Anschlagsziel Islam
Hunderte Angriffe auf muslimische Gotteshäuser in Deutschland in den letzten zehn Jahren. Aktuelle Auflistung der Bundesregierung hat viele Lücken
Von Nick Brauns *
Brandanschläge, Steinwürfe, Bombendrohungen, Schändungen mit Schweinsköpfen und Hakenkreuzschmierereien – Moscheen in Deutschland werden immer häufiger zum Ziel fremdenfeindlicher Angriffe. 219 politisch motivierte Straftaten gegen islamische Gotteshäuser im Zeitraum von 2001 bis 2011 nennt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. In nur 36 Fällen konnten Tatverdächtige ermittelt werden. Es waren bis auf wenige Ausnahmen Neonazis.
Die von der Bundesregierung vorgelegte Auflistung ist jedoch unvollständig und undifferenziert. Denn eine von der Linksfraktion und muslimischen Verbänden geforderte separate Erfassung islamfeindlicher Straftaten – analog zur Erfassung antisemitischer Straftaten – hatten die Polizeibehörden von Bund und Ländern nach Angaben der Bundesregierung »noch im Jahr 2011 erörtert, aber letztlich einvernehmlich nicht weiter verfolgt«. So finden sich in dem Bericht neben der Masse neofaschistischer Anschläge auch einzelne wohl aus dem linken kurdischen Spektrum begangene Übergriffe auf Vereine türkischer Faschisten. Bei einer Reihe von Drohanrufen und volksverhetzenden Schmierereien will die Bundesregierung zwar ein fremdenfeindliches Motiv, aber keinen rechtsgerichteten Hintergrund erkennen. Offenbar hatten sich die Täter – wie in der Islamhasserszene gängig – als Verteidiger des Grundgesetzes oder proisraelisch und proamerikanisch gebärdet.
Die vergangenen September vom Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, Gerhard Piper, veröffentlichte Studie »Moscheeanschläge: schleichende Kristallnacht« listet 122 Anschläge, ein Dutzend Bombendrohungen und rund 50 Schändungen gegen 92 islamische Gotteshäuser in 82 deutschen Städten und Gemeinden während der letzten 30 Jahre auf. Ein Vergleich mit den 81 von Piper vor allem durch Auswertung von Lokalzeitungen zwischen 2001 und 2011 genannten Anschlägen offenbart große Lücken in der Aufzählung der Bundesregierung. So fehlt nicht nur eine Serie von sechs Brandanschlägen auf Berliner Moscheen durch einen aus diffuser Fremdenfeindlichkeit handelnden und vom Gericht als »vermindert schuldfähig« anerkannten Täter 2010 und 2011. Auch der eindeutig politisch motivierte Brandanschlag auf die Baustelle der Ahmadiyya-Moschee im Berliner Stadtteil Pankow-Heinersdorf vom 21. März 2007 taucht nicht auf. Dort hatte eine Interessengemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger (IPAHB) gegen den Moscheebau mobil gemacht, zu deren Unterstützern der damalige Berliner CDU-Landesvorsitzende Friedberg Pflüger, die CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere DDR-»Bürgerrechtlerin« Vera Lengsfeld sowie der damalige CDU-Kreisvorsitzende und spätere Gründer der Anti-Islam-Splitterpartei »Die Freiheit«, René Stadtkewitz, ebenso gehörten wie Jörg Hähnel, Bundesvorstandsmitglied der neofaschistischen NPD.
Dem Verfassungsschutz lägen keine Erkenntnisse über eine versuchte Einflußnahme von rechtsextremen Gruppierungen auf »nichtrechtsextremistische« Proteste gegen Moscheebau vor, meint die Bundesregierung. Vielmehr versuchten rechte Gruppen, eigene Initiativen aufzubauen und mit diesem Themenkomplex die Akzeptanz für ihre »weit über den Islam herausgehenden ausländerfeindlichen Grundpositionen« im bürgerlichen Spektrum zu erhöhen, heißt es unter Verweis auf die »Bürgerbewegung Pro NRW«. Diese provoziert derzeit im Rahmen des Landtagswahlkampfes in Nordrhein-Westfalen mit einer »Freiheit-statt-Islam«-Tour, bei der ihre Mitglieder vor Moscheen Karikaturen des Propheten Mohammed zeigen. Nachdem es dabei zu Wochenbeginn in Solingen bereits zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Salafisten kam, will der Zentralrat der Muslime in Deutschland Strafanzeige gegen Pro NRW wegen Volksverhetzung und Störung der Religionsausübung stellen, wie dessen Vorsitzender Aiman Mayzek am Freitag den Zeitungen der WAZ-Gruppe mitteilte.
Ulla Jelpke hat am Freitag zur Teilnahme an antifaschistischen Protesten gegen Pro NRW aufgerufen. Islamfeindlichkeit gehöre »ebenso geächtet wie Antisemitismus und jede Art von Fremdenfeindlichkeit«, betonte die Abgeordnete.
* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Mai 2012
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