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USA rechnen mit längerer Krise

Erste Konsequenzen nach Sturm auf Botschaften in islamischen Ländern

Von Roland Etzel *

Aus Sorge vor weiteren Protesten gegen den islamfeindlichen Film, der seit Tagen unter Muslimen für Empörung sorgt, wollen Deutschland und die USA einen Teil ihrer Diplomaten aus Sudan abziehen. Die vielfach gewalttätigen Protestaktionen in nahezu der gesamten islamischen Welt sind am Wochenende abgeflaut. Noch einmal hatte es Aktionen vor Vertretungen vor allem der USA, aber auch anderer westlicher Länder, darunter Deutschland, gegeben, die aber fast durchweg friedlich verliefen. Bei der teilweisen Besetzung der zuvor vom Personal verlassenen deutschen Vertretung in der sudanesischen Hauptstadt Khartum hatte es mindestens drei Tote gegeben, als die Polizei gegen Demon᠆stranten vorging. Bei der freitäglichen Attacke auf die US-Botschaft in Tunis starben vier Menschen. Die amerikanische Schule wurde geplündert und ging in Flammen auf. Die USA hätten daraufhin beschlossen, wie es in einem dpa-Bericht vom Wochenende heißt, ihre diplomatische Präsenz in den jeweiligen Staaten deutlich zu verringern. Gerechnet werde mit einer »anhaltenden Krise mit unvorhersehbaren diplomatischen und politischen Konsequenzen«. Die »New York Times« hatte am Sonnabend berichtet, das Pentagon wolle bewaffnete Kräfte entsenden, um gefährdete Auslandseinrichtungen selbst zu schützen. Dafür gab es aber von Regierungsseite bislang keine Bestätigung.

Nach langem Zögern gehen die US-Behörden jetzt aber offenbar gegen den oder die Urheber jenes in den USA produzierten, den Islamgründer Mohammed verhöhnenden Videos vor, welches Auslöser des Entrüstungssturms gegen die USA war. Nachdem Außenministerin Hillary Clinton noch am Donnerstag öffentlich sagte, die Aussagen des Videos seien vom Recht auf Meinungsfreiheit in den USA gedeckt, sind die Behörden inzwischen offenbar anderer Meinung. Laut dpa verhört jetzt die Bundespolizei den mutmaßlichen Produzenten des Machwerks. Laut Informationen der Zeitung »Los Angeles Times« holte das FBI den Verdächtigen Nakoula Basseley Nakoula am Samstag von seiner Wohnung ab und brachte ihn zur Polizei in Los Angeles. Er sei aber bisher nicht verhaftet.

Auch in der deutschen Regierung scheint man inzwischen zu der Ansicht gelangt zu sein, dass es wohl klüger sei, Extremisten im eigenen Lande die explosive Stimmung nicht noch weiter anheizen zu lassen. Derartiges hat die Splitterpartei »Pro Deutschland« vor, die bereits vergangenes Jahr auffällig geworden war, als sie mit islamfeindlichen Parolen bei der Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl punkten wollte. Von dieser Partei hieß es am Sonntag, sie wolle besagtes Video öffentlich aufführen. Innenminister Hans-Peter Friedrich erklärte dazu, sein Haus wolle dagegen mit »allen rechtlich zulässigen Mitteln« vorgehen. Konkreter wurde er nicht.

* Aus: neues deutschland, Montag, 17. September 2012


Bestellte Proteste

Neokonservative Muslimfeinde provozieren Unruhen als Kulisse für "Weltfreiheitskongreß"

Von Knut Mellenthin **


Der Mohammed-Film, der zu heftigen Protesten in vielen Ländern der muslimischen Welt geführt hat, war nach Erkenntnissen US-amerikanischer Alternativmedien eine gezielte Provokation. Die Produzenten des Machwerks sind in den USA lebende Kopten, aus Ägypten stammende Christen, die eng mit hochgradig aggressiven Kräften aus dem neokonservativen Spektrum zusammenarbeiten. Im Zentrum des Verdachts stehen Robert Spencer (Jihad Watch) und Pamela Geller (Atlas Shrugs), die als wichtigste Stichwortgeber des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik gelten.

Der erste Hinweis auf Hintermänner des Films war eine bewußte Irreführung, die offenbar Teil der Provokation war: Ein Mann hatte sich am vorigen Dienstag, kurz nach den ersten Demonstrationen in Ägypten, telefonisch bei der neokonservativen Tageszeitung Wall Street Journal und der Nachrichtenagentur AP gemeldet und sich als ein aus Israel stammender US-Amerikaner namens Sam Bacile ausgegeben. Er habe den Film produziert und dafür rund fünf Millionen Dollar von »einhundert Juden« zur Verfügung gestellt bekommen, behauptete der Unbekannte und fügte hinzu, der Islam sei »ein Krebsgeschwür«.

Indessen ließ sich zurückverfolgen, daß der Anruf von einem bei Los Angeles (Kalifornien) lebenden 55jährigen Kopten namens Nakoula Basseley Nakoula gekommen war. Der Mann hat ein stattliches Vorstrafenregister, unter anderem wegen der illegalen Herstellung von Drogen, ist hochverschuldet, hat vor einigen Jahren Bankrott angemeldet, benutzt bis zu 17 falsche Namen und ist nach Aussagen seiner Bekannten ein Hochstapler und Gewohnheitslügner. Zuletzt wurde er 2010 wegen Bankbetrug verurteilt und saß bis Juni 2011 eine Gefängnisstrafe ab. Vermutlich arbeitete er auch als Informant verschiedener US-Dienststellen.

Als offizielle Produzentin des Streifens trat gegenüber den kalifornischen Behörden die 2005 gegründete »Non-Profit-Organisation« Media for Christ (Medien für Christus) auf, die unter anderem auch einen Fernsehsender betreibt. Ihre Einnahmen durch Spenden gab die »Wohltätigkeitsorganisation« im vergangenen Jahr mit einer Million Dollar an. Rund 90 Prozent des Films sollen nach Angaben Beteiligter im Studio von Media for Christ gedreht worden sein. Chef des Vereins ist Joseph Nasralla Abdelmasih, auch er ein in den USA lebender Kopte. In seinem Sender betreibt der seit Jahren einschlägig als Muslimhasser tätige Steve Klein eine Talkshow. Klein, der häufig mit Beiträgen auf Pamela Gellers Website Atlas Shrugs vertreten ist, behauptet, bei dem »Mohammed-Film« beratend mitgewirkt zu haben.

Media-for-Christ-Chef Abdelmasih war am 11. September 2010 als Redner auf einer von Geller und Spencer organisierten Kundgebung gegen den geplanten Bau einer Moschee in Manhattan aufgetreten. Beide haben in der vergangenen Woche sofort die Verteidigung des Films und seiner Produzenten übernommen. Am Freitag bezeichnete Spencer auf seiner Website den nicht einmal festgenommenen Nakoula bereits vorbeugend als »politischen Gefangenen«, dessen Verurteilung »ein Symbol für Amerikas Kapitulation vor der Scharia« sein werde.

Der Beginn der Proteste gegen den »Mohammed-Film« am vorigen Dienstag fiel exakt mit einem von Geller und Spencer veranstalteten »Weltfreiheitskongreß« in New York zusammen. Das Thema: Verteidigung des Rechts auf »Meinungsfreiheit«, sprich: des Rechts auf Hetze gegen den Islam und dessen Gläubige. Deutscher Vertreter der von Geller und Spencer gegründeten internationalen Organisation SION (Stop Islamization of Nations) ist Stefan Herre von der Website »Politically Incorrect«.

Der provokatorische Film stand schon seit Juli unbemerkt im Internet. Aufmerksamkeit fand er erst durch eine gezielte Mail, die ein Mann namens Morris Sadek am 6. September an mehrere Journalisten, darunter auch ägyptische, schickte. Sadek repräsentiert eine Organisation namens National American Coptic Assembly – und hat schon in der Vergangenheit mehrfach mit Spencer und Geller zusammengearbeitet.

** Aus: junge Welt, Montag, 17. September 2012


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