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Feindkonstruktion

Werner Rufs Buch über Islam und Islamophobie

Von Anton Holberg *

Werner Ruf, emeritierter Professor der Universität Kassel mit den Schwerpunkten Geschichte und Gesellschaften der nord­afrikanischen Staaten, widmet sich in »Der Islam – Schrecken des Abendlands« dem Nachfolger des Gespenstes »Kommunismus«. Er zeigt überzeugend auf, wie »der Islam« nach dem Zusammenbruch des »kommunistischen« Blocks um die UdSSR als Begründung für die Fortexistenz der NATO und ihrer imperialistischen Ziele herhalten muß. Eine Voraussetzung dafür ist das offenbar menschliche Bedürfnis, sich der eigenen Identität als Individuum, vor allem aber als Mitglied einer Gruppe, durch Konstruktion »des anderen« und die Abgrenzung von diesem zu versichern. Ruf weist die politische Instrumentalisierung dieser Methode in der Geschichte nach, zunächst in der Zeit der Kreuzzüge, in der erstmals in nennenswertem Maß ein Fundamentalgegensatz zwischen (christlichem) Abend- und (islamischem) Morgenland konstruiert wurde.

Buchreligionen

Die modernen Nationalstaaten und die Aufklärung bedurften zur Abgrenzung der je eigenen Nation einer neuen Begründung. Diese fand sich zunächst in einem kruden Biologismus, dem Rassismus. Mehr als dessen wissenschaftliche Unhaltbarkeit waren es jedoch die Erfahrungen mit seinen barbarischen Konsequenzen im 20. Jahrhundert, die es – bei fortdauernder Wirksamkeit unter der Oberfläche – notwendig machten, den Begriff der »Rasse« im offiziellen Diskurs durch den der »Kultur« zu ersetzen. Der Autor macht u. a. am Beispiel von Samuel P. Huntingtons Werk »Kampf der Kulturen« (1993) deutlich, wie der Begriff der Kultur oder Zivilisation dem der Rasse nachgebildet wurde. Er zeigt ausführlich, wie dieses Konzept als Fortführung der Ideologie des Kalten Krieges wirkt und weist den »Krieg gegen den Terror« als »gegenzivilisatorisches Projekt« aus.

In vierten Kapitel widmet sich Ruf der Frage, was »der Islam«, der dabei mit Terrorismus und generell mit Menschenrechtsverletzungen identifiziert wird, in Wirklichkeit ist. Er betont einerseits dessen Vielfalt und andererseits die enge Verwandtschaft zu den beiden anderen Buchreligionen Judentum und Christentum. Überzeugend wendet er sich gegen das Gerede vom »christlich-jüdischen Erbe« des Abendlandes und betont die überragende Rolle, die die islamische Welt für die Befreiung eben jenes Abendlandes aus den halbbarbarischen Zuständen des frühen Mittelalters und des in ihm vorherrschenden Obskurantismus gespielt hat. Die den Islam ausschließende Mär von diesem Erbe wird just in der Zeit propagiert, in der traditionell antisemitische Kreise – darunter erklärte Rechtsextremisten – ihre Begeisterung zwar nicht für »die Juden«, wohl aber für das zionistische Israel entdecken – ein weiterer Hinweis darauf, daß Antisemitismus und Islamophobie gleiche Wurzeln haben.

Gefährlicher als diese ansonsten eher marginalen Kräfte sind aber die von der Art eines Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder, Ralph Giordano oder einer Alice Schwarzer. Sie kommen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft oder vertraten einmal humanistische Positionen. Ihnen und verschiedenen anti­islamischen Internetseiten ist der zehnte Abschnit gewidmet.

Andere Gesellschaft

Im abschließenden Kapitel zwölf weist Ruf nach, daß der Kampf gegen die vermeintliche »Islamisierung« des Abendlandes keineswegs nur die hier lebenden Menschen aus überwiegend islamischen Ländern trifft, sondern auch die einheimische »christliche« Bevölkerung. Denn es gehe dabei um eine andere Gesellschaft. Der Autor schreibt: »Der rassistische Haß auf Migranten ist das vordergründige, populistische und wirksam inszenierte Argument auf dem Weg zur Schaffung einer autoritären und zunehmend gleichgeschalteten Gesellschaft. (…) Dies ist der dialektische Zusammenhang zwischen der Barbarisierung und Entmenschlichung ›der Anderen‹ und der Barbarisierung des ›Wir‹.«

Vermutlich ist es dem geringen Umfang des Buchs geschuldet, daß die Behandlung einer Reihe von festen Ansichten über den Islam und die kulturelle Praxis einiger Muslime manchmal zu kurz kommt. So hätte gezeigt werden können, daß etwa Steinigung, »Ehrenmord« oder Beschneidung weiblicher Genitalien vor- oder außerislamischen Ursprungs sind und nicht notwendigerweise aus der Theologie erwachsen. Ungeachtet dessen muß festgehalten werden, daß das Buch dank des wissenschaftlichen Ansatzes des Autors weit davon entfernt ist, nur den schon Überzeugten zu predigen. Vielmehr bietet es eine gewaltige Menge von Tatsachen, deren Kenntnis für Antirassisten in der Auseinandersetzung mit den Drahtziehern der islamophoben Propaganda unverzichtbar ist.

Werner Ruf: Der Islam - Schrecken des Abendlands – Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert. PapyRossa Verlag, Köln 2012, 129 Seiten, 9,90 Euro; ISBN 978-3-89438-484-5

* Aus: junge Welt, Montag, 23. April 2012


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