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Umweltminister wollen abschalten

Von Velten Schäfer *

Die Umweltminister der 16 Bundesländer haben sich einhellig dafür ausgesprochen, die derzeit vorübergehend stillgelegten sieben ältesten Atommeiler nicht mehr ans Netz zu lassen. Darum »bitten« sie nun den Bund. Unterdessen zeichnet sich in der Bundesregierung Streit ab. FDP-Chef Philipp Rösler wendet sich gegen eine Abschaffung der Brennelementesteuer.

Seit etwa anderthalb Jahren ist Hermann Onko Aeikens (CDU) nun als Umweltminister in Magdeburg im Amt – und was er am Freitag in Wernigerode als turnusmäßiger Vorsitzender der Umweltministerkonferenz der Länder zu verkünden hatte, ist wohl das Wichtigste, das ihm bisher untergekommen ist. Die 16 Landesminister forderten einen »frühestmöglichen gesetzlichen Ausstieg aus der Kernenergie«, so Aeikens: »Die Länder bitten den Bund, auf der Grundlage der Berichte der Reaktorsicherheits- und der Ethikkommission eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit die vom Moratorium betroffenen Kernkraftwerke dauerhaft und rechtssicher vom Netz bleiben können.«

Für die verbleibenden AKW solle die Bundesregierung ein »ehrgeiziges und realistisches Konzept« vorlegen, das auch deren Stilllegung regele. Der Energieumbau in Richtung erneuerbare Träger müsse zudem »spürbar« beschleunigt werden, was einen raschen Ausbau der Stromnetze und Stromspeichertechnologien erforderlich mache.

In der Erklärung nicht erwähnt wird freilich die Zukunft des norddeutschen AKW Krümmel, das immer wieder mit Fehlern und Störfällen von sich reden machte und derzeit nach einer neuerlichen Panne abgeschaltet ist. Unklar bleiben die Landesminister auch bei den Daten: Eine Jahreszahl für den Ausstieg nannte Aeikens nicht. Nicht nur die erneuerbaren Energien müssten ausgebaut werden, sondern zunächst auch moderne und hocheffiziente fossile Kraftwerke, hieß es. Gemeint sind besonders moderne Gaskraftwerke und Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Um trotz eines solchen Ausbaus die nationalen Klimaziele nicht zu gefährden, müssten niedrigere CO2-Emissionen auch im Verkehr erzielt – und die Anstrengungen bei der klimagerechten Gebäudesanierung verstärkt – werden.

Die Anti-Atom-Bewegung, die heute (28. Mai) bundesweit zu 20 Kundgebungen aufruft und insbesondere in Bayern mobilisiert, will sich von dieser Ankündigung nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen. Es sei ein Anfang gemacht, doch gehe es nun um die zehn verbliebenen Reaktoren, erklärte Jochen Stay von der Anti-Atom-Koordination »ausgestrahlt«.

Ihm gingen die Pläne der Koalition bisher nicht weit genug; geplant sei bisher kein konsequenter Ausstieg, sondern der Weiterbetrieb gefährlicher Reaktoren für mehr als ein Jahrzehnt. Dennoch sind die Organisatoren der heutigen Kundgebungen optimistisch: »Unsere Chance, den Ausstieg durchzusetzen, war noch nie so groß«, heißt es bei den Atomkraftgegnern.

Im schwarz-gelben Lager beginnt es derweil bei dem Thema zu knirschen. Am Dienstag weigerte sich die mitregierende FDP in Bayern, einen Atomausstieg des Landes bis 2022 festzuschreiben, wie es Regierungschef Horst Seehofer (CSU) will. Sein Umweltminister Markus Söder (CSU) soll wegen der Weigerung des kleinen Partners sogar mit seinem Rücktritt gedroht haben.

Gestern (27. Mai) steckte nun der neue FDP-Chef Philipp Rösler seine Position für die Gespräche am Sonntag ab: Die Union müsse »klar sagen«, ob sie die Brennelementesteuer wirklich abschaffen und das gegebenenfalls finanzieren wolle. Die Brennelementesteuer war im Zuge der Atomlaufzeit-Verlängerung im Herbst beschlossen worden. Bis 2016 sollte sie dem Bund jährlich bis zu 2,3 Milliarden Euro einbringen. Die Einnahmen aus der Steuer würden nach heutiger Sachlage aber deutlich sinken, wenn die sieben alten Kraftwerke tatsächlich für immer abgestellt bleiben.

Für eine Abschaffung der Steuer im Falle eines beschleunigten Ausstieges macht sich indessen Unionsfraktionschef Volker Kauder stark. Die Steuer sei beschlossen worden, um die zusätzlichen Laufzeiten »abzuschöpfen«; aus seiner Sicht gehörten die Steuer und die Laufzeitverlängerung zusammen. »Das hat nichts mit einem Deal zu tun«, meint Kauder.

Noch nicht so recht entschieden klang gestern Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder. Die Steuer abzuschaffen entbehrt aus seiner Sicht nicht »einer gewissen Logik«, andererseits diene das Geld dem Ausbau der Erneuerbaren, der nun beschleunigt werden müsse. So sieht es auch der Bundesverband Erneuerbare Energien: Ein Festhalten an der Steuer für die weiterlaufenden Kraftwerke führe zu mehr Kostengerechtigkeit zwischen den Energieformen. Zugleich kritisiert der Verband das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es bremse im Endeffekt den Ausbau der Windkraft an Land, da »die Vergütung für Windstrom unter dem Strich deutlich schrumpft«.

Eine Rückschau wagte der scheidende Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Die Laufzeitverlängerung sei ohnehin ein Fehler gewesen, sagte er bei einer TV-Diskussion. Sie sei nur vor dem Hintergrund möglich gewesen, dass Teile der Partei das Wort von der »Brückentechnologie« Atomenergie nicht »verinnerlicht« hätten.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2011


Sieben auf einen Streich

Von Kurt Stenger **

Die Umweltminister von Bund und Ländern haben nun den ersten großen Brocken beim anstehenden beschleunigten Atomausstieg beiseite geräumt. Die sieben derzeit stillstehenden Uralt-Meiler sollen nicht wieder ans Stromnetz gehen. Rechnet man noch den seit Jahren abgeschalteten Pannen-Reaktor Krümmel dazu, den die Betreiber wohl kaum mehr flott kriegen werden, bleiben also noch neun AKW übrig, für die es alsbald eine politische Entscheidung braucht.

Doch hier geben sich die Atomindustrie und ihre politische Lobby nicht so einfach geschlagen, wie sich auch beim Umweltministertreffen wieder zeigte. Noch wird heftig darum gerungen, späte Ausstiegstermine, Revisionsklauseln und finanzielle Kompensationen in die anstehenden Gesetze hineinzubugsieren. In Union und FDP finden sich auch nach der Katastrophe von Fukushima noch genug Erfüllungsgehilfen für die Wünsche der AKW-Betreiber. Nur das Gewicht der Opposition und der weiterhin kraftvolle Protest auf der Straße können dafür sorgen, dass der Atomausstieg zügig und ohne juristische Hintertürchen kommt und die Energiewende ihren Lauf nehmen kann.

Vielleicht sollte sich die Politik ein Beispiel am tapferen Schneiderlein nehmen. Zwar war es leicht für ihn, sieben auf einen Streich zu erlegen. Doch dies machte Mut, den es brauchte, um auch den Kampf mit den richtig gefährlichen Gegnern erfolgreich zu bestehen.

** Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2011 (Kommentar)


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