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"Sie würden jedes Ressentiment aufgreifen"

Islamophobie ist nicht allein von Muslimen zu überwinden. Kosten-Nutzen-Debatte trifft schnell auch andere. Ein Gespräch mit Sabine Schiffer *


Sabine Schiffer hat eine Dissertation über die Islamdarstellung in den Medien geschrieben und leitet das Institut für Medienverantwortung in Erlangen.


Wie kam es aus Ihrer Sicht in Deutschland dazu, daß »der Ausländer« oder »der Gastarbeiter« von früher an Sündenbockfunktion eingebüßt hat und Übel wie Rückständigkeit, Frauenverachtung und Terrorismus heute mit »den Muslimen« verknüpft wird?

Das verdanken wir der Auslandsberichterstattung. Der hiesige Gastarbeiter von früher ist inzwischen in der Wahrnehmung zum Muslim geworden, erfüllt aber die gleiche Funktion. Denn ab irgendeinem Zeitpunkt haben bestimmte privilegierte Gruppen – aus ideologischen, wirtschaftlichen oder politischen Interessen heraus – die Aufmerksamkeit auf die religiöse und nicht mehr – wie zuvor – auf die nationale Zugehörigkeit jener Minderheit gelenkt.

Das beantwortet noch nicht die Frage, warum besonders Muslime stigmatisiert werden. Hat das nicht eher mit dem propagierten »Kulturkampf« nach dem Anschlag am 11. September 2001 zu tun?

Viele glauben das. Der Startschuß kam aber zehn Jahre vor dem 11. September mit einer Rede des prominenten Islamwissenschaftlers Bernard Lewis über den »Kulturkampf«. Bestimmte Kreise, die ein geopolitisches Interesse im Nahen Osten haben, griffen diese These auf. Da politische Ausschreitungen und Umwälzungen im Nahen Osten und weltweit in der Auslandsberichterstattung seit Jahren als »islamische Phänomene« wahrgenommen wurden, war es einfach, diese Zuweisungen auch in Deutschland zu verstärken.

Feindbilder, die die neoliberale Wirtschaftsordnung zu brauchen scheint, haben bestimmte Think- tanks im Nahen Osten und im Islam ausgemacht.

Man braucht das antimuslimische Feindbild, um den Menschen zu suggerieren, daß sie bedroht sind. Von dem »Krieg gegen den Terror«, der mit dem 11. September eine emotional stark verfangende Legitimation lieferte, profitieren diejenigen, die auf höchster Ebene miteinander Geschäfte machen. Der saudische Scheich, die Rothschilds und Königin Beatrix von den Niederlanden etwa haben keine kulturellen, nationalen oder religiösen Berührungsängste. Sie spielen aber uns »dumme Fußvölker« gegeneinander aus.

Sie betonen immer wieder, daß Rassismus mehr über deren Träger oder Verursacher aussagt als über die stigmatisierten Gruppen selbst. Was sagt er über die politische und wirtschaftliche Elite in Deutschland aus?

Man kann hier einen starken Chauvinismus erkennen. Man hält sich wieder für das Volk der Dichter und Denker, das allen anderen sagt, wie man zu leben hat. Das ist das alte Modell von der Zivilisation und den Barbaren.Wenn man anschaut, was alles auf den Islam projiziert wird, dann sind das genau die wunden Punkte moderner Gesellschaften, nämlich die der nicht erreichten Emanzipation, der Freiheit ohne Zwänge und der vollkommenen Demokratie. Ebenso das Problem der Gewalt, das man an die Ränder der Gesellschaft oder über die Landesgrenzen hinaus projiziert. Dabei will man nicht wahrnehmen, welche massive strukturelle Gewalt man selbst ausübt.

Ist das Feindbild nicht auch ein Ausdruck der Ohnmacht vieler Politiker?

Bestimmte Politiker bedienen gerne das antimuslimische Ressentiment, um ihre eigene Ohnmacht zu kaschieren, die angesichts des Demokratieverlusts in unserem Wirtschaftssystem in der Krise offensichtlich wird. Politiker simulieren Handlungsfähigkeit, indem sie über Muslime »herziehen«. Aber sie würden jedes andere Ressentiment aufgreifen, wenn es diesem Zweck dienen würde. Muslime bieten sich aber an, weil die Aufmerksamkeit eh schon auf sie gelenkt ist.

Nach den antimuslimischen Terroranschlägen in Norwegen und zum zehnten Jahrestag des 11. September gab es aber in den Medien durchaus auch konstruktive Auseinandersetzungen mit Islamophobie.

Ich hatte den Eindruck, daß konstruktive Vorschläge, wenn sie kamen, allein an die Muslime gerichtet wurden. Und ich finde es falsch, dem Blick des Rassisten auf sein Objekt zu folgen. Es gab durchaus gute Beiträge in den Medien. Die sind aber nicht nachhaltig genug.

Was müssen Ihrer Meinung nach Angehörige der deutschstämmigen Mehrheit tun?

Für sie ist es wichtig zu erkennen, daß sie nur vordergründig vom Rassismus profitieren, aber langfristig auch zu den Verlierern gehören, weil es um Oben und Unten, Reich und Arm geht. Motive aus dem antimuslimischen Diskurs – etwa die Kosten-Nutzen-Debatte – wirken sich gerade in Krisenzeiten auch auf alte Menschen, Hartz-IV-Bezieher und »Ossis« aus.

Interview: Hülya Gürler

* Aus: junge Welt, 3. November 2011


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