Feindbild Islam
Eine Glaubensgemeinschaft unter Generalverdacht – ein Beitrag zur Faschisierung des Imperialismus?
Von Uwe-Jens Heuer *
Auch beim Islam gilt es, religiöse Auseinandersetzungen nicht mit politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen in eins zu setzen. Religion ist auch hier als relativ autonom zu sehen, nicht, wie bei Karl Kautsky, als eine Art Mantel, der nur hinwegzuziehen sei. Allerdings ist hier die Trennung besonders schwer. Der Islam ist ein integraler Bestandteil der arabischen Kultur. Er hat sich in den letzten Jahrhunderten wenig verändert und befindet sich schon seit langem in der Defensive. Das erklärt auch in vielem die heutigen Reaktionen. Die Kampfansage an den islamischen »Fundamentalismus« hat lange vor den Anschlägen auf die USA am 11.9.2001 begonnen. Im Unterschied zur »respektablen« christlichen Religion wurde der Islamismus vom Zeitgeist schon länger als Ideologie charakterisiert und mit dem Begriff des »Fundamentalismus« abgewertet, siehe etwa das Buch des sozialdemokratischen Theoretikers Thomas Meyer »Fundamentalismus. Aufstand gegen die Moderne« von 1989 oder die Angriffe auf die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Annemarie Schimmel – mit einer Laudatio von Bundespräsident Roman Herzog – 1995 wegen ihrer »Parteinahme für theokratisch oder diktatorisch geführte politische Systeme des Orients« (Michael Naumann).
Die terroristischen Anschläge auf die USA 2001 gingen sofort auf Rechnung des Islam und lösten den Angriff auf das Afghanistan der Taliban aus, nicht lange zuvor noch Verbündeter im Kampf gegen die Sowjetunion. Der folgende Krieg gegen den Irak war ein Angriff auf einen Staat, der eindeutig nicht islamisch (im Sinne einer Staatsreligion) war. Vorher hatte man ihn im Kampf gegen den islamischen Staat Iran sogar unterstützt. Auch das heute zu den Schurkenstaaten gezählte Syrien ist in diesem Sinne kein islamischer Staat. An der Kreuzzugsstimmung änderte sich dadurch aber nichts. Der Umfang derartiger Stimmungen auch in Europa wurde nach der Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh durch einen islamischen Fanatiker deutlich und weiter angeheizt (2004).
Verzerrte Darstellungen
Sabine Schiffer hat ausführlich die Darstellung des Islam in deutschen Medien analysiert.[1] 1,2 Milliarden Individuen auf der Welt seien Muslime, in verschiedenen Ländern, Erdteilen und unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. »Dennoch läßt sich feststellen, daß in deutschen Medien ›die‹ Muslime zunehmend als homogene Masse erscheinen, die bedrohlich oder zumindest rückständig erscheint« (S. 24). Das Normale bleibt ausgeblendet, übersehen wird »etwa der hohe Anteil weiblicher Professoren in Ägypten und der Türkei (zirka 30 Prozent gegenüber zehn Prozent in Deutschland), die Diskussion um eine Männerquote an iranischen Universitäten, da dort die weiblichen Studierenden in der Überzahl sind, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß Frauen erst nach der islamischen Revolution dort das Wahlrecht erhielten« (S. 25). Kaum eine Islamthematisierung komme ohne Erwähnung des Kopftuchs aus. Was bleibe dann noch als Symbol für den »normalen« Islam, »wenn Moscheen, Gebete, Kopftücher und Bärte bereits als Symbole für Islamismus herhalten müssen«? Die immer wieder beschworene Genitalverstümmelung »sei eine altafrikanische Tradition, die auch in einigen islamischen Ländern Afrikas ebenso wie in vielen nichtislamischen angewandt wird« (S. 26 f.).
Das Ergebnis dieses Feindbildes Islam war, daß nun auch – wie schon länger in den USA – in Europa der Antiislamismus anwuchs. Der Antisemitismus stieg in Deutschland von 12,7 Prozent im Jahr 2002 auf 14,6 Prozent 2004, die Islamfeindlichkeit ist erheblich höher und stieg von 21,7 Prozent 2003 auf 23,4 Prozent. Die Ablehnung der Ansicht, daß die muslimische Kultur in die westliche Welt passe, stieg gleichzeitig von 66 Prozent auf 70 Prozent. Nach einer weiteren Befragung 2005 waren es 74 Prozent.
Diese Abwertungen wirken auf die Muslime umso verletzender, je stärker sie von den Verarmungsprozessen betroffen werden und die Religion gleichsam ihr letztes kulturelles Kapital bildet. Immer lauter tönt die Rede von einer notwendigen deutschen Leitkultur. In den Heimatländern der arabisch-moslemischen Zuwanderer seien »Verstümmelungen und Hinrichtungen ... Teil der Rechtsprechung«, schrieb Jörg Schönbohm, CDU-Vorsitzender und Innenminister in Brandenburg, Partner von Matthias Platzeck, im Neuen Deutschland vom 28.1.2005. Er verurteilt »die Beliebigkeit der Multikulti-Utopisten«, fordert ein Bekenntnis zu unserer Kultur.
Inzwischen wurde der neugewählte Bundestag vom Parlamentspräsidenten Norbert Lammert mit einer Berufung auf die Leitkultur eröffnet, der Bundespräsident ruft immer wieder Gott an, der Generalsekretär der CDU Markus Söder fordert in der Berliner Zeitung vom 25.2.2005 einen »ideellen Überbau«, einen positiven Patriotismus. Wir brauchten viele Schulgebete, und es darf natürlich auch nicht der Satz fehlen: »In bayrischen Klassenzimmern gilt der Grundsatz: Kruzifixe statt Kopftücher«. Die neue Bundeskanzlerin reihte sich in der Zeit vom 17.11.2005 ein: »Rationale Politik alleine wird ... die gewünschte Sicherheit nicht bieten können. Ich glaube, daß Religion und gesellschaftliche Verankerung im umfassenden Sinne dazukommen müssen. So etwas wie Gottvertrauen kann nicht einfach durch rational abgeleitete Sicherheiten gewährleistet werden«. Es gehe um das christliche Menschenbild.
Im letzten halben Jahr wurde das Feindbild Islam im Inland wachgehalten, aber zugleich immer stärker dominiert von der ideologischen Vorbereitung eines Krieges gegen den Iran. Vereinzelte Vorkommnisse dienten dazu, den Generalverdacht gegen Muslime aufrechtzuerhalten. Zu nennen sind die Kampagnen zur Neuköllner Rütli-Schule und gegen Freisprüche beim »Ehrenmord« in der Familie Sörüci im April sowie die seit März bis heute währenden, vom Spitzenkandidaten der CDU in Berlin, Friedbert Pflüger, unterstützten Demonstrationen gegen die Genehmigung des Baus einer Moschee in Berlin-Heinersdorf.
Zur selben Zeit beschloß laut Freitag vom 12.5.2006 einmütig eine Konferenz der Innenminister der Länder auf der Zugspitze, daß künftig Ausländer nur Deutsche werden können, wenn sie »einen Pflichtkurs über die Grundsätze und Werte der Verfassung sowie einen Sprachtest mit Abschlußprüfung« absolvieren. Es wird zum Teil sogar ein Eid auf die Verfassung gefordert.
Auf Kriegskurs
Ein weiterwirkender Vorfall war der sogenannte Karikaturenstreit. Am 30. September 2005 veröffentlichte die dänische Zeitung Jyllands-Posten zwölf Karikaturen, die Mohammed zeigen, unter anderem mit einer Bombe unter dem Turban. »Natürlich hätten wir auch etwas anderes machen können. Ein Feature vielleicht oder ein Interview«. Aber damit hätte man nichts bewirkt, erklärte der Kulturchef der Zeitung. Jyllands-Posten sei, wie Klaus Hartmann schreibt, Vorreiter und Sprachrohr der rechten Regierung, die auf die Unterstützung einer profaschistischen Dänischen Volkspartei angewiesen sei. Die Asyl- und Ausländergesetze waren drastisch verschärft worden, die öffentliche Diskussion sei von »Feindseligkeit gegenüber Einwanderern bestimmt«. Die Reaktion auf die Karikaturen erfolgte erst Monate später und war außerordentlich heftig; sie reichte bis zu Angriffen auf dänische Missionen im Ausland.
Sabine Kebir mahnte im Freitag vom 10.2.2006 eindringlich: »Kopftuch, Zwangsheirat und Ehrenmorde sollten genausowenig wie die muslimischen Überreaktionen auf die Karikaturen als stillschweigende Rechtfertigungen geplanter militärischer Eskalationen in Betracht kommen«. Das ist tatsächlich der Punkt, um den es geht. Man wird nicht müde, uns zu erklären, daß es eigentlich kaum noch einen Unterschied zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen innerem und äußerem Feind, inneren und äußeren Militäreinsätzen gibt. Die deutsche Bundeskanzlerin äußerte auf der berühmt-berüchtigten Münchner Sicherheitskonferenz vom Februar diesen Jahres: »Der Iran hat mutwillig – ich muß das leider so sagen – die ihm bekannten roten Linien überschritten«. Als das Naziregime in den Anfangsjahren erstarkt sei, habe es oft geheißen, das sei nur Rhetorik. »Es hat sich im nachhinein herausgestellt, daß es Zeiten gegeben hätte, in denen man anders hätte reagieren können, und meines Erachtens ist Deutschland verpflichtet, schon auf früher Stufe etwas zu tun.« Alles andere sei »Appeasement«. Die Zeit hatte schon am 18.3.2004 mit »Die Offensive des Islamo-Faschismus« getitelt. Tatsächlich garantiert der Atomwaffensperrvertrag (NPT) jedem Staat das Recht auf die Urananreicherung. Und viele Staaten nehmen das auch in Anspruch, erklärte der Staatsrechtler Norman Paech am 26.1.2006 im Deutschen Bundestag. Jetzt verlange man vom Iran, auf dieses Recht zu verzichten, ohne ihm die Unabhängigkeit seiner Energieversorgung und die Beseitigung der Bedrohung durch die Nachbarstaaten zu gewährleisten. Es habe Regelverstöße gegeben, aber keine Verletzung des NPT. Eine wirkliche Lösung könne nur ein Gewaltverzicht der USA und die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Zone von Israel bis Indien sein.
Von den USA wurde eine Politik eingeschlagen, die das bisherige Völkerrecht aus den Angeln hebt. Der Rechtswissenschaftler Ulrich K. Preuß spricht in der FAZ vom 9.5.2006 von einem demokratischen Hegemon, dem allerdings seine Feinde leicht als Feinde der Menschheit erscheinen. Es bestehe die Gefahr, »daß sich hier eine Sphäre minderen Rechts für Pariastaaten herausbildet«, womit der demokratische Hegemon »selbst ein gravierendes Ordnungsproblem darstellt«. Ein drastisches Beispiel für die Willkür des US-amerikanischen Vorgehens war Anfang März die Vereinbarung mit Indien, dem, obwohl es den Sperrvertrag nicht unterschrieben hat, der Machtgewinn durch Atomwaffen zugebillgt wurde und jetzt die nukleare Zusammenarbeit mit den USA zugesagt wird. Götz von Randow geht in der Zeit vom 20.4.2006 davon aus, daß Teheran mindestens vier Jahre braucht, um eine Atombombe zu bauen. Der Iran ist wie bisher bereit, sich kontrollieren zu lassen.
Es bleiben die tatsächlich teilweise unerträglichen Erklärungen des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad etwa in einem Spiegel-Interview vom 29.5.2006, wo er erneut kategorisch erklärt, daß er den Holocaust nach wie vor für nicht bewiesen halte, und daß man eine unparteiische Forschung brauche. Wenn man diese Frage geklärt habe, liege die Schuld nicht bei den Palästinensern. Hätte es den Holocaust aber nicht gegeben, dann müßten »die Juden dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind«. Seine Erklärungen stehen an Aggresivität denen des US-Präsidenten keineswegs nach. Aber in die Tat umgesetzt hat er sie – im Gegensatz zu George W. Bush – nicht.
Iran im Visier
Die Gefahr eines Krieges gegen Iran wird immer deutlicher. Wenn die Stimmung weiter angeheizt wird, scheint er unvermeidlich. Wer wie US-Vizepräsident Dick Cheney davon ausgeht, daß der Krieg gegen den Terror vielleicht niemals endet, »jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten«, oder – wie der frühere CIA-Chef James Woolsey – der Auffassung ist, daß der »vierte Weltkrieg« mehrere Jahrzehnte dauern werde (Knut Mellenthin in jW vom 8.2.2006), der scheut auch vor einem neuen Präventivkrieg nicht zurück. In der Zeit vom 16.2.2006 wird sekundiert: Iran sei kein zweiter Irak »und Deutschland wird möglicherweise eine ganz andere Antwort geben müssen. Nicht heute und nicht morgen. Aber in zwei, drei oder vier Jahren müssen wir womöglich Position beziehen, etwa zu einem israelischen Präventivschlag gegen die iranischen Nuklearzentren oder zu einem Angriff der USA«.[2]
Georges Corm stellt die Frage, ob der asymmetrische kriegerische Aufwand der Bekämpfung des »islamischen Terrorismus« es sei, »der vielleicht immer mehr junge Menschen in die Gewalt treibt«. Man wolle, so ist die Schlußfolgerung, die arabische Intelligenzija für Frieden und Demokratie mobilisieren. »Doch die Grenzen dieses Handelns sind bei den Wahlen im Iran, in Ägypten und Palästina in aller Klarheit zutage getreten. Die Politik des Westens ist im Grunde nichts anderes als die Politik der europäischen Großmächte im 19. Jahrhundert, die unter dem Vorwand der Modernisierung und Demokratisierung des Osmanischen Reiches und der persischen Monarchie ihre kolonialen Ambitionen verfolgten, indem sie beide moribunden Imperien zerstückelten«.[3] Also zusammengefaßt: Neokolonialismus durch einen, wie Ulrich K. Preuß sagt, demokratischen Hegemon, der seine Weltherrschaft auf Dauer sichern will und dabei für sich weder juristische noch politisch-moralische Grenzen anerkennt, sondern nur praktische zeitweilige Hindernisse.
Der zuverlässigste und unter bestimmten Bedingungen unentbehrliche Verbündete der USA ist dabei Israel. Schon vor zwei Jahren wurde die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Iran offen deklariert. »›Sie glauben doch nicht‹, sagt der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Shabtai Shavit, ›daß die USA oder Israel auch nur einen Moment lang damit leben können, daß eine Bande fanatischer Muslime die Atombombe in Händen hält?‹ Notfalls müsse das mit militärischer Gewalt verhindert werden. ›Das aber‹, sagt Shativ, ›werden wir nicht ohne amerikanische Zustimmung tun‹. Beim Thema Iran treffen sich die Urängste der Neocons mit denen des Staates Israel«. (Die Zeit vom 28.10.2004) Gerade erst hätten die USA Israel zugesagt, 500 bunkerbrechende Bomben zu liefern. Jetzt analysiert Zeit-Autor Josef Joffe, über welche technischen Möglichkeiten Israel heute verfügt, insbesondere in Anbetracht der gegenüber 1981, als der irakische Atomreaktor zerstört wurde, weit größeren Anzahl zu zerstörender Objekte. In sechs oder acht Jahren, wenn der Iran die Bombe hat, würde allerdings Israel über fünf U-Boote als sichere Zweitschlagskapazität verfügen.
Deutschland hätte, wie Peter Schneider konstatiert, bei einem mit US-amerikanischer Hilfe geführten Angriff wenig beizutragen. Allerdings würde jetzt die deutsche Regierung sich zu ihren Hilfeleistungen bekennen müssen, »und wohl auch dazu, daß sie Israel auch dann unterstützen wird, wenn sie einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen für verfrüht oder für falsch und kontraproduktiv hält« (Die Zeit, 27.4.2006).
UN-Charta gekippt
Es wird nur noch militärtaktisch argumentiert. Das Verbot des Angriffskrieges und bereits der Kriegsdrohung in der UN-Charta interessiert nicht mehr. Aus diesem Stand der Vorbereitung ergibt sich auch die Unterstützung des Programms von Ehud Olmert, in Fortsetzung seines Vorgängers Ariel Scharon einseitig die neuen Grenzen Israels festzulegen und durch Mauer und Zaun zu sichern, durch die USA, aber sicher auch durch die EU, obwohl dies eindeutig gegen die sogenannte Road Map von USA, UN, EU und Rußland von 2003 verstößt. Olmert erklärte am 5. Mai: »Ich persönlich glaube, daß wir ein historisches Recht auf das ganze Land Israel haben. ... Aber mit weinenden Augen und zerrissenem Herz müssen wir für eine jüdische Mehrheit sorgen, daher ist die Teilung des Landes der Rettungsanker des Zionismus.«
Die Räumung von 8500 Siedlern aus Gaza wurde begleitet vom Anstieg der Zahl der Siedler im Westjordanland um 6000 auf eine Viertelmillion. Kein einziger der 52 illegalen Vorposten, die Expremier Scharon zu räumen versprach, wurde evakuiert; mehr als 4000 neue Wohneinheiten werden derzeit gebaut. Nach einem Bericht von Igal Avidan im Parlament vom 15.5.2006 ist beabsichtigt, »die große Siedlung Ariel ... mit 17000 Einwohnern ... einzuzäunen und durch einen schmalen Korridor mit Israel zu verbinden«. Die östliche Grenze Ariels sei immerhin 21 Kilometer von der »Grünen Linie« entfernt. »Die Siedlung würde einen Keil zwischen palästinensische Gebiete treiben sowie die Hauptstraße zwischen der Mittelmeerküste und dem Jordantal kontrollieren, das ebenfalls ein Teil Israels bleiben soll. Das gleiche gilt für alle großen Siedlungsblöcke um Jerusalem, in denen bis zu 70 000 evakuierte Siedler ein neues Zuhause finden sollen.« Auf diese Weise würde, wie Knut Mellenthin in jW vom 26.5.2006 folgert, die Westbank an ihrer schmalsten Stelle in zwei Teile zerschnitten. Israel kontrolliert alle Außengrenzen dieses geteilten Staates, der diesen Namen nicht verdient. Es behält sich das Recht zu militärischem Eingreifen vor. Am 24. Mai wurde dieser Plan von Olmert in Abgeordnetenhaus und Senat der USA vorgetragen und mit langem Applaus und bei stehenden Ovationen bejubelt.
Vor diesem Hintergrund ist der Sieg der Hamas bei den Wahlen am 25. Januar verständlich. Sie gewann 74 von 132 Sitzen. Die Niederlage der bisher regierenden Fatah beruhte vor allem auf der weitverbreiteten Korruption der »Tunesier« und ihren Zugeständnissen an Israel ohne wirkliche Gegenleistung schreibt Yonatan Ben Efrat in der jW vom 3.4.2006. »Die USA bekamen einen Geschmack davon, was passieren kann, wenn sie im Mittleren Osten ihre Demokratie einführen wollen. Wahlen in dieser Region kennen nur einen Sieger: den Islam.« Man müsse daran erinnern, daß während des Kalten Krieges die USA halfen, »säkulare Alternativen in der ganzen Region auszulöschen, indem sie islamische Parteien förderten«. Israel geht wie die EU nach wie vor davon aus, daß die Hamas eine terroristische Organisation sei. Tatsächlich hat Hamas seit August 2004 keinen Terroranschlag mehr gegen Israel durchgeführt. »Im Nahen Osten existiert neben der israelischen nun auch eine palästinensische Demokratie.« Von der Hamas wird gefordert, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, ebenso alle bisher mit Israel getroffenen Vereinbarungen und der Gewalt abzuschwören. Es gibt aber keinerlei entsprechende Forderungen an die Gegenseite. Die EU will Geld geben, aber dieses Geld darf auf keine Fälle in die Hände der »frei gewählten« Regierung gelangen. Der Kampf der Fatah und des Präsidenten Abbas gegen die gewählte Regierung der Hamas kann nur Israel weiter stärken und zu der Einsicht führen, daß es für die Palästinenser keinerlei Perspektive mehr gibt. Raif Hussein, stellvertretender Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinde Deutschlands e.V., führt laut junge Welt vom 18.5.2006 die Abwahl der Fatah auf ihre Steigerung der Korruption und Vetternwirtschaft zurück und auf ihre Verhandlungen mit den Israelis, »die nichts gebracht haben außer einer Mauer, die den Palästinensern das Leben zur Hölle macht«.
Die USA und Israel, gemeinsame Kämpfer im »vierten Weltkrieg« gegen den Terrorismus, wird das Schicksal der Palästinenser aber kaum noch interessieren. Die gegenwärtige Offensive im Gazastreifen, insbesondere die Festnahme von Ministern und »frei gewählten« Abgeordneten, die vor Gericht gestellt werden sollen, macht das ein übriges Mal deutlich. Israel legt längst keinen Wert mehr auf einen palästinensischen Verhandlungspartner.
Als Resümee kann ein Zitat aus der Berliner Zeitung dienen, mit Sicherheit kein Organ der Linken. Sie stimmt jetzt in einem Leitartikel dem früheren sozialdemokratischen Pressesprecher Uwe-Karsten Heye zu, wenn er gefährliche Ausländerfeindlichkeit in »Brandenburg und noch anderswo« registriert. Allerdings dürfe man den Anteil der Politik und vor allem der Medien nicht vergessen. Die Tendenz sei unübersehbar. »Irgendwann stehen der Islam und mit ihm die gesamte muslimische Gemeinschaft unter dem Generalverdacht, mit Terroristen und Selbstmordattentätern zu sympathisieren. Ein besonders perfides Beispiel liefert derzeit der Atomstreit mit dem Iran. Dessen Präsident wird von manchen Blättern sei Monaten schon systematisch mit Hitler gleichgesetzt.« Die Formulierung »Mullah-Hitler« verharmlose nicht nur den Holocaust und beleidige Millionen Hitleropfer. »Sie verleumdet auch all jene, die nach wie vor für Verhandlungen und für eine friedliche Lösung eintreten, als Appeasement-Befürworter.« Das Feindbild Islam zielt auf Krieg, ja Dauerkrieg und auf seine ideologische Legitimation durch die Behandlung aller Gegner als Parias. Deshalb drängt sich die Frage nach faschistoiden Zügen des heutigen Imperialismus auf.
Fußnoten-
S. Schiffer, "Der Islam in deutschen Medien", In: Aus Politik und Zeitgeschehen. Beilage zum Parlament, 2/2005 [siehe auch: "Die Darstellung des Islam in der Presse"]
- M. Nass, "Deutschstunde in Nahost", Die Zeit vom 16.2.2006
- G. Corm, "Die Dynamik des islamischen Aufbegehrens", In: Le monde diplomatique, 10.3.2006
* Der Text basiert auf einem Vortrag, den der Autor am 1. Juni auf einem Kolloquium des Europäischen Friedensforums und der Gesellschaft zum Schutz von Bügerrecht und Menschenwürde (GBM) gehalten hat.
Unsere Deokumentation des Textes beruht auf einer Veröffentlichung in der Wochenendbeilage der "jungen Welt" am 8. Juli 2006
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