichtet Amnesty International.
Die Menschenrechtsorganisation zitiert in einem Bericht den 14-jährigen Kindersoldat Sayo (Name geändert), der in Makali vor zwei Jahren von der Miliz der West-Side-Boys entführt wurde. "Wenn ich in den Kampf zog, habe ich vorher viel geraucht. Dann hatte ich vor nichts mehr Angst. Wenn Du dich geweigert hast, Drogen zu nehmen, dann hieß das technische Sabotage und sie töteten dich dafür."
Kindersoldaten sind in Sierra Leone auch zu unvorstellbaren Grausamkeiten gezwungen worden, zum Abhacken von Armen oder Beinen. Im Juni diesen Jahres fand in Masiaka eine Übergabe von 215 früheren Kindersoldaten durch Regierungstruppen an Mitarbeiter von UNICEF und Caritas statt, die Altersspanne reichte von vier bis 18 Jahren. Manche kämpften, andere wurden als Spione eingesetzt, manche wurden zum Wasser holen oder zum Holz schlagen geschickt, berichtete ein Kommandeur. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte den 17-Jährigen Abdullahi Apoto, einen der Kindersoldaten, der als eine Art Ausbilder fungierte. Er habe die Kinder mit in den Busch genommen und mit ihnen die Initiationsriten vollzogen, berichtete Apoto. Er gab ihnen einen Talisman und einen Zaubertrank, so dass Kugeln ihnen nichts anhaben konnten. 50 Kinder seien im letzten Jahr gefallen, berichtete der Trainer, dies sei passiert, weil sie die Regeln der Initiation nicht befolgt hätten. Neben Sierra Leone werden in fast allen afrikanischen Ländern, in denen Bürgerkriege toben, Kinder als Soldaten rekrutiert. In Uganda stand die Regierungsarmee, die auch in Kongo Truppen hat, zeitweise unter Verdacht Straßenkinder aus Kampala auf Lastwagen zu laden und an die Front zu schicken. Nach UN-Angaben ist bewiesen, dass die ugandische Rebellentruppe "Lord Resistance Army" (LRA) im Norden des Landes Tausende von Kindern gekidnappt und nach Südsudan verschleppt hat. Dort wurden sie als Sex-Sklaven oder Soldaten missbraucht. Die LRA ist berüchtigt für ihre Grausamkeiten, wer zu fliehen versucht, so heißt es, dem werden die Ohren oder die Nase abgeschnitten. In den letzten zehn Jahren, so ein Bericht des Kinderhilfswerks UNICEF, sind im Norden Ugandas 10 000 Kinder von den Guerilleros auf dem Schulweg oder beim Spielen auf dem freien Feld entführt worden. 70 Prozent der Kinder seien zwischen zwölf und 15 Jahre alt gewesen.
Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen sind der UNICEF auch aus Angola, dem Süden Sudans und Guinea-Bissau bekannt. Die größte "Armee von Kindersoldaten" hat es aber offenbar in Kongo gegeben. Im Kampf von Laurent Kabila gegen den Diktator Mobutu waren zeitweise bis zu 30 000 Kindersoldaten auf beiden Seiten im Einsatz. Nach dem Fall des Diktators Sese-Seko Mobutu gingen die jungen Kämpfer zur Regierungsarmee oder in die Reihen der Rebellenarmeen über, die gegen Mobutu-Nachfolger Laurent Kabila kämpfen. Zur Zeit sind nach UN-Schätzungen in Kongo noch 8000 Kinder im Kriegseinsatz. In der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa wird das Problem inzwischen offen eingeräumt und diskutiert. Aber erst im Sommer vergangenen Jahres hat die Regierung offiziell die Rekrutierung von Kindern als Soldaten verboten, minderjährige Soldaten dürfen in der Armee bleiben, dürfen aber nicht mehr an die Front geschickt werden. Am Anfang des Jahres 1999 hatte die kongolesische Armee allerdings nochmals kräftig Minderjährige rekrutiert. Auch in Diskotheken sollen die Anwerber unterwegs gewesen sein. Für viele junge Kongolesen war die Armee immerhin eine lockende Versuchung. Dort gibt es einen Sold von 100 Dollar, Kost und Logis frei. Für die verarmten Kongolesen bedeutet das ein gutes Auskommen. Doch warum Kinder in den Krieg ziehen müssen, das ist vielen Kongolesen auch ein Rätsel. Letztes Jahr erschütterte die Geschichte eines 13-jährigen Kindersoldaten in Kinshasa die Öffentlichkeit: Der Junge hatte mit seinem Gewehr auf einem Fußballplatz im Streit einen Rot-Kreuz-Mitarbeiter erschossen. Der kleine Schütze wurde von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Präsident Kabila begnadigte den 13-Jährigen. Die Republik Kongo hat indes Demobilisierungscamps für Kindersoldaten eingerichtet, wobei sie mit der amerikanischen Organisation "Save the Children" zusammenarbeitet.
Viele ehemalige Kindersoldaten kehren traumatisiert und unternährt aus dem Krieg zurück. Bei Seuchen im Militärlager zählen die Kinder zu den ersten Opfern. "Wir versuchen, uns um die Kinder zu kümmern. Wir versuchen, sie zu detraumatisieren", sagt Caritas-Mitarbeiter Musa Bengura, der in einem Aufnahmelager bei Lungi in Sierra Leone arbeitet. Mental seien viele der Kindersoldaten noch "wie betäubt". Befragt man die "Kadogo" was sie sich für die Zukunft wünschen, kommt oft die Antwort: "Zur Schule gehen."
Aus: Frankfurter Rundschau, 02. Oktober 2000
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