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Exklusive Runde

Kanzlerin Merkel hat zum Energiegipfel eingeladen. Interessenvertreter der Erneuerbaren waren nicht dabei. Greenpeace-Studie: Konventioneller Strom ist teurer

Von Wolfgang Pomrehn *

Das Trommelfeuer gegen den Ausbau der erneuerbaren Energieträger geht weiter. Für Dienstag nachmittag hatte die Bundeskanzlerin die Spitzen von Industrie und Handwerk sowie einiger Gewerkschaften zum Energiegipfel geladen, nicht jedoch die Interessenverbände der neuen Energie. Die hätten vermutlich nur gestört, denn vor dem Treffen haben verschiedene Industrieverbände keinen Zweifel daran gelassen, worum es geht: Der ungeliebten Konkurrenz der großen Stromkonzerne, die diesen langsam gefährlich zu werden droht, soll die Schuld an den steigenden Strompreisen in die Schuhe geschoben werden. Ergebnisse des Gipfels lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor. Gestern meldete sich zu allem Überfluß auch noch die von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen gesponserte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zu Wort, sonst eher wegen ihrer Propaganda für noch härtere Verelendungspolitik bekannt. Sie forderte die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Ersetzt werden soll es durch ein Quotensystem für sauberen Strom, ein Maßnahme, die sich schon in anderen Ländern als Bremser des Ausbaus bestens bewährt hat.

Die Umweltorganisation Greenpeace und der Bundesverband Windenergie (BWE) haben sich in dieser Situation gedacht, man müsse doch einmal genauer nachschauen, wie teuer eigentlich Kohle- und Atomstrom sind. Denn im Gegensatz zu den Kosten von aus Wind und Sonne gewonnenem Strom, die vollständig mit der Stromrechnung beglichen werden, streichen konventionellen Kraftwerke allerlei offene und verdeckte Subventionen ein, die nicht auf der Abrechnung erscheinen. Statt dessen werden sie letztlich über die Steuern oder anderweitig von der Gesellschaft getragen. Hinzu kommen die Ewigkeitskosten des Bergbaus an Rhein und Ruhr, Milliardenbeträge für Atommülltransporte und -endlager sowie die Folgekosten der Schwermetall- und anderen Schadstoffemissionen, die immer noch von den Kohlekraftwerken ausgestoßen werden. Nicht zu vergessen sind darüber hinaus die Landschaftsvernichtung durch Braunkohletagebaue und die gewaltigen Zerstörungen, die der Klimawandel als Folge der Kraftwerksemissionen in den kommenden Jahrzehnten anrichten wird.

Alles zusammengerechnet sind diese Zusatzkosten der konventionellen Kraftwerke nach Angaben der BWE-Greenpeace-Studie höher als die der erneuerbaren Energieträger. 2012 werden die sogenannten Differenzkosten zwischen den Vergütungen für sauberen Strom und dem Börsenpreis, die über die EEG-Umlage von derzeit 3,59 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) finanziert werden, vermutlich 13 Milliarden Euro betragen. Währenddessen belaufen sich die Zusatzkosten der konventionellen Energien nach Berechnungen der Autoren auf rund 40 Milliarden Euro. Würden diese nicht über Steuern, sondern ebenfalls über den Strompreis finanziert, so läge dieser um noch einmal 10,2 ct/kWh höher. Interessant auch der direkte Vergleich zwischen den Energieträgern. Eine Kilowattstunde Windstrom kostete die Gesellschaft 8,1 Cent, die gleiche Menge Wasserstrom 7,6 Cent. Bei der Stein- und Braunkohle sind es hingegen 14 und 15,6 Cent. Wie es der Zufall will, ist der am wenigsten umweltschädliche konventionelle Strom am billigsten. Bei Erdgas fallen nur Kosten von neun ct/kWh an und zugleich paßt es wegen seiner hohen Flexibilität am besten zu Wind- und Sonnenkraft. Atomstrom kostet je nach dem, wie hoch die externen Kosten angesetzt werden, 16,4 bis 42,2 ct/kWh und Sonnenstrom 36,7 ct/kWh. Wobei letzterer in den nächsten Jahren im Durchschnitt deutlich billiger wird, weil die Vergütung für Strom aus Neuanlagen inzwischen schon unter 20 ct/kWh liegt und weiter fallen wird. Ab Anfang der 2020er läuft zudem die Förderung für die besonders teuren Altanalgen schrittweise aus.

Unterdessen hat Hubert Weiger, der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), gefordert, die Lasten der »Ener¬giewende« fairer zu verteilen. Beim Energiegipfel im Bundeskanzleramt müsse vor allem darüber verhandelt werden, wie alle Vorteilsnehmer der Energiewende stärker zu deren Finanzierung beitragen könnten. »Es darf nicht so weitergehen, daß die Haushalte die Hauptlast schultern und sich zugleich große Teile der Industrie aus der Verantwortung stehlen.« Derzeit zahlten zum Beispiel über 700 Unternehmen der Chemie-, Stahl- und Aluminiumindustrie nur sehr geringe Beiträge zur Förderung der erneuerbaren Energien. Die Entlastung dieser Unternehmen belaufe sich allein für das Jahr 2012 auf insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro. »Während die stromintensive Industrie bei der Finanzierung der Energiewende die Biege macht, steigen die Kosten für den Umbau der Energieversorgung bei privaten Haushalten und kleineren Unternehmen. Diese Ungerechtigkeiten müssen endlich beseitigt werden«, meinte Weiger. Außerdem müsse der Energieeinsatz effizienter werden. »Leider scheint die Bundesregierung ihre eigenen Stromsparziele nicht wirklich ernst zu nehmen. Ener-giesparprogramme gehören zu den effektivsten Investitionen. Zugleich schaffen sie viele neue Arbeitsplätze.«

Die Kovorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat sich derweil Gedanken gemacht, wie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden könnten: Weniger begüterte Haushalte werden entlastet und Stromverschwendung bestraft, wenn das Tarifsystem umgemodelt würde. Ihre Partei fordere, daß jeder Bürger 1000 Kilowattstunden umsonst bekommt. Stromverbrauch, der darüber hinausgeht, müsse entsprechend drastisch verteuert werden. 1000 Kilowattstunden entspricht derzeit in etwa dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch in deutschen Privathaushalten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. August 2012


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