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Ignoranten und Unbelehrbare

Nach der Untat des Norwegers Breivik beteuern Islamkritiker gern ihre Distanz – fast alle

Von Knut Mellenthin *

Henryk Broder schläft gut und hat weiter gesunden Appetit. Sogar sein Ischiasschmerz habe nachgelassen, teilte er der Öffentlichkeit mit. (Stern, 28. Juli) An den Mordtaten eines norwegischen Muslimhassers fühlt der deutsche Journalist sich nicht im Geringsten schuldig, denn: »Selbst wenn ich Bastelbuchautor wäre, hätte Breivik gemordet.« (Welt, 7. August)

Gerade weil dieser Einwand so offensichtlich oberflächlich und töricht ist, könnte er geeignet sein, das Problem der geistigen Mitverantwortlichkeit ein wenig aufzuhellen. Um die nur scheinbar logische Struktur des Arguments auf die Spitze zu treiben, könnte man auch konstatieren, dass Hitler den Völkermord an den Juden selbst dann betrieben hätte, wenn Gobineau, Chamberlain, Treitschke oder andere Antisemiten und Arier-Ideologen lediglich Kochbücher geschrieben hätten. Dass jemand für das Begehen einer Tat nicht existenziell notwendig gewesen wäre, bedeutet nicht automatisch, dass er an dieser keine Mitschuld tragen könnte.

In den Jahrzehnten vor und nach 1900 wurden Hunderte oder Tausende von antisemitischen Büchern und Broschüren gedruckt. Die wichtigsten dieser Werke hatte Hitler gelesen und in seine Weltanschauung eingebaut. Dennoch lässt sich letzten Endes kein einziges Buch ausmachen, dessen Nicht-Erscheinen den Holocaust verhindert hätte. Aber ohne Vorausgang der antisemitischen und darüber hinausgehend rassistischen Publizistik und der darauf aufbauenden politischen Bewegungen ist die Judenverfolgung in Deutschland, die in den Massenmord mündete, nicht vorstellbar. Höchstwahrscheinlich wäre sie ohne diese Voraussetzungen unmöglich gewesen.

Für die Wahnsinnstat eines Einzelnen wie Breivik gilt das gewiss nicht in annähernd gleicher Weise. Derartige Massaker können, grundsätzlich gesprochen, auch aus ausschließlich persönlichen Gründen begangen werden oder aufgrund irgendeiner völlig abseitigen Wahnvorstellung, die von kaum jemand auf der Welt geteilt wird. Aber darum ging es in diesem Fall nicht. Breiviks Tat war von einem hysterisch-paranoischen Weltbild motiviert, das zum allergrößten Teil mit dem der sogenannten Islamkritiker übereinstimmt. Im Zentrum dieser Ideologie steht die Verschwörungstheorie von der »schleichenden Islamisierung« Europas und der »Kapitulation« der »dekadenten« Gesellschaften des alten Kontinents vor dieser Entwicklung.

Es geht eben nicht darum, dass Breivik in seinem 1500-Seiten-Manifest einen Satz zitiert, den Broder irgendwann in einem Gespräch »beiläufig« geäußert hatte, wie dieser jetzt stark verharmlosend und die Sache ins Lächerliche ziehend sagt. Sondern es geht in der Hauptsache darum, dass der Journalist ein Buch veröffentlich hat – »Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken« –, dem ähnliche pauschalisierende, diskriminierende und wahnhafte Anschauungen zugrunde liegen wie sie auch das Breivik-Manifest prägen. Die zu diskutierende Frage ist daher, ob diesem Weltbild eine Menschenverachtung und Aggressivität immanent ist, die zwar in Breiviks Amoklauf explodiert ist, aber die auch ganz ohne diesen und völlig unabhängig davon verurteilt und entschieden bekämpft werden müsste.

Im Gespräch mit dem Stern gab sich Broder gemütlich: »Wenn die Gegenseite aufhört, Karikaturen zu verfolgen und Ehrenmorde zu begehen, dann werden die Islamkritiker aufhören, den Islam zu kritisieren.« Er selbst habe nichts gesagt, »das inhaltlich mit dem Blogger – gemeint ist Fjordman, einer der wichtigsten Inspiratoren Breiviks – übereinstimmt«. »Ich habe nichts gegen Moscheen und ich habe nichts gegen gleiche Rechte für Immigranten. Ich hätte in der Schweiz auch gegen das Minarett-Verbot gestimmt.«

Das las man allerdings seinerzeit ganz anders. Am 30. November 2009 hatte Broder in der »Welt« unter der Überschrift »Einer muss den Anfang machen« über den Ausgang der Volksabstimmung triumphiert: »Die Schweizer sind die erste europäische Nation, die sich in einer freien Abstimmung gegen die Islamisierung ihres Landes entschieden hat«. Zugleich hatte er dort gefordert, den Bau von Moscheen in europäischen Ländern generell zu untersagen, so lange in Saudi-Arabien keine christlichen Kirchen gebaut werden dürfen.

In seinem 2006 erschienenen Buch »Hurra, wir kapitulieren!« verhöhnte Broder eine Differenzierung zwischen Islam und Islamismus als »feinsinnig«, was in seinem Sprachgebrauch so viel bedeutet wie: schwachsinnig und völlig überflüssig. Es folgte der Kalauer, dass der Unterschied zwischen beiden dem zwischen Alkohol und Alkoholismus entspreche, und schließlich die Unterstellung, »dass der Islamismus den Islam nicht missbrauchen, sondern wörtlich nehmen könnte«. Buchstäblich sämtlichen Muslimen der Welt wurde von Broder die Eigenschaft zugeschrieben, sie würden »chronisch zum Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen neigen«. Diese Technik der rassistischen Klischeebildung verteidigte er am 5. November 2006 sogar noch ausdrücklich in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen: »Eine Polemik kommt ohne Pauschalisierung nicht aus.«

Die Existenz feindseliger Ressentiments und Diskriminierungen gegen Muslime wurde von Broder in seinem Buch ausdrücklich und entschieden bestritten. Der jüdische Autor warf dem Zentralrat der Juden in Deutschland seine Beteiligung an einer Veranstaltung zum Thema »Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit« vor: »Er gibt damit dem Phantombegriff ›Islamophobie‹ den Anschein des Realen.«

Zu dieser Zeit führte von Broders Internetseiten noch ein direkter Link zur führenden deutschen Antimuslim-Website »Politically Incorrect«, PI. Dort las man damals in reinster NS-Diktion, dass »Moslems nachweislich nicht selber zu Kulturleistungen fähig sind« und dass der Islam »eine Heuschreckenreligion« sei. Muslime seien »wie Colibakterien oder AIDS-Viren«: »Allein können sie nichts ausrichten, aber sie nutzen uns als Wirt.« »Die marxgeschädigten Gutmenschen schaffen das Klima, unter dem das islamische Unkraut wächst, gedeiht und alles andere erstickt.«

Ob Broder inzwischen anerkennt, dass Antimuslimismus tatsächlich existiert und dass er, trotz Unterschieden im Einzelnen, grundsätzlich nicht weniger schmutzig, widerlich und gefährlich ist als der Antisemitismus, ist nicht so recht klar. Nicht einmal der Massenmord in Norwegen hat den Springerjournalisten veranlasst, öffentlich auf Distanz zu gehen. Distanz wohlgemerkt nicht nur gegenüber der Tat, die selbstverständlich fast jedermann verurteilt, sondern auch gegenüber den dahinter stehenden Vorstellungen.

Leider muss man feststellen, dass nur »fast« jedermann Breiviks Amoklauf verurteilt. Einige namhafte Aktivisten des internationalen antimuslimischen Netzwerks verbergen ihre Schadenfreude und Genugtuung über das Massaker äußerst notdürftig hinter der Aussage, dass sie den in einem sozialdemokratischen Ferienlager ermordeten Jugendlichen und Kindern »keine Träne nachweinen«.

So schrieb eine der bekanntesten Figuren dieser Szene, Pamela Geller, am 31. Juli auf ihrer Website Atlas Shrugs, das von Breivik angegriffene Jugendlager sei »ein antisemitisches Indoktrinations- und Ausbildungszentrum« gewesen. »Breiviks Ziel waren die künftigen Führer der Partei, die verantwortlich dafür ist, dass Norwegen mit Muslimen überflutet wird, die sich der Assimilation verweigern und die ungestraft schwere Gewalttaten, einschließlich Massenvergewaltigungen, gegen die einheimischen Norweger begehen und die auf deren Kosten leben.« Norwegen sei eines der am schlimmsten antisemitischen Länder Europas, und der Antrieb dafür komme in erster Linie von der regierenden Arbeitspartei und deren Unterstützern. Wenn irgendetwas Breivik zur Gewalt aufgestachelt habe, dann seien es die Islamisten und die europäischen »Appeasement-Politiker« gewesen.

Debbie Schlussel, die eine ähnliche Website wie Geller betreibt, schrieb am 28. Juli, das Idol der US-amerikanischen Neocons und der Tea-Party-Bewegung, Glenn Beck, habe völlig Recht gehabt, die norwegischen Jungsozialisten mit der Hitlerjugend gleichzusetzen. Er hätte aber noch hinzusetzen sollen, so Schlussel, dass es sich auf der Insel Utøya um ein »Hamas-Jugendlager« gehandelt habe. »Diese hasserfüllten, privilegierten Sprösslinge in dem Lager boykottierten Juden und stellten sich auf die Seite von Judenmördern.« »Ich empfinde kein Bedauern für die, die meine möglichen Mörder unterstützten. Und ich rege mich nicht allzu sehr auf, wenn sie das Schicksal trifft, das sie verdienen. (…) Ich vergieße keine Tränen für diese Hamasnik-Lagerbewohner mit einem skandinavischen Dialekt. Täter sind keine Opfer.«

Eine weitere, sehr bekannte Aktivistin dieser Szene ist Caroline B. Glick, die unter anderem regelmäßige Kolumnistin der Jerusalem Post ist. Dort behauptete sie am 8. August in Zusammenhang mit Breiviks Massenmord wahrheitswidrig, die »norwegische Elite« verweigere Israel das Existenzrecht und lasse »pro-israelische Juden« nicht in Universitäten sprechen. Tatsächlich bezog sich dieser Vorwurf lediglich darauf, dass drei norwegische Universitäten sich geweigert hatten, dem Druck von Lobbygruppen nachzugeben und den US-amerikanischen Rechtsanwalt Alan M. Dershowitz zu Vorträgen einzuladen. Dershowitz ist unter anderem als Rechtfertiger von Folterpraktiken in Israel hervorgetreten.

Die Jerusalem Post hatte am 24. Juli einen redaktionellen, nicht namentlich gezeichneten Leitartikel veröffentlicht, in dem sie der Sorge Ausdruck verlieh, Breiviks Mordtat könne zu der »irrigen« Annahme führen, dass die gegenwärtige Hauptgefahr für Europa der Rechtsextremismus sei. Die Unzufriedenheit mit dem Multikulturalismus, der als gescheitert angesehen werden müsse, dürfe nach dem Massaker auf Utøya nicht »delegitimiert« werden.

Später entschuldigte sich die Zeitung in einem weiteren Leitartikel beim norwegischen Volk für diesen Kommentar. Glick schrieb dazu, der zweite Leitartikel sei mit ihr »nicht abgesprochen« worden – warum denn auch? – und er gebe nicht ihre Meinung wider.

In einem ersten Beitrag »Antimuslimische Agitatoren zündeln in Europa« hat sich Knut Mellenthin mit der Geisteshaltung des norwegischen Attentäters beschäftigt. Er erschien in »Neues Deutschland« am 9. August auf Seite 8.

* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2011


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