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Ein Ausnahmejurist

Das Gesamtwerk von Heinz Düx liegt nun in einem Band vor

Von Erich Buchholz *

Dem Marburger Historiker Friedrich-Martin Balzer gelingt es wieder einmal, mit einem von ihm herausgegebenen Buch eine Persönlichkeit der Öffentlichkeit vorzustellen, die besondere Aufmerksamkeit verdient: »Heinz Düx. Justiz und Demokratie. Anspruch und Realität in Westdeutschland nach 1945«. Auch wer keine Kenntnisse von Justiz in diesem Land hat, weiß, daß sich die westdeutsche – im krassen Gegensatz zu der in Ostdeutschland – nach 1945 maßgeblich aus dem Personal rekrutierte, das Hitler gedient hatte. Artikel 131 des Grundgesetzes, der die Rechtsansprüche »früherer Angehöriger des öffentlichen Dienstes« sicherte, bewirkte unter anderem, daß an vielen Gerichten der BRD mehr frühere Mitglieder der NSDAP tätig waren als vor 1945. Sie wirkten im gleichen Geist wie vor 1945 – von der Adenauerschen Kommunistenverfolgung in den 50er Jahren bis zu deren Neuauflage in Gestalt der rechtswidrigen, gegen den Einigungsvertrag verstoßenden Drangsalierung von DDR-Bürgern durch die »Schüler« jener Richter und Staatsanwälte.

Fundgrube

Heinz Düx war aus anderem Holz geschnitzt. Bereits in der Einleitung Balzers unter dem Titel »Heinz Düx, demokratischer Jurist und Antifaschist« erfährt der Leser von einem außergewöhnlichen Lebenslauf. Düx wurde 1924 als Sohn eines Mechanikermeisters geboren. Wegen einer Krankheit nicht zum Militärdienst eingezogen, hatte er während seines Jurastudiums an der Universität Marburg Kontakt zu Gegnern des Naziregimes. 1944 wurde er in ein Bahnbetriebswerk dienstverpflichtet – als die Einziehung zum Volkssturm drohte, desertierte er. Nach Einmarsch der US-Armee in Hessen Ende März 1945 konnte er sein Studium fortsetzen, nach dem 8. Mai 1945 trat er der KPD bei.

Am 21. November 1946 bestand er das erste juristische Staatsexamen und legte im Januar 1948 die mündliche Prüfung im Promotionsverfahren ab. Das Thema seiner Dissertation lautete: »Über die freie Gewerkschaftsbewegung; ihr Wesen und ihr Einfluß auf die Rechtsentwicklung von der Gründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges«. Sie wird in diesem Band zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Herausgeber urteilt zu recht, sie erweise sich noch heute als eine Fundgrube für wegweisende Erkenntnisse, die in der Debatte um das Selbstverständnis der Gewerkschaften Beachtung finde sollten.

Nach der zweiten Staatsprüfung 1950 war Düx 1951 kurz als Hilfsrichter am Landgericht Kassel tätig, wurde von dort aus an das hessische Justizministerium abgeordnet und beantragte seine Entlassung aus dem Staatsdienst, um als Rechtsanwalt zu arbeiten. 1954 trat er wieder in den Staatsdienst ein und war ab 1960 Untersuchungsrichter in politischen Strafsachen, so im Zusammenhang mit dem Auschwitzprozeß und bei der Verfolgung von »Euthanasie«-Verbrechen. 1966 wurde er Landgerichtsdirektor in Darmstadt, 1967 Oberlandesgerichtsrat in Frankfurt am Main, wo er von 1970 bis 1989 als Vorsitzender eines Entschädigungssenates wirkte. Die biographische Skizze läßt seine Haltung zum Recht, zur Demokratie und zum Faschismus erkennen: Er gehörte zu den herausragenden demokratischen Juristen und Antifaschisten der BRD.

Einzelkämpfer

Das von Balzer edierte, nahezu tausend Seiten umfassende Werk mit 203 Arbeiten von Düx öffnet dem Leser Einblicke in dessen publizistisches Wirken. Der Bogen reicht im ersten Teil des Bandes von der Dissertation bis zu einem »Rückblick nach mehr als fünfzig Jahren« unter dem Titel »Die Beschützer der willigen Vollstrecker. Persönliche Innenansichten«. Der zweite Teil trägt die Überschrift: »Ein Leben für die juristische Bewältigung der faschistischen Verbrechen, für Rehabilitierung und Entschädigung für Opfer des deutschen Faschismus«. Unter dem Titel »Kritischer Kommentator der bundesdeutschen Geschichte« finden sich im dritten Teil Texte zum Thema »Antifaschismus«, in denen z. B. das Potsdamer Abkommen als »Tor zur Demokratie« und als nach wie vor aktuelles und verbindliches Recht gewürdigt wird. Es folgen Texte zu »Frieden durch Abrüstung und Entspannung«, »Verfassungsrecht« und »Zur Deutschen Frage«. In ihnen setzt sich Düx auch damit auseinander, wie sich das Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsprozeß über eine mögliche »Wiedervereinigung« äußerte.

Obwohl er im Lauf der Jahrzehnte mit der KPD, den Gewerkschaften, der SPD, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), der Fédération Internationale des Résistants (FIR) und der Vereinigung demokratischer Juristen (VdJ) der DDR assoziiert war, blieb Düx ein Einzelkämpfer. Zum hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der sich bei den Ermittlungen zum Auschwitzprozeß und bei der Verurteilung von NS-Verbrechern in der BRD einen Namen gemacht hatte, unterhielt er allerdings enge Beziehungen. Und es gab weitere Juristen, die Düx nahestanden, darunter Verfassungsrechtler wie Wolfgang Abendroth und Helmut Ridder sowie Ingo Müller, der Autor des Buches »Furchtbare Juristen«. Düx selbst wurde ein Vorbild für die seit 1968 nachwachsende Generation fortschrittlicher Juristen.

Dem Herausgeber gebührt Dank für die Riesenarbeit dieser vorzüglich gelungenen »Ausgrabung«. Das Ergebnis verdient Beachtung unter allen fortschrittlichen Juristen, insbesondere solchen, die in der DDR gewirkt haben und denen das Leben und Werk von Düx unbekannt blieb. Seriöse Geschichtsschreibung wird die Geschichte der Bundesrepublik nicht behandeln können, ohne auf die Analysen, die hier versammelt sind, zurückzugreifen.

Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.): Heinz Düx, Justiz und Demokratie - Anspruch und Realität in Westdeutschland nach 1945. Pahl-Rugenstein Verlag Nachfolger, Bonn 2013, 982 Seiten, 39,99 Euro * mit einer CD-ROM

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* Aus: junge Welt, Montag, 16. Dezember 2013


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