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Streitfrage: Sollte das Mohammed-Video verboten werden?

Es debattieren: Johann-Albrecht Haupt, Humanistischen Union, und Aiman Mazyek, Zentralrat der Muslime


Ein Film erregt derzeit die Muslime weltweit. In »Die Unschuld der Muslime« wird der Prophet Mohammed verunglimpft. Mehrere Botschaftsgebäude westlicher Staaten in der arabischen Welt wurden bereits angegriffen. Es gab Tote: Unter anderem fiel der Botschafter der Vereinigten Staaten in Libyen dem gewaltsamen Protest zum Opfer.
Eine rechtspopulistische Splitterpartei will den umstrittenen Streifen angeblich in der Bundesrepublik öffentlich aufführen. Sie hatte bereits vor einigen Monaten bei deutschen Muslimen für Empörung gesorgt, als ihre Mitglieder mit Karikaturen des Propheten vor Moscheen demonstrierten. Gewalttätiger Protest war die Folge. Die Politik befürchtet auch dieses Mal massive Ausschreitungen und diskutiert deshalb ein Verbot von »Die Unschuld der Muslime«.
Zusätzlich wird die Debatte um das antiislamische Schmähvideo von neuen Mohammed-Karikaturen angefeuert. Sie wurden in dieser Woche in einer französischen Satirezeitung veröffentlicht.



Schaden ist bereits angerichtet

Von Johann-Albrecht Haupt *

13 bis 14 Minuten dauert der im Internet über You Tube verbreitete Zusammenschnitt des Films »Die Unschuld der Muslime«. Ein Verbot in Deutschland ist schon technisch nicht mehr machbar, von den juristischen Schwierigkeiten, Internetinhalte wirksam mit Verboten zu bekämpfen, ganz zu schweigen.

Die Aufführung des gesamten Films in einem Kino oder in einer anderen Versammlungsstätte wird von einer Vereinigung aus der rechtsradikalen Szene angeblich geplant. In politischen Kreisen in Berlin wird darüber diskutiert, wie eine solche Aufführung unterbunden werden könne. Das ist keine gute Idee. Der Schaden ist bereits eingetreten: Die weltweite Empörung islamischer Kreise über den Inhalt des Films, die Verunglimpfung Mohammeds, hat Menschenleben gekostet und wird möglicherweise weitere Opfer kosten.

Dass speziell eine Filmaufführung in Deutschland den Schaden vergrößern würde, möchte ich bezweifeln; und dass ein erfolgreiches Veranstaltungsverbot - wäre es denn rechtlich durchzusetzen - den Eintritt weiteren Schadens verhindern würde, möchte ich ebenso bezweifeln. Denn der Film ist nun einmal ebenso in der Welt wie der vielerorts in Gewalttaten ausbrechende, zur Schau gestellte Zorn vieler in ihren religiösen Gefühlen verletzter Islamanhänger.

Der Inhalt des Films ist lächerlich und schwachsinnig. Dem Propheten Mohammed werden - nach dem mir allein bekannten Zusammenschnitt - monströse Untaten vor allem sexuellen Inhalts nachgesagt, daneben Grausamkeiten und Gewalttaten gegen Andersgläubige (Christen, Juden). Aber unabhängig vom jeweiligen Inhalt ist der Schutz der freien Meinungsäußerung in Deutschland nach Artikel 5 Grundgesetz ebenso garantiert wie der Schutz von filmischen Darbietungen (Filmfreiheit), möge ihr künstlerischer Gehalt auch in der Nähe der Nachweisgrenze liegen.

Zu Recht hat es die Rechtsprechung abgelehnt, hier Abstufungen des Grundrechtsschutzes nach dem Grad der vermeintlichen künstlerischen Wertigkeit vorzunehmen. Zensur, Verbote von Meinungsäußerungen, Schriften und Bilddokumenten sind einer demokratischen Gesellschaft wesensfremd. Gesichtspunkte des Persönlichkeitsschutzes kommen rund 1400 Jahre nach dem Tod Mohammeds nicht in Betracht. Und ein strafrechtlicher Spezialehrenschutz für Religionen, wie sogleich aus der CSU wieder gefordert wird, widerspricht der weltanschaulichen Neutralität des säkularen Staates.

Die mit dem Film ganz offensichtlich beabsichtigte Provokation der Muslime steht erkennbar im Zusammenhang mit dem aktuellen Wahlkampf in den USA. Eine Konfrontation des christlichen Amerika mit dem Islam kommt dem fundamentalistisch-christlich-religiösen Teil der US-amerikanischen Bevölkerung gelegen, weil er sich dadurch Vorteile für den republikanischen Bewerber Mitt Romney verspricht.

Der Vorgang zeigt sowohl mit Blick auf Amerika wie auch auf die islamischen Staaten wieder einmal deutlich, dass Religionen in großen Teilen auch heute noch nichts zum friedlichen Miteinander der Menschen beitragen, sondern im Gegenteil ein beachtliches und überall in der Welt noch wachsendes Konfliktpotenzial bergen und bei geringstem Anlass freisetzen. Das trifft natürlich nicht in gleicher Weise auf alle Religionen und vor allem nicht auf alle ihre einzelnen Anhänger zu. Aber es fällt doch auf, dass in Geschichte und Gegenwart Religionen, vor allem monotheistische Religionen, ebenso wie vergleichbare Weltanschauungen mit ihrem ausschließlichen Wahrheitsanspruch bemerkenswert häufig Auslöser oder Katalysatoren oder Verstärker von inneren wie äußeren kriegerischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen waren und sind.

Dagegen sind Beispiele für ein dauerhaftes friedliches Miteinander wie auch der friedlichen Konfliktregelung von Religionen spärlich und allenfalls in religionsrechtlich gebändigten Gesellschaften zu beobachten, das heißt dort, wo Staat und Religion getrennt und die Religionen dem für alle geltenden Gesetz unterworfen sind. Hier liegt die eigentliche Aufgabe, namentlich, aber nicht nur, der islamischen Staaten.

* Johann-Albrecht Haupt ist Vorstandsmitglied der Bürgerrechtsorganisation Humanistischen Union.


Eskalation der angespannten Lage als Ziel

Von Aiman Mazyek **

Wir beim Zentralrat der Muslime haben die Angriffe auf die deutsche Botschaft in Sudan wie zuvor das Attentat auf den amerikanischen Botschafter und seinen Mitarbeitern in Libyen auf das Schärfste verurteilt. Es gibt dafür keine Rechtfertigung in der Religion. Auch die anderen gewaltsamen Ausschreitungen in Teilen der islamischen Welt sind nicht zu rechtfertigen. Die Randalierer verteidigten damit in keiner Weise die Ehre des Propheten, denn dieser hat stets mit Weisheit und Ermahnung auf Schmähungen und Beleidigungen reagiert. Wenn es so etwas wie Fremdschämen gibt, dann hier.

Weltweit identifiziert sich die große Mehrheit der Muslime keineswegs mit diesen gewalttätigen Ausschreitungen. Selbst die Demütigungen der letzten Jahre - unter anderem Abu-Ghuraib, Koranverbrennungen und gewaltsame Einmärsche in Afghanistan und Irak - rechtfertigen nicht die Gewalt der vergangenen Tage gegen Unschuldige.

Gleichzeitig haben wir das Schmähvideo »Die Unschuld der Muslime« verurteilt und sehen darin einen gezielten Versuch, Hass und Zwietracht unter den Völkern zu sähen und die Würde der Muslime zu verletzen Das Menschenrecht auf Würde und Integrität gilt es hierbei zu verteidigen. Darum begrüße ich die Haltung der Bundesregierung, die dies ebenfalls zum Ausdruck gebracht hat.

Das Schmähvideo wird von Extremisten instrumentalisiert. Ihre Absicht ist es, in den islamischen Ländern die jungen Demokratien zu zerstören und Freiheit und Menschenrechte anzugreifen. Die Angriffe auf Botschaften nutzen den alten Diktatoren, die von demokratischen Bewegungen davongejagt wurden. Ebenso versuchen Terrorgruppen, durch Gewaltexzesse einen Zustand von Unsicherheit und Hass zu erzeugen. Denn Verängstigung ist der beste Nährboden für ihre extremen Positionen. Der low-budget Film, in dem der Hauptdarsteller einen Mörder, Kinderschänder und Frauenheld spielt, soll nach dem Willen der Produzenten den Propheten Mohammed darstellen. Der Film hat offensichtlich eine reine Provokation und Eskalation zum Ziel. Aber der Versuch ist so schlecht gemacht, dass ich persönlich niemals den geehrten Propheten Mohammed wiedererkenne. Dennoch teile ich die Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach rechtlicher Prüfung, ob die Inszenierung einer rechten Partei, die den Film öffentlich zeigen will, unterbunden werden kann.

Rechtsextreme wollen Muslime durch diese Inszenierung diffamieren und in der ohnehin angespannten Lage weiter Rassismus predigen. Ich fürchte, dass Gegenreaktionen muslimischer Fanatiker nicht ausbleiben werden - sozusagen die Kehrseite derselben Medaille. Dadurch kann der öffentliche Frieden empfindlich gestört werden. Die Filmemacher hätten somit eines ihrer Ziele erreicht. Das sollten wir unbedingt verhindern. Ich befürchte durch die öffentliche Aufführung des Films eine Zunahme an rassistischen Übergriffen auf uns Muslime. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass nach solcher Hetze die Hemmschwelle in der Gesellschaft zu Brandanschlägen auf Moscheen und tätlichen Angriffen auf Menschen muslimischen Glaubens sinkt.

In der aktuellen Diskussion geht es nicht darum, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit gegeneinander auszuspielen. Wir sollten nicht die ideologische Debatte zu Gunsten der einen und dadurch auf Kosten der anderen Seite führen. Meinungsfreiheit bedeutet nicht nur, jemandem eine vermeintlich falsche Ansicht zuzugestehen. Es bedeutet auch, offenkundigen Schund bisweilen aushalten zu müssen. Im Umkehrschluss kann es aber nicht bedeuten, dass jeder Schund die Meinungsfreiheit automatisch verteidigt.

In den vergangenen Tagen hatte ich den Eindruck, dass das zuweilen so ist. Satire zum Beispiel - gute allemal - basiert auf einem intelligenten Kniff, ist durchdacht und will meistens auf bestimmte Missstände aufmerksam machen. Satire heißt jedoch nicht: Ich bespucke meinen Nachbarn, lache dabei und sage »Ätsch, das ist Satire!« Und weil sich das obendrein noch gut verkauft und meinem Blatt die lang ersehnte Auflage beschert, wiederhole ich diesen Vorgang. Nein, das ist keine Satire, das ist einfach nur asoziales und albernes Verhalten.

** Aiman Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

Beide Beiträge erschienen in: neues deutschland, Samstag, 22. September 2012 ("Debatte")


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