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Schulbücher sind voller Islam-Klischees

Muslime kommen im Unterricht oft nur als vormoderne Sondergruppe vor, kritisiert eine Studie

Von Thomas Klatt *

Die Darstellung von Muslimen in europäischen Schulbüchern ist einseitig und von Vorurteilen geprägt. Das ist das Ergebnis einer Studie aus Braunschweig. Die Wissenschaftler attestieren Schulbuchverlagen wie auch den zuständigen Kultusministerien mangelnde Sensibilität für das Thema. Die Unterscheidung zwischen »wir« und »sie« sollte in Schulbüchern künftig überhaupt nicht mehr vorkommen, raten die Wissenschaftler.

Erstmals wurden mehr als 20 aktuelle Politik- und Geschichtsbücher aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Spanien für die höheren Schulkassen ab Sekundarstufe I daraufhin untersucht, wie der Islam und die Muslime bildlich, graphisch und im Text thematisiert werden. »Muslime erscheinen als religiöses, vormodernes Kollektiv außereuropäischer Anderer, dem ein gleichfalls homogenes modernes Europa gegenübersteht«, erklärt Susanne Kröhnert-Othman vom Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. Länder mit muslimischer Mehrheitsgesellschaft werden graphisch meist homogen grün dargestellt und deutlich von Europa abgegrenzt und wirkten damit als bedrohliche Masse jenseits des eigenen Lebens- und Erfahrungsraumes der Lernenden.

Zwischen dem Islam als Religion und dem politischen und kulturellen Leben in verschiedenen muslimischen Gesellschaften wird dabei ebenso wenig unterschieden wie zwischen vielfältigen Ausprägungen. »Die regionale Vielfalt zum Beispiel in der Türkei, in der arabischen Welt, in Indonesien oder eben auch der Islam in den USA kommen nicht vor«, beklagt Kröhnert-Othman. Der Islam werde häufig nur als Religion der Unterwerfung unter starre Regeln oder als System überkommener patriarchaler Kultur gezeigt. Auf Unterschiede religiöser Interpretationen, die verschiedenen Rechtsschulen oder gar den Einfluss außermuslimischer Philosophien oder Theologien werde an keiner Stelle eingegangen.

Zudem wird die Geschichte des Islam nur bruchstückhaft thematisiert. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Toleranz gegenüber Christen und Juden im muslimisch-spanischen Al Andalus des Mittelalters positiv dargestellt wird. Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts scheine jedoch die Geschichte der arabisch-islamischen Welt zu enden. Danach taucht der Islam meist nur noch im Zusammenhang mit Nahostkonflikt, Terrorismus, Islamismus, Dschihad, Kampf der Kulturen, Zwangsehen, Kopftuch- oder Moscheenstreit auf.

In österreichischen Schulbüchern etwa sollen Schüler den Zusammenhang von »Türkenkriegen« und Moscheebau an ihrem Schulort diskutieren, als verbinde sich mit der heutigen Religionsausübung die Idee einer heimlichen Machtübernahme Europas.

Die Forscher schlussfolgern: Offensichtlich sei den Schulbuchverlagen aber auch den die Schulbücher zulassenden Kultusministerien zu wenig bewusst, dass Eurozentrismus und mangelnde Differenzierung bei der Darstellung des Islams zu einer wenig sachgerechten innereuropäischen Geschichtskonstruktion führe. »Schulbücher müssen auswählen, sie müssen verdichten, sie müssen auch didaktisch vereinfachen. Aber es sind eben auch staatlich autorisierte und sehr deutungsstarke Medien, die Wissen kanonisieren und über längere Zeiträume verfestigen«, warnt die Leiterin des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts, Simone Lässig. Mit ihren Simplifizierungen trügen europäische Schulbücher bei den Lernenden zur Islamophobie bei.

Besonders Schulbuch-Kapitel zur Migration bedürfen der Studie zufolge der Revision. Solange Muslime immer nur als Sondergruppe außerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft dargestellt würden, könne eine sachgerechte Behandlung des Themas im Unterricht kaum stattfinden. Durch Klischeedarstellungen seien vor allem Schüler aus der dritten und vierten Migrantengeneration unnötig zur Identifikation gezwungen, ob sie sich nun zur Sondergruppe oder zur deutschen Mehrheit zählen wollen. Die Unterscheidung zwischen »wir« und »sie« sollte bei der Thematisierung von Muslimen im Unterricht und in Schulbüchern daher überhaupt nicht mehr vorkommen, raten die Experten aus Braunschweig.

* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2011


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