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Steuergelder für AKW-Lobbyisten

Vom Bund geförderte Einrichtungen zahlen Mitgliedsbeiträge ans Deutsche Atomforum

Von Reimar Paul *

Zahlreiche Forschungseinrichtungen, die vom Bund finanziert werden, zahlen Mitgliedsbeiträge an Lobbyverbände der Atomwirtschaft. Das ergab eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen an die Regierung.

»Der Atomfilz, es gibt ihn noch.« So kommentierte die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, gegenüber dem ND die Antwort der Regierung auf eine Anfrage ihrer Fraktion. Demnach zahlen mehrere Forschungsinstitute und Einrichtungen, die vom Bund finanziert werden oder ihm ganz gehören, Mitgliedsbeiträge an Lobbyverbände der Atomwirtschaft. So gehören unter anderem das Forschungszentrum Jülich, das Karlsruher Institut für Technologie und mehrere Helmholtz-Zentren der »Kerntechnischen Gesellschaft« (KTG) an.

Noch länger ist die Liste bundeseigener und staatlich geförderter Mitglieder beim Deutschen Atomforum. Die zweite große Lobbyorganisation der Atomindustrie ist unter anderem als Veranstalter der Jahrestagung Kerntechnik bekannt. Hier werden auch das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und die Deutsche Bahn als Beitragszahler geführt.

Das Helmholtz-Zentrum München, bis 2008 als Betreiber verantwortlich für die Schlampereien und Pannen im niedersächsischen Atommülllager Asse, ist seit 1964 Mitglied im Atomforum, seit 1983 in der KTG und hat an beide Verbände seit 2002 Beiträge in Höhe von rund 3000 Euro überwiesen. Das zu 100 Prozent von Bund und Land geförderte Helmholtz Zentrum Berlin zahlte seit 1971 mehr als 50 000 Euro an Beiträgen.

Die Bahn gehört dem Atomforum bereits seit 1963 an und hat mehr als 75 000 Euro für die Mitgliedschaft gezahlt. Ohnehin ist das »Unternehmen Zukunft« tief im Atomfilz verwoben. Im Bahnstrommix hat Atomkraft einen Anteil von rund 25 Prozent. Bahnchef Rüdiger Grube gehörte im August 2010 zu den 40 Erstunterzeichnern des in großen Tageszeitungen veröffentlichten »Energiepolitischen Appells« an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Damit setzte er sich persönlich für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken ein.

Die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) ist außer im Atomforum und der KTG auch Mitglied im »Wirtschaftsverband Kernbrennstoff-Kreislauf«. In dem 1976 gegründeten Verband sind rund 90 Prozent aller in der Atombranche tätigen Unternehmen organisiert. Die DBE überweist an die drei Vereinigungen jährlich insgesamt mehr als 20 000 Euro an Mitgliedsbeiträgen.

Die DBE war ursprünglich ein reiner Staatsbetrieb, in den 1980er Jahren wurde sie privatisiert. Hauptanteilseigner ist mit 75 Prozent die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), einer Tochter der großen Stromkonzerne, die Castortransporte nach Gorleben und Ahaus abwickelt und dort atomare Zwischenlager betreibt.

In Gorleben führt die DBE auch den Betrieb des Erkundungsbergwerks. In Salzgitter rüstet sie im Auftrag des Bundes die frühere Eisenerzgrube Konrad zum Endlager für schwach und mittelradioaktiven Atommüll um und mischt auch bei der Stilllegung des ehemaligen DDR-Endlagers Morsleben in Sachsen-Anhalt mit.

Grünen-Sprecherin Kotting-Uhl ist empört. »Der Bund ist bei der Endlagerung durch Knebelverträge an die DBE gebunden«, sagte sie. »Und die steckt ihre vertraglich garantierten Gewinne in einen teuren Lobbyverband, der den Atomausstieg hintertreibt.«

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


Bundestags-Analyse: Atomausstieg ist nicht unumkehrbar **

Ist der am Donnerstag (30. Juni) im Bundestag zur Abstimmung stehende Atomausstieg unumkehrbar? Eine Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die die Linksfraktion in Auftrag gegeben hat, kommt nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung (Donnerstag-Ausgabe) zu einem anderen Schluss. Demnach sei es jedem neu gewählte Bundestag in Zukunft möglich, die Gesetze zur Energiewende wieder zu kippen, schätzen die Juristen des wissenschaftlichen Dienstes ein. Eine stärker bindende Regelung sei nur möglich, indem die »Abkehr von der friedlichen Nutzung der Atomenergie in das Grundgesetz« aufgenommen werden würde. Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat erforderlich. Die Parlamentsjuristen stellen in ihrer Analyse der vorliegenden Gesetzentwürfe aller Parteien allerdings auch klar, dass niemand nachträgliche Einwirkungsmöglichkeiten auf die veränderten Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke vorsehe.

Linkspartei-Chef Klaus Ernst warnte gegenüber der Leipziger Volkszeitung davor, dass der Atomausstieg nicht »wasserdicht« sei. Er forderte die Parteien auf, den Konsens zum Atomausstieg zu nutzen und »in der Verfassung eine Barriere gegen den Ausstieg aus dem Ausstieg« zu errichten.

** Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


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