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"Hysterische Glaubenstiere"

Von Jörg Becker *

Im März 2002 hieß es in einem Feuilletonartikel in der FAZ: »Unterdrückt, kleingehalten, dummgemacht, am Fortschritt gehindert, zum Rückschritt gezwungen, stehen die muslimischen Völker des Ostens heute weit unter dem Bildungsniveau derer des Westens. Bauchmenschen, Glaubenstiere, hysterisch und fanatisiert, zurückgeworfen auf Viehhändlergebote, im gerechten Bewusstsein, dass ihnen Unrecht geschieht, doch ohne das intellektuelle Rüstzeug, im Rahmen der Vernunft, die doch der morgenländischen Weisheit erster und letzter Ratschluss ist, dagegen zu kämpfen.«

Gewiss. Dieses Zitat ist noch harmlos gegenüber dem folgenden: »Wir sollten im Stadtpark ein Tierbordell errichten, damit die muslimischen Männer dorthin gehen können und sich nicht an den Mädchen im Stadtpark vergreifen.« Doch eint beide Zitate der Bezug zu Tieren. Wenn man wie Ludwig Erhard (CDU) 1965 Intellektuelle als »Pinscher« bezeichnet, wenn man wie Hildegard Stausberg (CDU), damals Chefredakteurin bei der Deutschen Welle, Ende der 90er Jahre über Inder sagt, »die vermehren sich wie die Karnickel«, dann erinnert sich der wache Zeitgenosse an Thilo Sarrazin (SPD), der im letzten Jahr schwadronierte, dass Araber und Türken in Deutschland »ständig neue kleine Kopftuchmädchen produzieren«. Auch wenn man wie Franz Müntefering (SPD) 2005 gefährliche Finanzinvestoren »Heuschrecken« nennt, begibt man sich auf das politische Niveau des »Stürmer«, der Juden als Ungeziefer bezeichnete, die man getrost zertreten könne. Eine solche Sprache entmenschlicht. Sie macht aus Menschen Tiere, die man genau deswegen und getrost unmenschlich behandeln kann. Eine solche Sprache ist im demokratischen Diskurs nicht möglich.

Wo fängt Islambashing in den Medien an, wo hört es auf? »Kommen nach Beitritt der Türkei Gott und Allah in die Verfassung?« So fragte die evangelikale Zeitschrift »Spektrum« in einer Artikelüberschrift anlässlich des damals bevorstehenden Beschlusses der EU-Kommission Anfang Dezember 2004, mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Dies ist suggestiver Journalismus: Man stellt eine völlig abwegige Behauptung in den öffentlichen Raum, um diese sodann umso heftiger attackieren zu können. Und nach dem Mord an dem niederländischen Filmregisseur Theo van Gogh brachte »Spektrum« auf der Titelseite eines anderen Heftes in Großdruck hasserfüllte Zitate auf die deutsche Bevölkerung von Muslimen und sprach im Innenteil von in der Zukunft möglichen »Straßenkämpfen in den Großstädten«, von »wachsenden Bürgerkriegsängsten«, von »devoten Deutschen«, die keinen Mut mehr hätten, sich kritisch mit dem Islam auseinander zu setzen.

Zugegeben: »Spektrum« ist zwar obskur, wird u. a. aber auch aus Mitteln der EKD finanziert und die ist eben nicht obskur, sondern steht mit beiden Beinen in der Mitte der Gesellschaft. Und auch die Tier-Sexualitätsvergleiche verteilen sich schön gleichmäßig auf CDU und SPD und kommen eben nicht vom Rande der Gesellschaft.

Und von wem sind die beiden Eingangszitate? Das erste Zitat stammt von Ulla Unseld-Berkéwicz, Inhaberin des Suhrkamp-Verlages und damit eine der kulturpolitisch einflussreichsten Linksintellektuellen, das zweite Zitat stammt von Susanne Winter, einer österreichischen Politikerin der rechtsradikalen Partei FPÖ.

Man sieht: Islamfeindlichkeit ist sowohl bei Linken als auch bei Rechten, bei Frauen als auch bei Männern salonfähig! Mit dem genialen Sprachverdreher Ernst Jandl bleibt nur noch die Möglichkeit, von Rialog, Iglam, Ropftuch oder Tellolismus zu reden. Man kann also den deutsch-türkischen und den islamisch-christlichen Rialog kaum noch führen. * Der Autor ist Medienwissenschaftler und lebt in Solingen.

Aus: Neues Deutschland, 16. August 2010 (Medienkolumne)



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