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Die Freiheit der Anderen

Der Film »Verboten-Verfolgt-Vergessen« dokumentiert die Verfolgung von Kommunisten im Westdeutschland der Ära Adenauer

Von Thomas Blum *

Hunderttausende waren in den 50er und 60er Jahren von der antikommunistischen Hatz in der jungen Bundesrepublik betroffen. Bis heute herrscht weitgehend Schweigen darüber. Das möchte Regissuer Daniel Burkholz mit seinem Film ändern.

Wir lernen Herbert und Ingrid Wils aus Hagen (Nordrhein-Westfalen) kennen. Die Eheleute sitzen auf einem Sofa, vor einer gedeckten Kaffeetafel. Hinter ihren Köpfen sind manchmal Wandteller und Fotos der Enkelkinder zu sehen. Herr und Frau Wils sind gefährliche Staatsfeinde. Das ist nicht sofort auf den ersten Blick zu erkennen, denn Staatsfeinde tarnen sich gut.

In den 50er Jahren waren die beiden Mitglieder der KPD und der FDJ, heute gehören sie der DKP an. Herr Wils hat einmal als junger Bursche gerne Lieder zur Gitarre gesungen, »auch solche politischen Inhalts«, erklärt er. In den Liedern, die nicht immer ganz frei von Kitsch und Pathos waren, ging es um flammende Schwüre auf den Frieden, das Zerspringen der Ketten der Geknechteten und eine Jugend, die die »Einheit für Deutschland« fordert. Herr Wils singt ein solches Lied vor und begleitet sich selbst dazu auf der akustischen Gitarre. »Das war Staatsgefährdung«, sagt er mit bitterem Lachen. »Das durfte nicht gesungen werden.«

Wils wurde von der Polizei festgenommen. Das Urteil lautete damals auf 18 Monate Gefängnis. »Wir hatten Isolationshaft, Einzelhaft«, erklärt Herbert Wils. »Wir waren nie alleine. Stündlich gab es eine Kontrolle am Türspion. Dauernd wurden wir drangsaliert. Man wollte uns spüren lassen: ›Ihr seid Dreck‹.«

Subversive Straftat Buchbesitz

Die geschilderte Szene entstammt dem Dokumentarfilm »Verboten-Verfolgt-Vergessen«, in dem am Beispiel ausgewählter Lebensläufe erzählt wird, wie im Westdeutschland der Adenauerzeit mit all jenen umgesprungen wurde, die im Ruch standen, an kommunistischen Umtrieben beteiligt zu sein.

Der Regisseur Daniel Burkholz spricht von »einem Thema, das leider bis heute der breiten Öffentlichkeit unbekannt ist«. Oftmals waren Menschen von polizeilicher Verfolgung betroffen, die nichts anderes im Sinn hatten, als einen neuen Krieg zu verhindern, die oft nichts weiter getan hatten, als pazifistische Flugschriften zu verteilen oder sich im Betriebsrat gegen die Wiederbewaffnung auszusprechen. Sie wurden observiert, drangsaliert, schließlich verhaftet und teils zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt. »Der Besitz von Büchern aus der DDR war beispielsweise für Nichtkommunisten nicht strafbar. Bei Kommunisten galt dasselbe aber als subversive Straftat«, so erläutert etwa Herbert Wils.

Dem Juristen Rolf Gössner zufolge sind Schicksale wie das von Herbert und Ingrid Wils keine bizarren Einzelfälle. Über Jahrzehnte hinweg, seit ihrer Gründung, so bestätigt der Rechtsanwalt und Bürgerrechtsaktivist, sei in der Bundesrepublik Deutschland gegen Menschen ermittelt worden, die sich in kommunistischen Organisationen und gegen die Wiederaufrüstung der Bundeswehr engagierten.

Insgesamt 200 000 Leute - darunter viele, die sich vor allem gegen die Remilitarisierung des Landes stark machten - gerieten so ins Visier polizeilicher Ermittlungen. 10 000 von ihnen wurden verurteilt, in der Regel ohne dass es ausreichende Beweise gegeben hätte. Häufig wurden ihnen auch in der Zeit nach der Entlassung aus der Haft die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Von der deutschen Justiz rehabilitiert wurden diese Menschen bis heute nicht. Auch das 1956 in Kraft getretene Verbot der KPD ist bis heute unverändert gültig.

Antikommunistische Kontinuität

»Insgesamt waren mehr als eine halbe Million Menschen betroffen. Das sind Dimensionen, die sind unglaublich«, meint Gössner. Die fragwürdigen Straftatbestände, die seinerzeit, in den 50er Jahren, zumeist als juristische Grundlage für eine Verurteilung sogenannter »zersetzender Elemente« herhalten mussten, klangen nicht selten, als habe man sie unverändert aus den Gesetzbüchern des Nationalsozialismus übernommen: »Geheimbündelei«, »Staatsgefährdung«, »Rädelsführerschaft«.

Tatsächlich hat man sich als einigermaßen historisch interessierter Zeitgenosse nie Illusionen darüber hingegeben, dass der tief verwurzelte Antikommunismus der Deutschen sich in der Nachkriegszeit in Luft aufgelöst hätte. Die Richter, Staatsanwälte, Kriminalbeamten der 50er und 60er waren in der Regel dieselben, die bereits zur Nazizeit in Amt und Würden waren und denen Kommunisten unverändert als »Kriminelle« galten. Dass das Bundesjustizministerium dem Regisseur des Films kein Interview zu dem Thema geben wollte, dürfte wenig erstaunlich sein.

Dem Filmvorspann vorangestellt ist ein Zitat des einstigen CDU-Bundeskanzlers Konrad Adenauer: »Die persönliche Freiheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen.« Am Ende des Films steht ein berühmt gewordener Satz Rosa Luxemburgs. Der dürfte als bekannt vorausgesetzt werden.

»Verboten-Verfolgt-Vergessen«. Deutschland 2012, Regie: Daniel Burkholz, 57 Minuten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Oktober 2012

Mehr Informationen:

www.roadside-dokumentarfilm.de [externer Link]




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