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Kampagne verfing nach Wunsch

"taz" veröffentlicht Dokumente zur Öffentlichkeitsoffensive des Atomforums vor der Bundestagswahl

Von Haidy Damm *

Mit einer Werbekampagne hat das Deutsche Atomforum versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Jetzt wird die Rolle der Lobbyisten neu diskutiert.

Der Erfolg schien ihnen recht zu geben: Im Oktober 2009 legte die neu gewählte schwarz-gelbe Koalition die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke fest. Zuvor hatten die großen Energiekonzerne massiv versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Die Tageszeitung »taz« veröffentlichte am Wochenende interne Dokumente der Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors, die vom Atomforum beauftragt war, »bis zur Bundestagswahl eine Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herzustellen«.

Die Agentur wertet darin ihre drei Millionen Euro teure Kampagne aus: Neben Politikern waren die Medien herausragende Zielgruppe. Im Fazit heißt es: »Die meinungsführende Presse verzichtet auf eine klare Festlegung zum Thema« und »die teilweise anachronistische Haltung der Kernkraftgegner wird mehr und mehr zum Gegenstand der Berichterstattung«.

Ein Mittel war eine Pressereise mit »Key-Journalisten deutscher Meinungsführer-Medien«: Mit einem »Brückenschlag zum Vorzeigeland Schweiz«, das nüchtern über Atomkraft diskutiere, sollte gezeigt werden, dass die Deutschen mit ihrer Angst vor der Technologie recht alleine dastehen. Das Fazit der PR-Agentur: »Pragmatismus der Schweiz verfängt in Medienberichten«. Nur eine Zeitung hatte sich kritisch auseinandergesetzt, die anderen hatten in ihren Artikeln die bezahlte Reise noch nicht mal erwähnt.

Zudem hat die Agentur immer wieder Beilagen, Interviews und Meinungsartikel in verschiedenen Medien platziert. Dabei war selten erkenntlich, dass die Texte PR-gesteuert waren. So konnte der konservative Historiker Arnulf Baring den Dokumenten zufolge für einen Gastvortrag zum 50. Jubiläum des Atomforums sowie für einen ganzseitigen Gastbeitrag in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« gewonnen werden. In der Zeitung erschien weder ein Hinweis auf die Lobbyorganisation noch darauf, dass Baring dafür von der Atomlobby bezahlt wurde.

Nichtregierungsorganisationen fordern seit Langem mehr Transparenz im Lobby-Geschäft. Jetzt stehen besonders die beteiligten Medien in der Kritik. Der Geschäftsführer von LobbyControl, Ulrich Müller, forderte die Redaktionen auf, »Stellung zu beziehen«.

Doch nicht alle Maßnahmen waren erfolgreich. So hat ein Wissenschaftler der Humboldt-Universität Berlin nach eigenen Angaben eine Studie zum »Nutzen der Kernenergie in Deutschland« nicht fortgeführt, da er »kein Gefälligkeitsgutachten« schreiben wollte. Auch ein Stand beim Evangelischen Kirchentag wurde abgelehnt.

Das Atomforum bemüht sich derweil um Gelassenheit. Es sei »ein üblicher Vorgang, dass man über Öffentlichkeitsarbeit versucht, die Öffentlichkeit zu beeinflussen«, sagt Geschäftsführer Dieter Marx.

* Aus: neues deutschland, 1. November 2011


Dokumentiert: Informationen der taz zu den Geheimpapieren (Auszug)

Die Geheimpapiere der Atomlobby

Von Von Martin Kaul und Sebastian Heiser

In der Wochenendausgabe der taz (29. Okt.) berichten wir ausführlich über eine Kampagne, die die Düsseldorfer Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors (DAA) von Mai 2008 bis zur Bundestagswahl im September 2009 im Auftrag des Deutschen Atomforums durchgeführt hat. Im Atomforum sind die vier Betreiber der Kernkraftwerke in Deutschland – RWE, Vattenfall, Eon und EnBW – zusammengeschlossen. Als der Auftrag erteilt wurde, galt der von Rot-Grün durchgesetzte Atomkonsens, wonach die Laufzeit deutscher Kernkraftwerke endgültig begrenzt ist. Das Atomforum beauftragte die Agentur DAA zu einer Kampagne mit dem Slogan “Energieverantwortung für Deutschland”. Das Ziel laut den Unterlagen: “Bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen.” Bei dieser Wahl erhielt Schwarz-Gelb eine parlamentarische Mehrheit. Vor genau einem Jahr, am 28. Oktober 2010, beschloss der Bundestag die Laufzeitverlängerung.

Ergänzend zu unserer Berichterstattung veröffentlichen wir an dieser Stelle die oben verlinkten Dokumente.



Es handelt sich dabei um interne Firmenunterlagen der Agentur DAA. Sie geben detailliert Aufschluss über die Pläne und Instrumente der Kampagne. Sie dokumentieren aber auch, welche Maßnahmen nicht gewirkt oder durchgesetzt wurden. Die Agentur skizziert darin gegenüber ihrem Kunden, dem Atomforum, die Strategie der Kampagne und aller einzelnen Maßnahmen. Nichts davon ist verboten, einiges ist anrüchig. Das meiste ist profane, handwerklich gut umgesetzte Öffentlichkeitsarbeit. Aber zusammengenommen zeigen die Dokumente auf deutliche Weise, wie Konzerne in Deutschland vorgehen, wenn sie Einfluss auf Medien, Politik und Öffentlichkeit nehmen.

In der ersten Präsentation vom Dezember 2008 beschreibt die Agentur die seit Mai umgesetzten Maßnahmen und gibt einen Ausblick auf das folgende Jahr. Wer sich die aufschlussreichen Dokumente besieht, findet etwa auf Seite 19 einen ersten Hinweis auf den Zweck einer Studie, die bei dem Berliner Professor Joachim Schwalbach in Auftrag gegeben werden sollte, und über die wir ebenfalls detailliert im Wochenendmagazin der taz berichten. Hinweise auf die Ansprache von Journalisten geben etwa die Seiten 24 oder 29. Doch auch zahlreiche andere Details sind interessant.

Das zweite Papier stammt vom Herbst 2009, also vom Ende der Kampagne. In diesem Papier wird Bilanz gezogen. Hierin wird dargestellt, welche Maßnahmen der Kampagne erfolgreich verliefen und welche Maßnahmen scheiterten oder nicht durchgeführt wurden. Aufschlussreich ist etwa die Seite 5, die Auswertung der Pressekontakte. Auf Seite 11 werden “Sondierungsgespräche” mit einer Reihe von Politikern aufgeführt. Und auf Seite 22 steht, dass es gelang, in der BILD-Zeitung wohlwollende Berichterstattung zu platzieren. Auch die Bilanz auf Seite 23 ist interessant: Im Rahmen unserer Recherchen überprüften wir, ob es stimmt, dass die Düsseldorfer Agentur den bekannten Zeithistoriker Arnulf Baring bei einer Atomveranstaltung als unparteiischen Gastredner in Szene setzte, dann seinen Beitrag in der FAZ platzierte. Es war mehr noch: Baring ließ sich von der Agentur DAA auch inhaltlich zuarbeiten; und bezahlen. (...)

Quelle: Rechercheblog der taz, 28. Oktober 2011; http://blogs.taz.de


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