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"Wir vertreten den Islam der Mitte"

Ayyub Axel Köhler über Boykott und Wünsche des Zentralrats bezüglich der Islamkonferenz *


In der letzten Woche trafen sich muslimische und staatliche Vertreter in Berlin zu einem ersten Vorbereitungstreffen für die zweite Islamkonferenz. Im Vorfeld war es zwischen den großen muslimischen Verbänden und dem einladenden Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zum Streit gekommen. Dabei ging es unter anderem um die Teilnahme des Islamrats. De Maizière sprach sich dagegen aus, weil gegen dessen größtes Einzelmitglied Milli Görüs strafrechtlich ermittelt wird. Daraufhin berieten die verbleibenden muslimischen Verbände mehrmals darüber, ob sie die Islamkonferenz boykottieren sollten. Der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) entschieden sich für eine Teilnahme -- der Zentralrat der Muslime (ZMD) blieb der Sitzung fern. Neues Deutschland (ND) befragte dessen Vorsitzenden.

ND: Aus welchen Gründen haben Sie das erste Vorbereitungstreffen zu der Islamkonferenz (DIK) abgesagt?

Köhler: Die zweite Islamkonferenz macht so, wie sie konzipiert ist, keinen Sinn. Deswegen wollen wir vorher mit dem Innenminister über das Grundsätzliche, die Ziele, die Zusammensetzung, Inhalte und Themen sprechen. Auf der konstituierenden Sitzung haben wir keine Chance gesehen, noch etwas zu ändern.

Sie sind außerdem mit der Zusammensetzung der Konferenz unzufrieden?

Mit der Zusammensetzung auf muslimischer Seite, ja. Der Bundesminister hat eine bunte Runde von Muslimen eingeladen, von denen er annimmt, dass sie repräsentativ für den Islam in Deutschland seien. Die von der Basis der Muslime legitimierten Verbände sind in dieser Runde unterlegen und diskriminiert.

Sie sind mit den Einzelpersonen nicht einverstanden, die eingeladen worden sind?

Wenn man über die Zukunft des Islam hier in Deutschland sprechen will, wenn man Vereinbarungen treffen will, muss man mit denen verhandeln, die dafür legitimiert sind. Die großen Verbände sind durch ihre Moschee-Gemeinden legitimiert. Die Einzelpersonen sind nur durch das Innenministerium legitimiert dort teilzunehmen. Sie haben keine Vollmacht, für jemanden zu verhandeln. Dann sollen sie sich doch organisieren.

Wollen Sie nicht, dass auch säkulare Muslime vertreten sind? Es gibt doch auch eine ganz Reihe von Muslimen, die ihren Glauben nicht praktizieren ...

Ja, da gibt es Muslime, die wenig Interesse am Islam haben und denen es egal ist, ob zum Beispiel islamischer Religionsunterricht erteilt wird oder nicht. Das ist ihre persönliche Meinung, aber sie können nicht für andere Muslime sprechen.

Warum haben Sie die Chance, ihre Vorstellungen einzubringen, verstreichen lassen?

Nach den Äußerungen des Ministers im März sahen wir keine Chance, gehört zu werden. Zum Beispiel das Thema Islamfeindlichkeit. Sie ist Faktum hier in dieser Republik. Rita Süssmuth hat sich dahin gehend auch geäußert. Der Innenminister hat das Problem noch nicht erkannt. Er hat der Presse gegenüber gesagt: Na ja, man kann durchaus darüber reden, aber auch nicht zu viel. Das heißt also, da ist kein Problembewusstsein vorhanden.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie einen Mainstream-Islam vertreten. Haben Sie sich dadurch, dass sich Ihr Zentralrat der Muslime mit dem Islamrat solidarisiert hat, nicht von der Mitte wegbewegt?

Wir vertreten den Islam der Mitte. Alle vier Verbände haben es nicht gut geheißen, dass man den Islamrat auslädt. Das ist auch unsere Meinung.

Die anderen Verbände, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) sind trotzdem gekommen. Ein Fehler?

Ja. Gemeinsam hätten wir leichter etwas bewegen können. Der Minister hat ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Muslime zur Islamkonferenz eingeladen. Diese Islamkonferenz soll gar keine Ergebnisse haben. Aber uns brennen viele Probleme auf den Nägeln. Mögliche Lösungen werden nun wieder drei oder vier Jahre verschoben.

Sie haben an der ersten Islamkonferenz teilgenommen. Was ist bei der zweiten anders?

2006 hat sich die Politik zum ersten Mal mit den Muslimen offiziell getroffen. Das war ein großes Ereignis. Wir sind ins Gespräch gekommen und haben uns kennengelernt. Es sind viele generelle Vereinbarungen getroffen worden, Absichtserklärungen wurden gemacht. So wurde beispielsweise festgestellt, dass islamischer Religionsunterricht eingeführt werden sollte. Aber hier ist es nicht weitergegangen. Wir erwarten jetzt konkrete Schritte. Wir wollen nicht nochmal vier Jahre warten, bis etwas passiert.

Unser erstes Anliegen ist es, dass die islamischen Verbände, also die Dachverbände, als Religionsgemeinschaften behandelt und als solche in das deutsche Staatskirchenrecht integriert werden. Man muss eine Religionsgemeinschaft sein, dann kann man als Kooperationspartner des Staates beispielsweise Religionsunterricht an öffentlichen Schulen einrichten.

Hat der islamische Religionsunterricht tatsächlich eine so große Bedeutung für die Integration?

Stellen Sie sich vor, wie viele Generationen von Muslimen keinen ordentlichen Religionsunterricht bekommen haben. Wenn Kinder nicht richtig in der Religion ausgebildet werden, können sie schnell irgendwelchen Demagogen in die Hände fallen. Wir sprechen doch immer von Extremismus. Die Kinder, die nicht richtig Bescheid wissen über den Islam, sind empfänglicher für Extremisten.

Ist es vorstellbar, dass Sie in die Islamkonferenz zurückkehren?

Das ist immer noch möglich. Wir warten auf ein Zeichen des Ministers. Es ist nötig sich zusammenzusetzen.

Sollte genau das nicht bei dem Vorbereitungstreffen passieren?

Nein, es handelte sich ja um eine konstituierende Sitzung, wo grundsätzlich nichts mehr zu ändern ist. Und: Wo kein Problembewusstsein vorhanden ist, bringt kein Treffen etwas. Wir brauchen nicht nochmal ganz von vorne anzufangen.

Wie geht es denn jetzt weiter?

Wir warten mal ab, wie sich der Minister äußert. Wir haben ihm einen Brief geschrieben. Und auf eine Antwort warten wir jetzt.

Fragen: Antje Stiebitz

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2010


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