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Zurück ins Nuklearzeitalter

EU-Kommission will die Subventionierung des Baus neuer Atomkraftwerke erleichtern

Von Robert D. Meyer *

Brüssel sagt Ja zur Atomkraft. Die EU-Kommission plant offenbar, Kraftwerksbetreibern den Zugang zu direkten Subventionen zu ermöglichen. Umweltschützer sind über den Vorschlag schockiert. Dass der Vorstoß jetzt kommt, ist kein Zufall. Viele Nuklearprojekte stecken in der Krise.

Vorzeichen gab es immer wieder, doch nun scheint Brüssel Fakten schaffen zu wollen. Die EU-Kommission plant offenbar eine Rückkehr zur Atomkraft, wie aus einem Bericht der »Süddeutsche Zeitung« hervorgeht. Anlass für die Befürchtungen sei der Entwurf der neuen EU-Beihilferichtlinie des Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Laut Zeitungsbericht werde der Ausbau der Nuklearenergie in dem Entwurf als ein Ziel der Europäischen Union bezeichnet. Um dieses zu erreichen, könnten die Betreiber bei der »Errichtung und den Betrieb eines Atomkraftwerks« auf Subventionen angewiesen sein.

Investoren benötigten Rechtssicherheit über den Bezug staatlicher Beihilfen, weshalb sich Wettbewerbskommissar Almunia für die Verabschiedung ein klaren Regelwerkes einsetzt, dass die Voraussetzungen eindeutig regelt. Dazu gehört etwa die Frage, ob ein Kraftwerksbetreiber den Bau eines neuen Atommeilers nicht allein aus privaten Mitteln finanzieren kann und ob ein Zubau neuer Kernenergie für die Energieversorgung des jeweiligen Landes gebraucht wird. Ein Sprecher Almunias erklärte gestern, die EU-Kommission »möchte in keiner Form zu Subventionen für Kernkraft ermuntern«. Ein klares Dementi klingt anders.

Obwohl das Thema eindeutig auch in den Zuständigkeitsbereich von EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) fällt, hat sich dieser bisher nicht zum Vorschlag geäußert. Großen Widerstand darf man vom früheren Ministerpräsidenten Baden-Württembergs allerdings nicht erwarten. Vor der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 galt Oettinger als klarer Befürworter der Atomkraft, stellte diese Position in Anbetracht der Situation dann aber eine Zeit lang zurück. Spätestens seit Ende 2012 ist er jedoch wieder der Alte.

Oettinger erklärte vor einem halben Jahr in einem Interview, er halte neue Atomkraftwerke auch in Deutschland für möglich. Viele Optionen zur Intervention bleiben nicht. Da es sich um Wettbewerbsregeln handelt, besitzt kein EU-Mitglied ein Vetorecht. Einzig die EU-Kommission entscheidet und dort sollte die Mehrheit der atombefürwortenden Staaten groß sein. Der Vorschlag von EU-Kommissar Almunia dürfte einigen Ländern ohnehin recht kommen, kämpfen viele Atomprojekte derzeit mit explodierenden Kosten. So wurde Ende Juni bekannt, dass sich der Preis für den Bau des Atomreaktors im finnischen Olkiluoto noch einmal erhöht und aus den ursprünglich veranschlagten drei inzwischen 8,5 Milliarden Euro an Baukosten geworden sind.

Nicht anders sieht es in Großbritannien aus. Im Frühjahr zog sich der britische Energiekonzern Centrica aus einem Bauprojekt mit zwei Reaktoren am Atomkraftwerk Hinkley Point zurück. Als Grund wurden auch hier die zu hohen Kosten genannt. Da die Finanzierung schon längere Zeit ein Problem ist, setzte sich die britische Regierung bei der EU verstärkt für Subventionen der Atomkraft ein. Genau diese würden mit der Beihilferichtlinie möglich.

Umweltverbände und Parteien kritisieren den Entwurf aus Brüssel. »Anachronistisch und absurd« nannte Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe den Versuch, einer Branche »mit Staatsgeldern neues Leben einzuhauchen«. Als »Ergänzung der Energiewende« würden Atomkraft nicht taugen, sagte Rosenkranz.

Der Bund Für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte, »für die Hochrisikotechnologie Atomkraft dürfe es auf keinen Fall neue Subventionen geben«. Ähnlich äußerten sich Grünen. »Marode Atomkonzerne sollen mit hohen und langjährigen Staatsbeihilfen flott gemacht werden«, kritisierte deren Fraktionsvorsitzende im Europaparlament Rebecca Harms. In der Kommission will man trotzdem zurück ins Nukelarzeitalter.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 20. Juli 2013


Nukleares Rollback

Von Robert D. Meyer **

Brüssels Pläne zur direkten Subventionierung der Atomkraft dürfen die Gegner der gefährlichen Technologie eigentlich nicht wundern. Nach dem deutschen Nein zur Kernenergie nach der Katastrophe von Fukushima war es naiv zu glauben, andere europäische Staaten würden in Anbetracht der Nachrichten aus Japan in einem Anflug von Automatismus laut »No!«, »Non!« und »Ei!« rufen und das Atomzeitalter zumindest in Europa auf einen Schlag für beendet erklären.

Eine Mehrheit der EU-Staaten glaubt seit jeher fest an die vermeintliche Zukunftstechnologie und energiegebende Kraft des Atoms. Seit teilweise Jahrzehnten wird an neuen Meilern geplant und gebaut, wobei sich viele Betreiber an den Kosten verkalkuliert haben. Wenn schon all die ökologischen Argumente bei den Befürwortern der Kernenergie nicht wirken, dann doch hoffentlich ein knallhart ökonomisches: Wie viel kann eine Technik zur Stromerzeugung tatsächlich taugen, deren kommerzielle Inbetriebnahme inzwischen mehr als 65 Jahre zurückliegt und deren künftige Nutzung sich für die Betreiber allein nur rentiert, weil der Staat das Milliardengrab teuer durch Subventionen päppelt?

Indirekte Staatsgelder kassierte die Branche ohnehin bereits seit Jahrzehnten. Allein in Deutschland waren dies rund 80 Milliarden Euro, darunter Mittel für Forschung und Steuererleichterungen. Viel Geld für eine Energiegewinnung, deren Rohstoff endlich ist und deren Gefahren für Mensch und Natur in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 20. Juli 2013 (Kommentar)


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