Lichter bleiben auch ohne AKW an
Universität Flensburg und Deutsche Umwelthilfe legen Gutachten vor
Von Haidy Damm *
Für einen Atomausstieg in Deutschland bis zum Jahresende 2014 ist kein Netzausbau erforderlich. Zu diesem Ergebnis kommt das Gutachten »Atomausstieg und regionale Versorgungssicherheit« der Universität Flensburg, das am Mittwoch (27. April) in Berlin vorgestellt wurde.
Die Szenarien der vergangenen Wochen zum schnelleren Atomausstieg sind vielfältig: In Süddeutschland gehen die Lichter aus, die Strompreise steigen und Deutschland muss Atomstrom importieren. All diese Argumente für eine Laufzeitverlängerung hat der Wirtschaftswissenschaftler Olav Hohmeyer, der auch Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) ist, unter die Lupe genommen.
Sein Fazit: Zwar sei der Netzausbau »absolut notwendig, um den Übergang in das regenerative Zeitalter bis 2050 oder sogar bis 2030 zu schaffen, aber unwesentlich für einen schnellen Atomausstieg«. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müssten lediglich die genehmigten und schon im Bau befindlichen Gas- und Kohlekraftwerke fertiggestellt werden.
Das gelte auch für die regionale Versorgung. Gerade die süddeutschen Länder haben bisher stark auf Atomkraftwerke gesetzt. Bei einem Ausstieg bis 2015 sei es aber möglich, alle Regionen ausreichend mit Strom zu versorgen. Denn zwischen den Regionen sei es weder erforderlich noch effizient, dass sich jede von ihnen zu jedem Zeitpunkt zu 100 Prozent selber versorge. Wichtig sei ein Ausgleich zwischen den Regionen und der sei mit den bisherigen Netzkapazitäten machbar. »Nirgendwo in Deutschland wird das Licht ausgehen«, schlussfolgert Hohmeyer.
Kohle und Gas sind in diesem Szenario nur noch Brückentechnologien. Zwar würde der CO2-Ausstoß zunächst für wenige Jahre leicht ansteigen, aber dann »im neuen energiepolitischen Rahmen wegen des beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energiekapazitäten steiler absinken«, so Hohmeyer. Hierfür sei allerdings ein »erheblicher Ausbau« der Hochspannungsnetze zwischen Nord- und Süddeutschland sowie der Speicherkapazitäten notwendig.
Untersucht hat Hohmeyer auch die Entwicklung der Strompreise. Der Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft widersprach anhand realer Börsendaten der Behauptung, die Strompreise seien nach der Abschaltung der AKW in die Höhe geschnellt. Derlei Zahlen hätten sich auf Spekulationen bezogen, nicht auf reale Preise. Auch der zeitweise Import von (Atom-)Strom aus Tschechien und Frankreich sei nicht »auf Strommangel zurückzuführen, sondern auf vorübergehend günstigere Stromhandelspreise in diesen Ländern«.
Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Atomausstieg hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) untersucht. DUH-Geschäftsführer Rainer Baake hält diesen für möglich, ohne dass die im Grundgesetz geschützten Eigentumsrechte der Kraftwerksbetreiber verletzt würden. Spätestens nach 27 Jahren hätten sich die Investitionen in die Anlagen nicht nur amortisiert, sondern »einen angemessenen Gewinn« abgeworfen, so Baake. Die DUH schlägt daher »eine Regelung auf der Grundlage von Kalenderjahren statt Reststrommengen« vor. Demnach würde als letztes AKW der Reaktor Neckarwestheim 2 am 15. April 2017 vom Netz gehen. Konsequenz wäre auch, dass keines der durch das Moratorium abgeschalteten AKW wieder ans Netz gehen würde. Rechtssicher und technisch sowie volkswirtschaftlich möglich sei »die Zeit reif für einen klaren Schnitt«, fordert Baake.
* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2011
Dokumentiert: Zwei Auszüge aus dem Gutachten:
Ergebnisse der Untersuchung
Ein Ausstieg aus der Kernenergie bis Ende 2014 muss von einem entschiedenen weiteren
Ausbau der Nutzung regenerativer Energiequellen begleitet werden, um auch das
Klimaproblem zu lösen. Die Möglichkeiten für einen entsprechenden Ausbau der
regenerativen Stromerzeugung in Deutschland ist zum Beispiel vom Sachverständigenrat für
Umweltfragen in seinem Gutachten vom Januar 2011 für eine 100% regenerative
Stromversorgung bis 2050 sehr detailliert untersucht worden (vgl. SRU 2011).
Eine 100% regenerative Stromversorgung ist in Deutschland bei forciertem Netzausbau und
entsprechendem Ausbau von Speicherkapazitäten oder der Anbindung der bereits
bestehenden sehr großen Speichermöglichkeiten in Norwegen bereits bis zum Jahr 2030
möglich.
Die in Deutschland installierte und im Bau befindliche Kapazität der konventionellen
Kraftwerke reicht aus, um die Stromversorgung bereits ab 2015 auch ohne Kernkraftwerke
zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen.
Dies gilt auch bei regionaler Betrachtung: Selbst zur Zeit der absoluten Jahreshöchstlast sind
bereits im Jahr 2015 ohne Kernkraftwerke in allen Regionen Deutschlands ausreichende
Erzeugungs- und Netzkapazitäten vorhanden, um die Versorgung jedes Verbrauchers in
jeder Stunde des Jahres sicherzustellen.
Auch in der Stunde der höchsten Last stehen zusätzlich mindestens 15.000 MW Kraftwerksleistung für Systemdienstleistungen, ungeplante Kraftwerksausfälle und
Kraftwerksrevisionen (Wartungsarbeiten) zur Verfügung.
Deutschlands Stromnetz ist nicht abgeschottet, sondern Drehscheibe des europäischen
Strommarktes. Bisher war Deutschland Netto-Exporteur. Aufgrund der Preisverhältnisse an
den europäischen Strommärkten wird in Zeiten hoher Nachfrage und geringer Solar- und
Windstromerzeugung Strom nach Deutschland importiert. In Zeiten hoher Wind- und
Solarstromeinspeisung wird Deutschland auch zukünftig trotz der Abschaltung aller
Kernkraftwerke als Exporteur am europäischen Strommarkt auftreten.
Die Einbindung in den europäischen Strommarkt bedeutet zusätzliche Sicherheit für die
Stromversorgung Deutschlands.
Die Strompreisentwicklung im ersten Quartal 2011 zeigt, entgegen dem in der Öffentlichkeit
vermittelten Eindruck, keinen gravierenden Preiseinfluss der Abschaltung von 6 deutschen
Atomkraftwerken nach dem 15. März, sondern eine gleichbleibende Tendenz.
Die Importe von Strom aus Tschechien haben sich in der gleichen Zeit nicht signifikant durch
die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke erhöht. Sie folgen vielmehr anderen
Einflussfaktoren.
Einem frühzeitigen Ende der Kernenergienutzung in Deutschland bereits zum Ende des
Jahres 2014 stehen keine gravierenden technischen oder volkswirtschaftlichen Gründe
entgegen.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend kann festgestellt werden:-
Ein Abschalten aller deutschen Kernkraftwerke kann bis Ende 2014 erfolgen, ohne
dass in einer einzigen Region Deutschlands mit Versorgungsengpässen gerechnet
werden müsste.
- Der kurzfristige Ersatz der deutschen Kernkraftwerke kann ohne den zusätzlichen
Neubau von fossilen Kraftwerken sichergestellt werden. Es müssen nur die bereits im
Bau befindlichen Kraftwerke fertig gestellt werden.
- Deutschland verfügt bereits heute über die notwendigen Netzkapazitäten für einen
Atomausstieg bis zum Jahr 2015
- Werden gleichzeitig die regenerativen Energiequellen zur Stromerzeugung so
ausgebaut, wie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits im Mai 2010
empfohlen, kann der Atomausstieg mit dem Übergang zu einer 100% regenerativen
Stromversorgung bis zum Jahr 2050 verbunden werden.
- Möchte man die zusätzlichen CO2-Emissionen, die durch einen frühzeitigen
Atomausstieg bis zum Jahr 2015 verursacht werden, im Elektrizitätsbereich selbst
kompensieren, so kann der Übergang zu einer 100% regenerativen Stromversorgung
auch schon bis zum Jahr 2030 erfolgen.
- Für den schnellen Ausbau der regenerativen Stromerzeugung bedarf es im
Gegensatz zum schnellen Atomausstieg sowohl eines erheblichen Ausbaus der
deutschen Hochspannungsnetze zur Verbindung der Hauptressourcen in
Norddeutschland mit den Hauptabnehmern in Süddeutschland als auch eines
erheblichen Ausbaus von Speichermöglichkeiten oder der Anbindung der sehr
großen Speichermöglichkeiten Norwegens an das deutsche Elektrizitätssystem.
- Entgegen den in den letzten Wochen von interessierter Seite verbreiteten
Nachrichten, dass die Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke im März 2011 zu
steigenden Strompreisen geführt haben soll, zeigt eine genaue Betrachtung der
Entwicklung der deutschen Strompreise am European Power Exchange EPEX seit
Anfang 2011 ein gleichbleibendes Preisniveau, das durch die Abschaltung der
deutschen Kernkraftwerke unbeeinflusst ist.
- Auch der Stromhandel mit Tschechien zeigt bei genauer Analyse keinen signifikanten
Einfluss der Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke im März 2011.
- Eine sichere Elektrizitätsversorgung kann in Deutschland in jeder Stunde des Jahres
bereits ab 2015 ohne ein einziges Kernkraftwerk gewährleistet werden.
- Einem frühzeitigen Kernenergieausstieg bereits zum Ende des Jahres 2014 stehen in
Deutschland keine gravierenden technischen oder volkswirtschaftlichen Gründe
entgegen.
Aus: ZENTRUM FÜR NACHHALTIGE ENERGIESYSTEME (ZNES): Atomausstieg 2015 und regionale Versorgungssicherheit. Kurzgutachten, April 2011, S. 5-6 bzw. S. 29
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