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Doppelte Bedrohung

Klischees von fanatischen Islamisten ließen keinen Raum für differenzierte Debatten

Von Fabian Köhler

»Hätten sie gedacht, dass die Ates Muslim ist?«, wundert sich eine Frau am Teestand des Berliner Auditoriums Friedrichstraße. Hinter ihr liegt eine Steinigungsszene, laminiert in A 3-Format. Zwei Augen blicken durch einen Burka-Sehschlitz mit retuschierten Gitterstäben. »Ja, aber gegen das Kopftuch ist sie schon, oder?«, beruhigt sie eine Freundin. »Du auch mit Zucker?«

Die Frauenrechtlerin und Islamkritikerin Seyran Ates, deren Gläubigkeit in der Kaffeepause Verwirrung stiftete, war eine von rund 20 Journalisten, Politikern und Menschenrechtlern, die sich am Wochenende zur zweiten »Kritischen Islamkonferenz« zusammenfanden. »Der doppelten Bedrohung von politischem Islam und chauvinistischer Fremdenfeindlichkeit« wolle man sich entgegenstellen, versprach Veranstalter Michael Schmidt-Salomon von der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung zu Beginn der zweitägigen Konferenz. Ein Anspruch, den die Veranstaltung bestenfalls zur Hälfte erfüllte.

»Wir sind nach Deutschland gekommen um Freiheit zu genießen, nicht um von fanatischen Islamverbänden vertreten zu werden«, kritisierte die iranische Exil-Oppositionelle Mina Ahadi die Zusammensetzung der Deutschen Islamkonferenz (DIK). Einen »Scharia-Islam« ermögliche diese durch ihre Kooperation mit Islamverbänden, fand auch die Soziologin Necla Kelek und forderte die Überprüfung »jedes einzelnen Moscheebaus«.

Es war nicht das einzige Mal, dass die Positionen jenen von rechtspopulistischen Gruppierungen zum Verwechseln ähnlich waren: Von den Anschlägen in Boston bis zu Koran-Suren über Gewalt gegen Frauen, von der Verfolgung Homosexueller im Iran bis zur Kopftuch-Erlaubnis in Schulen in NRW war alles irgendwie Islam.

Dabei wollten es die Veranstalter es eigentlich besser machen als vor fünf Jahren. Damals hatte Ralph Giordano noch vor der "schleichenden Islamisierung" warnen und die Abschiebung des in Aachen geborenen Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, fordern können. Nun diskutierten auch Muslime mit. Mit der Alevitischen Gemeinde gehörte erstmals eine islamische Organisation zu den Veranstaltern - auch wenn, wie dessen Vertreter Yilmaz Kahraman betonte, »die meisten Muslime Aleviten nicht als Muslime bezeichnen würden«.

Trotzdem war das Motto der Veranstaltung »Selbstbestimmung statt Gruppenzwang« wohl nicht als Selbstbekenntnis gemeint: Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün verließ den Saal, als sie von anderen Veranstaltungsteilnehmern und Zuschauern als »Mullah« und »Salafistin« beschimpft wurde. Sie hatte als einzige Teilnehmerin eine »zeitgemäße Reform des Islam« für möglich gehalten. Da nützte es auch nichts, dass sie wie die anderen eine strikte Trennung von Religion und Staat forderte.

Die Beschäftigung mit dem Thema Muslimfeindlichkeit begrenzte sich auf einen kurzen Tumult im Saal und dem gemeinsamen Konsens »dass man sich selbiges nicht vorwerfen lasse.« Sowieso machten »Nazis und Muslime gemeinsame Sache«, argumentierte der Hamburger Student Lukas Mihr. Ergebnis seines Vortrages: Neben Muslimen stellten vor allem Linke mit "ihrer Täter-Opfer-Umkehr" das Übel dar.

Das Problem des Rechtsextremismus, argumentierte der sichtlich aufregegte Mihr, sei auch nach den NSU-Morden "nicht besonders groß". Spätestens jetzt nützte der Konferenz auch die beharrliche Distanzierung von rechtspopulistischen »Islamkritikern« nichts mehr: Ein Vortrag, »der das Auditorium geeint hat«, deutete Moderator Volker Panzer den größten Beifall des Tages.

Nur Seyran Ates konnte die Zweifel an ihrer Gläubigkeit am Teestand nicht mehr ausräumen. Sie müsse schnell an Bord einer Dampferfahrt der »Achse des Guten« - ein rechtspopulistisches Islamhasserblog. Dies dürfte dann auch die Damen am Teestand wieder mit ihr versöhnt haben.

* Aus: neues deutschland, Montag, 13. Mai 2013


Es gibt keinen deutschen Islam

Lale Akgün fordert die Gründung einer Organisation liberaler Muslime **

Am Wochenende fand in Berlin die zweite »Kritische Islamkonferenz« statt. Debattiert werden sollte über das, worin die »Deutsche Islamkonferenz« des Innenministeriums versagte: Integrationspolitik und die Macht der Islamverbände. Um die Emanzipation von Migranten und die Zurückweisung von Muslimfeindlichkeit ging es entgegen der Ankündigung nicht. Stattdessen zelebrierte man bekannte Feindbilder.

Lale Agkün, 1953 in Istanbul geboren, wurde 1982 SPD-Mitglied und saß von 2002 bis 2009 im Bundestag, als eine von fünf MdB islamischer Glaubensherkunft insgesamt. Seit dem rot-grünen Regierungswechsel in NRW ist sie Referatsleiterin in der Düsseldorfer Staatskanzlei für Internationale Angelegenheiten und Eine-Welt-Politik. Mit ihr sprach auf der Kritischen Islamkonferenz Thomas Klatt.


nd: Frau Akgün, es gibt den Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD und den Bundesarbeitskreis Jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wo bleiben die Muslime?

Akgün: Für so einen Arbeitskreis muss man schon so 50 bis 60 Leute zusammen bekommen. Ich habe es noch nicht versucht, man könnte darüber aber nachdenken.

Na ja, wenn schon keine sozialdemokratischen Muslime, wieso dann nicht die Interessenvertretung der liberalen, nicht-konservativen Muslime in Deutschland?

Weil der Islam im Grunde keine Organisation kennt. Ich stelle mal die These auf, dass es gerade in Deutschland mehr liberale Muslime gibt als traditionell-orthodoxe in den organisierten Verbänden. Die haben aber eine Scheu vor den bereits organisierten Muslimen in den Verbänden, die für sich die alleinige Deutungshoheit beanspruchen.

Die islamischen Organisationen, egal ob Zentralrat der Muslime, Islamrat oder Koordinierungsrat, repräsentieren höchstens etwa 20 Prozent der Muslime in Deutschland. Was aber tun, wenn die Mehrheit der liberaleren und eher säkular eingestellten Muslime sich nicht bemerkbar macht?

Sie haben Recht. Ich habe mal im Freundeskreis nachgefragt, und alle haben abgewinkt. Die meisten meinen immer noch ohne eigenen islamischen Verband auskommen zu können. Aber natürlich brauchen wir eine Organisation, sonst werden wir nicht wahrgenommen. Wir haben zum Beispiel eine kleine muslimische Gemeinde Rheinland, und dort treffen wir uns regelmäßig, aller drei Wochen, als liberale Muslime. Ein loser Verbund von Menschen, die miteinander beten und diskutieren.

Dann müssen die Bundesinnenminister also weiterhin die muslimischen Verbände nebst wenigen eher säkular eingestellten Muslimen zur Islamkonferenz einladen.

Aber schon die erste Runde unter Wolfgang Schäuble war eine Totgeburt. Wieso sollte man gerade mit Muslimen explizit über Integration sprechen? Oder Gesetzestreue? Das gilt doch für jeden! Das hat doch mit Religion nichts zu tun. Das erzeugte von Anfang an ein falsches Bild in der Bevölkerung, als würden sich Muslime nicht an Gesetze halten. Übrigens war auch die Mehrheit der Muslime in Deutschland entsetzt, dass ein paar obskure Verbände in ihrer aller Namen unterschreiben sollen, dass sie sich an die Gesetze halten.

Immerhin reden Staat und Muslime miteinander. Gibt es denn keinen Klärungsbedarf?

Doch es gibt wichtige Punkte: Wie entwickelt sich der Islam theologisch in Deutschland? Wie bekommen wir einen deutschen Islam? Und welche Rolle sollen die islamischen Verbände spielen?

Also müssen Sie froh sein, dass es jetzt islamisch-theologische Fakultäten in Deutschland gibt, damit Imame und Religionslehrer nicht mehr aus der Türkei kommen müssen.

Im Prinzip begrüße ich das. Aber ich sehe gleichzeitig, wie die Islamverbände bei der Ausbildung der Religionslehrer mitreden dürfen. Und ich sehe, wie der liberale Hochschullehrer Mouhanad Khorchide in Münster angegriffen wird, wenn er die orthodoxe Linie verlässt. Nur weil er sagt, dass die Gesetzestexte des Koran zeitgebundene Texte sind und in einem modernen Rechtsstaat eine zeitgemäße Interpretation einfordert. Wer den islamischen Verbänden auf die Füße tritt, wird mundtot gemacht. Religionslehrer sollten aber nicht zu einem Kadavergehorsam erziehen, sondern dazu, sich kritisch mit den Gottesbildern auseinanderzusetzen.

Wollen die Eltern denn überhaupt noch die alten überkommenen Glaubensvorstellungen?

Multiplikatoren, also Lehrer, Sozialarbeiter, Kita-Mitarbeiter, Ärzte erzählen mir, dass jetzt eine konservative Strömung da ist, die es so vor etwa 20 Jahren unter Muslimen in Deutschland noch nicht gab. Sie befürchten, dass die Gesellschaft auseinanderbricht, dass eine Gruppe heranwächst, die sagt, mit Ungläubigen wollen wir nichts zu tun haben.

Mit wem soll die Politik also jetzt ins Gespräch treten?

Auf jeden Fall muss man wissen, mit wem man da redet. Alle muslimischen Verbände in Deutschland werden aus dem Ausland finanziert. Alle, ausnahmslos! Das heißt, wir haben gar keinen deutschen Islam.

Wollen wir es so haben, dass der Islam in Deutschland von außen geregelt und kontrolliert wird? Dagegen müssen wir das zarte Pflänzchen eines liberalen Islam etablieren.

** Aus: neues deutschland, Montag, 13. Mai 2013



Weiß Allah

Schön, dass wir seit 2006, also seit Beginn der ersten Deutschen Islam-Konferenz mal miteinander geredet haben. Wir die Deutschen und Ihr die Muslime, also wir die guten Deutschen und Ihr die guten Muslime. Die bösen Muslime wurden ja aussortiert, die von Milli Görüş etwa, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden und zum Islamrat gehören, der dann draußen bleiben musste.

Woraufhin dann auch der Zentralrat der Muslime weg blieb. Piep, wir haben uns doch nicht alle lieb! Macht nichts, sagen säkulare Muslime. In den Verbänden hocken eh nur die verknöcherten Konservativen. Dumm nur, dass es die liberaleren Muslime, die angeblich die schweigende Mehrheit in und außerhalb der Moscheen darstellen, bis heute nicht geschafft haben, ihre eigenen wortmächtigen Verbände zu gründen. Ist auch wieder egal, da ja auf der Deutschen Islamkonferenz eh nichts Wichtiges und Gesetzesrelevantes beschlossen wird.

Wäre ja auch zu schön, wenn wir guten Deutschen mit Euch guten Muslimen ernsthaft darüber streiten würden, wie der Islam zur Weltlichkeit des Rechtsstaates steht, oder zum Pluralismus der Weltanschauungen, zur Demokratie, zur Frage der Frauen. Oder wie die hiesigen Muslime dazu stehen, dass nichtmuslimische Minderheiten in muslimisch dominierten Ländern bis aufs Messer bekämpft und drangsaliert werden.

Da hätte man mal ernsthaft etwa über die Islamische Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland reden müssen, die nur vom so genannten Kernbereich der Menschenrechte spricht, ohne diesen näher zu definieren. Gibt es für Muslime auch Menschenrechte ohne Schariavorbehalt? Andererseits hätte man ja auch mal über die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft reden können. Aber nicht doch, nur keine Politik! War ja jetzt sowieso das letzte Mal vor der Bundestagswahl. Und was danach kommt? Das weiß allein Allah, und natürlich die neue Bundesregierung.

Thomas Klatt




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