Militärinterventionen: verheerend und völkerrechtswidrig. Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösung
AG Friedensforschung an der Uni Kassel legt eine neue Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung vor
Im Herbst 2009 erschien im Karl Dietz Verlag Berlin ein Buch, das eine Art Evaluierung behaupteter "humanitärer Interventionen" und anderer kriegerischer Auseinandersetzungen darstellt - und zwar unter der Fragestellung, ob solche Interventionen halten, was sie versprechen, das heißt Gewaltkonflikte "lösen" können, oder ob sie selbst das Problem darstellen. Wir informieren im Folgenden über den Inhalt und dokumentieren die Einleitung sowie Ausschnitte aus den großen zusammenfassenden Beiträgen.
Werner Ruf, Lena Jöst, Peter Strutynski, Nadine Zollet: Militärinterventionen: verheerend und völkerrechtswidrig. Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösung. Mit einem Kommentar von Paul Schäfer
Karl Dietz Verlag: Berlin 2009, 216 Seiten, € 14,90; ISBN: 978-3-320-02199-3 (Reihe: Texte/Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bd. 61)
Inhalt-
Einleitung (Werner Ruf, Peter Strutynski)
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Lena Jöst, Peter Strutynski: Humanitär intervenieren – aber nur mit humanitären Mitteln!
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Werner Ruf, Nadine Zollet: Transformation bewaffneter Konflikte und die Möglichkeit ziviler Konfliktbearbeitung
Fallbeispiele
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Lena Jöst: Haiti
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Somalia
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Kosovo – Vorgeschichte und Folgen des NATO-Krieges
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Nadine Zollet: Konfliktbearbeitung mit zivilen Mitteln – Das Beispiel Nordirland
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Werner Ruf: Elfenbeinküste
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Nadine Zollet: Osttimor/Timor-Leste – Ein erfolgreiches Beispiel für Konfliktbearbeitung?
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Werner Ruf: Ein noch nicht mediatisierter Konflikt: Niger
Paul Schäfer: Interventionen. Ein Kommentar
Einleitung
Die Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung an der Universität Kassel hat von
der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Auftrag erhalten, zwei Politikanalysen zu
erstellen, die sich im weitesten Sinne mit dem Problem der Militarisierung der
Weltpolitik befassen, im engeren Sinn aber zwei komplementär zueinander
stehende Fragestellungen bearbeiten: Bei der ersten ging es darum, ausgewählte
als humanitär bezeichnete Militärinterventionen zu evaluieren, in der zweiten
sollten – wiederum anhand ausgewählter Fallbeispiele – Möglichkeiten friedlicher
Konfliktlösungen diskutiert werden. Die Ergebnisse der Analysen wurden
auf der ersten außenpolitischen Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Oktober
2008 öffentlich präsentiert und werden nun in einer überarbeiteten Fassung
publiziert.
Die von uns nach langen Diskussionen ausgewählten Fallbeispiele sind nicht
repräsentativ für die Vielzahl der vergangenen oder aktuellen Kriege und bewaffneten
Konflikte in der Welt. Das kann auch nicht anders sein, da jeder einzelne
Konflikt einen höchst individuellen Charakter hat, eine eigene Geschichte, spezifische
Ursachen, Verlaufsformen und Dynamiken sowie ganz unterschiedliche
Formen ihrer Einbettung in regionale und internationale Kontexte. Schließlich unterscheiden
sich auch die Arten des Eingreifens Dritter in den jeweiligen Konflikt.
Hinzu kommt, dass es keine verlässliche Typologie der Kriege gibt, nach denen
eine repräsentative Auswahl von Fallstudien möglich wäre. Die alleinige Zuordnung
etwa zu den »neuen Kriegen« oder asymmetrischen Konflikten bringt
ebenso wenig Erkenntnisgewinn wie die von der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung
bei der Universität Hamburg (AKUF) vorgeschlagene Unterteilung
in Antiregime-Kriege, Autonomie- und Sezessionskriege, zwischenstaatliche
Kriege und Dekolonisationskriege. Alle diese Versuche, Kriege zu kategorisieren,
erscheinen uns entweder als zu abstrakt oder als zu schematisch. In der Realität
haben wir es in der Regel mit Mischformen zu tun, die dem einzelnen Krieg oder
bewaffneten Konflikt wiederum seine Individualität verleihen.
Wir folgen aber AKUF in ihrer Kriegsdefinition. Danach sprechen wir von
einem »Krieg« dann, wenn es sich um einen »gewaltsamen Massenkonflikt« handelt, der folgende Merkmale ausweist:
-
An den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt.
- Auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaoperationen, Partisanenkrieg usw.).
-
Die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität
und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstöße, d. h. beide Seiten operieren
nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet
eines oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern.«
Unsere Auswahl von Kriegs-Fallbeispielen wurde letztlich relativ pragmatisch
vorgenommen.
In vier Fällen handelt es sich um militärische Interventionen Dritter in einen
schwelenden Konflikt, die ausdrücklich als »humanitäre Interventionen« bezeichnet
werden. Wobei den Interventionen in Somalia, Haiti und Elfenbeinküste entsprechende
UN-Resolutionen zu Grunde lagen, während es beim Kosovo um eine
Selbstmandatierung der NATO ging, die ebenfalls euphemistisch als »humanitäre
Intervention« ausgegeben wurde (angeblich um eine »humanitäre Katastrophe«
zu verhindern).
Mit den vier »humanitären« und den übrigen drei Fallbeispielen (das sind
Niger, Nordirland und Osttimor) wurde dem Wunsch Rechnung getragen, möglichst
alle Kontinente zu berücksichtigen. Mit Haiti in Lateinamerika, Kosovo
und Nordirland in Europa, Elfenbeinküste, Niger und Somalia in Afrika und Osttimor
in Asien ist das auch – von Australien abgesehen, wo es aber auch keinen
Krieg gibt – geglückt.
Die folgende Darstellung ist in drei Teile gegliedert:
Der erste Teil ist überschrieben mit: »Humanitär intervenieren – aber nur mit
humanitären Mitteln!« und wurde von Lena Jöst und Peter Strutynski bearbeitet.
Für den zweiten Teil zeichnen Werner Ruf und Nadine Zollet verantwortlich: »Transformation bewaffneter Konflikte und die Möglichkeit ziviler Konfliktbearbeitung«.
Der dritte Teil besteht aus den sieben Fallstudien – den empirischen Belegen
für die friedenspolitische Argumentation der Autorinnen und Autoren.
Beigefügt ist ein Kommentar von Paul Schäfer, MdB DIE LINKE, dem wir dafür
herzlich Dank sagen.
Wir danken der Rosa-Luxemburg-Stiftung, insbesondere dem Gesprächskreis
Frieden und Erhard Crome, für die Unterstützung bei der Realisierung dieses Projekts.
Werner Ruf, Peter Strutynski
Fazit und Empfehlungen
Im Folgenden dokumentieren wir aus den ersten beiden Beiträgen des Bandes (Jöst/Strutynski und Ruf/Zollet) jeweils die zusammenfassenden Abschnitte: Das "Fazit" von Ruf/Zollet) und die "Sechs Empfehlungen" von Jöst/Strutynski).
Fazit
1. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation
kamen dem Westen Feind und Feindbild abhanden. Die NATO
und ihre Mitgliedstaaten entwickelten flugs neue Bedrohungsszenarien, die von
den so genannten »neuen Risiken« ausgehen und die sich prompt nicht nur in der
NATO-Sprache, sondern auch in den zeitgleich (1994) erschienen Verteidigungs-
Weißbüchern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens finden. Diese
neuen Risiken – Ökologie, Migration, internationale Kriminalität, Terrorismus –
sind nichts Anderes als die extremen Reaktionen von Menschen und Natur auf
den von Profitinteressen vorangetriebenen rücksichtslosen Raubbau. In dem
Maße, in dem die Klimakatastrophe sichtbar und fühlbar wird, wird auch dieses
Problem nicht an seinen Ursachen angegangen, nein, es wird versicherheitlicht,
und das Londoner IISS widmet ihm nicht zufällig eine umfangreiche strategische
Studie und einen alarmistischen Kommentar (Dupont 2008 und Mazo 2008). Hier
beginnt die Militarisierung des Denkens: Probleme, die ökonomischer und sozialer Natur sind, die militärisch gar nicht bearbeitet werden können, sondern in Teilen
allenfalls Aufgaben der Polizei sein können, werden »versicherheitlicht«, werden
so zu einem Aufgabengebiet des Militärs umdefiniert. Dies ist der elegante
Schachzug, der – lange vor einer (humanitären) Intervention – unser Denken auf
jene »ultima ratio« militärischen Handelns programmiert. Damit wird das Denken
in nicht-militärischen Kategorien von vornherein ausgeschlossen, die hilflos beschworene
ultima ratio wird so zur einzigen Reaktionsform – zur prima ratio.
Dieser Kurzschluss im Denken verhindert Fragen nach den Ursachen und vermeidet
die unangenehme Suche nach friedlichen und strukturellen Mitteln, die eine
prima actio, ein erstes, an den Konfliktursachen orientiertes Handeln zur Folge
haben müsste. Solch kritisches Denken und daraus resultierendes Handeln stellt
allerdings die herrschende neoliberale Ideologie infrage.
2. Es ist das Elend, das Gewalt produziert. Nichts unterstreicht dies deutlicher
als die Verhältnisse in Afrika. Nein, die Armen greifen den Norden und insbesondere
die Festung Europa nicht mit Waffen an, dazu sind sie zu elend und schwach.
Aber: Staatszerfall, Warlordism, sogenannte »neue Kriege« sind die Folge von
Elend, Armut, zerrütteten ökonomischen und sozialen Strukturen und ökologischer
Zerstörung. Eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen Armut und Elend
einerseits und Gewalt und Staatszerfall andererseits ist nicht eindeutig nachweisbar.
Dennoch ist die Häufigkeit von Konflikten und Staatszerfall gerade in Afrika
und die dortige extreme Armut ebenso wie analoge Verhältnisse in den übrigen
extrem armen Ländern ein eindeutiges Indiz: Wo extreme Armut herrscht, zerbrechen
staatliche Strukturen, Gesellschaften versinken in Gewaltökonomien. Die
dies verursachenden alltäglichen »humanitären Katastrophen«, die kannibalische
Ordnung (Ziegler), werden jedoch weder in den Medien noch in der Politik thematisiert.
Statt militärischen »State- and Nation-Buildings«, das bisher nirgendwo
erfolgreich war, wären Maßnahmen zur Sicherung von ökonomischen und sozialen
Mindeststandards notwendig. Die Fälle Haiti, Somalia, Elfenbeinküste, Osttimor
und vor allem Niger unterstreichen das in grauenvoll überzeugender Weise:
Welchen Sinn soll es machen, von prekären Staaten »Good Governance« einzufordern?
Wen wundert es, wenn Staat dort zu einer Pfründe verkommt, die geradezu
zwangsläufig Korruption und illegale Bereicherung fördern muss? Wie wäre
es, die global players dazu zu verpflichten, die bestehenden Verhaltensregeln des
clobal compact einzuhalten? Die Umsetzung dieser Forderungen impliziert allerdings
den Willen zum Eingriff in die Marktfreiheit der kapitalistischen Wildnis.
3. Wir im industrialisierten Norden zeigen mit moralischer Empörung auf die
Gräuel im Süden, die doch nur Resultat »unserer« Politik sind. Elegant verschleiern
wir dadurch, dass jene anderen vier Finger unserer Hand auf uns zurück weisen.
Es ist bezeichnend und irritierend zugleich, dass die herrschende Politik im
Allgemeinen und der Sicherheitsrat im Besonderen nur die »humanitären Katastrophen
« in den Blick nehmen, in denen bewaffnete Gewalt in Erscheinung tritt
und in denen die Interessen der großen Mächte impliziert sind. Die diesen zugrunde liegenden historischen und ökonomischen Ursachen bleiben systematisch
ausgeblendet. Nirgendwo finden sich Hinweise auf Erkenntnisse und Resolutionen
jenes anderen, wichtigen Organs der UN, des Wirtschafts- und Sozialrats
ECOSOC oder auf die Studien des UNDP. So verkommen die dort beschlossenen
Maßnahmen zu politischen Sonntagsreden und das Militär wird als »letztes« –
einziges? – Mittel gesehen, das zwar in manchen Fällen offene Gewalt eindämmen
kann, aber von seinem Charakter her und aufgrund der Ursachen zur Konfliktlösung
nicht fähig ist.
4. Nur mediatisierte Konflikte geraten in den Blick der Öffentlichkeit, vor allem
wenn sie »unsere« Interessen tangieren und wenn sie mit Scheußlichkeiten
garniert werden können. Somalia ist hierfür geradezu ein Paradebeispiel: Die
Operation Restore Hope machte den Konflikt zum zentralen Medienereignis. Das
tägliche Leiden und Sterben Hunderttausender Menschen dort ist seit mehr als
15 Jahren kaum mehr der Erwähnung wert – ganz anders als die Akte der Piraterie
vor der Küste des Landes, da diese den »freien Welthandel« und »unsere Rohstoffzufuhr
« gefährden könnten. Dass die Piraterie vor Somalias Küsten Folge der
Überfischung durch die internationalen Fangflotten und der Existenznot somalischer
Fischer ist, wird bestenfallls am Rande thematisiert. Auch diese Form der
Gewalt ist Folge des Zerfalls von Staatlichkeit (Petretto 2008). Der Aktionismus
militärischen Eingreifens mit dem Ziel des »Friedensschaffens« und »Friedenserzwingens
« erzeugt Publizität, die von den Konfliktursachen ablenkt, steht dahinter
doch oft das uralte Bild vom »barbarischen Wilden«, den es zu zivilisieren gilt.
Vor allem aber: Solcher Aktionismus lenkt ab von der Analyse der Ursachen der
Konflikte, die historisch dem Kolonialismus, aktuell dem Neo-Liberalismus –
kurz »uns« – geschuldet sind.
5. Vieles deutet darauf hin, dass Konflikte dann zu massiver Gewaltanwendung
eskalieren, wenn ausländische Interessen involviert sind. Auch der Völkermord in
Ruanda ist nicht vom Himmel gefallen, sondern gehört zweifelsfrei in diese Kategorie,
wie inzwischen nachgewiesen ist (Coquio 2008, Grund 2008). Dies gilt
auch für die Konflikte in Haiti, Somalia, Elfenbeinküste, Kosovo und Niger. Es
kann daher kein Zufall sein, wenn in der neuen Form des Interventionismus gerade
die interessierten Mächte sich um ein Mandat zur »Friedensschaffung«
bemühen – und dies dann vom UN-Sicherheitsrat erhalten (Elfenbeinküste,
Tschad).
6. Richtig ist: Jedes Menschenleben ist wertvoll, und es wäre zynisch, die geringere
Zahl von Toten in Gewaltkonflikten gegen die Masse der von der »kannibalischen
Ordnung« gemordeten Menschen aufrechnen zu wollen. Deshalb
schließen wir – wie Jöst, Strutynski zeigen – Interventionen mit bewaffneten
Kräften nicht grundsätzlich und a priori aus. Sie sollten sich in akuten Notfällen
allerdings am alten Blauhelmkonzept orientieren – oder aber: Der Art. 47 der UN-Charta
müsste endlich umgesetzt werden! Hier hätte die EU ein Beispiel setzen
können, indem sie ihre battle groups unter die Autorität des Sicherheitsrats geStaaten zu, die über »robuste« Mittel verfügen. Zugleich verweigern diese Staaten
beispielsweise der AU dringend benötigtes militärisches Gerät für vom UN-Sicherheitsrat
mandatierte Aktionen: Zu Recht beklagt der ehemalige Sondergesandte
der Afrikanischen Union für Darfur, dass kein UN-Mitgliedsstaat bisher
bereit war, einen der 18 angeforderten Hubschrauber für die UN-Mission der AU
zur Verfügung zu stellen (Salim 2008). Nichts illustriert besser die Diskrepanz
zwischen Rhetorik und realen Interessen der großen (und gerade auch der europäischen)
Mächte. Die untersuchten Fälle zeigen, (Haiti, Elfenbeinküste, Somalia,
aber auch Tschad oder DR Kongo) dass der Sicherheitsrat zunehmend zum
Mandatserteiler auf Bestellung verkommt: Damit legitimiert der Sicherheitsrat
unilaterale Interessendurchsetzung, die nichts anderes ist als eine neue Form von
Imperialismus und letztlich die UN selbst delegitimiert. Wer vor diesem Hintergrund
eine Responsibility to Protect einfordert, ist entweder zynisch oder verschleiert
seine oft genug imperialistischen Interessen. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang
auch nach Ursache und Wirkung von Rüstungsexporten: Immerhin
liegt Deutschland mit jährlich 7,7 Mrd. Euro weltweit auf Platz drei der Exporteure,
und geliefert wird nicht nur schweres Gerät, sondern auch die massenhaften
Tod bringenden Kleinwaffen, die auch in Krisengebiete gehen (http://www.
/themen/export/gkke08.html).
7. In keinem Falle bringt die »ultima ratio« des Militärs eine Lösung – bestenfalls
kann sie Konflikte unterdrücken. Sie ist auch gar nicht die »ultima ratio«,
sondern bestenfalls die »ratio simplissima«, eine Reaktion auf Gewalt mittels
noch mehr und besser ausgestatteter Gewalt, die allerdings eifersüchtig in der
Verfügung der großen Mächte verbleibt. Notwendig wäre aber eine »prima actio«
auf sozialer und ökonomischer Ebene, die allerdings Eingriffe nicht in »zerfallenden
Staaten«, sondern in die Handlungsfreiheit der global players erfordern
würde: Handlungsbedarf besteht nicht auf der Ebene militärischer Gewalt, sondern
auf der Ebene der politischen Steuerung und Kontrolle von Profitinteressen
und einer an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Entwicklungspolitik. Es
erscheint wie Hohn, von militärischen Interventionen als der »ultima ratio« zu
sprechen: die Konfliktursachen sind bekannt und sich anbahnende massive gewaltsame
Konflikte – nicht nur in Niger – absehbar. Von codes of conduct für Firmen
bis zum Kap VI der UN-Charta steht ein ganzes Arsenal von Handlungsmöglichkeiten
bereit, um präventiv – dieser Begriff wird hier bewusst verwendet –
Krisen zu bewältigen, bevor sie in Gewalt umschlagen.
8. Neben langfristigen strukturellen Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut
und Elend und zur Etablierung eines gerechteren Welthandels und des Abbaus der
Exportorientierung der Dritte-Welt-Ökonomien müssten die BRD und die EU sofort
handeln und in den UN darauf hinwirken, dass
-
Vorrangig alle Möglichkeiten der UN nach Kap VI, VIII und X der Charta ausgeschöpft
werden, bevor zur sogenannten ultima ratio gegriffen wird,
- Europäische und internationale Firmen auf die Regeln des »global compact«
verpflichtet werden und deren Einhaltung von der EU strikt überwacht wird,
- Subventionierte Agrarprodukte nicht weiterhin dorthin exportiert werden und
die einheimische Argrarproduktion zerstören,
- Freihandelsabkommen zwischen ungleichen Partnern abgelehnt werden,
zumindest aber Schutzklauseln für die einheimischen Kleinen und Mittleren
Unternehmen enthalten, besser noch: Schutzzölle auf den Import billiger industrieller
Fertigwaren zulassen,
- Die Formel von der »Hilfe zur Selbsthilfe« ernst genommen und unter primärer
Verantwortung der Regierungen in den jeweiligen Staaten umgesetzt wird,
- Die Militarisierung der Entwicklungshilfe durch CIMIC beendet wird und Entwicklungshilfe
unabhängig von Kriterien des politischen und wirtschaftlichen
Eigennutzes geleistet wird,
- Blauhelme nur in extremen Fällen und unter strikter Einhaltung der oben genannten
Bedingungen zum Einsatz kommen.
(Seite 48-52)
Sechs Empfehlungen
(1) Blauhelmeinsätze können unter bestimmten Umständen pazifizierend sowohl
bei zwischenstaatlichen als auch bei innerstaatlichen Konflikten wirken. Voraussetzung
hierfür ist das – ohnehin zwingend vorgeschriebene – Einverständnis der
Konfliktparteien und die Neutralität der UNO-Truppen. Letzteres schließt die
Teilnahme von Truppen der Großmächte aus. Der Praxis, sich beim UN-Sicherheitsrat
ein den eigenen Möglichkeiten und politischen Zielen angepasstes »robustes
Mandat« zu bestellen (Beispiel Libanon-Einsatz der Bundeswehr, Kongoeinsatz)
muss ein Riegel vorgeschoben werden.
Wer es ernst meint mit einer völkerrechtskonformen und auf Deeskalation orientierten
Militärpolitik, sollte den Vereinten Nationen Blauhelmkontingente zur
Verfügung stellen. Nicht nur von Fall zu Fall, sondern ständig. Dies können Einzelstaaten
wie die Bundesrepublik tun, aber auch die Europäische Union, die dann
auf einen eigenen »militärischen Arm« im Sinne der Europäischen Sicherheitsstrategie
verzichten könnte.
Dies setzt allerdings voraus, den Art. 47 der UN-Charta endlich mit Leben zu
füllen. Darin heißt es in den Absätzen 1 und 3:
»(1) Es wird ein Generalstabsausschuss
eingesetzt, um den Sicherheitsrat in allen Fragen zu beraten und zu unterstützen,
die dessen militärische Bedürfnisse zur Wahrung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit, den Einsatz und die Führung der dem Sicherheitsrat
zur Verfügung gestellten Streitkräfte, die Rüstungsregelung und eine etwaige
Abrüstung betreffen.
(3) Der Generalstabsausschuss ist unter der Autorität des Sicherheitsrats für die
strategische Leitung aller dem Sicherheitsrat zur Verfügung gestellten Streitkräfte
verantwortlich. Die Fragen bezüglich der Führung dieser Streitkräfte werden später
geregelt.«
Dieser Generalstabsausschuss ist in der 63-jährigen Geschichte der Vereinten
Nationen nie gebildet worden. Aus diesem Grund meinte auch der vorige Generalsekretär,
Kofi Annan, in seinem Reformpapier den Artikel 47 aus der UNCharta
zur Streichung vorschlagen zu müssen (Annan 2005, S. 69 f.). Ein Weg,
der auf keinen Fall beschritten werden sollte, weil er die Durchführung von militärischen
Aktionen ausschließlich den Einzelstaaten überantwortet.
(2) Sowohl aus der Völkerrechtsperspektive als auch aus den Ergebnissen der
empirisch gestützten Fallbeispiele geht u. E. hervor, dass Militärinterventionen
kein Mittel der internationalen Politik sein können. Die Fälle, in denen militärische
Erzwingungsmaßnahmen zulässig sind, sind außerordentlich selten und in
aller Regel ohnehin durch das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung
gedeckt. Und selbst diese Maßnahmen finden ihre Grenzen sowohl im
Kriegsvölkerrecht (auf das wir in diesem Teil nicht eingegangen sind) als auch in
der Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats für Fragen des Weltfriedens.
(3) Für die politische Praxis ergibt sich daraus zunächst allergrößte Skepsis gegenüber
allen Zumutungen der veröffentlichten Meinung und der herrschenden
Politik, humanitäre Hilfe, Menschenrechte, insbesondere Rechte von Frauen und
Kindern, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Waffengewalt in alle Welt zu
exportieren. Ein solcher Export ist erstens völkerrechtlich nicht zulässig und
zweitens in der Praxis offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt (vgl. hierzu Strutynski
2007). Eine Schutzverantwortung der Staaten, wie sie von den Vertretern
der »Responsibility-to-Protect«-Doktrin ins Spiel gebracht wurde, macht Sinn vor
allem als zivile präventive Politik, nicht aber als Militärinterventionismus. Im
Übrigen können solche Einsätze – wie Ruf, Zollet zeigen – bestenfalls auf symptomatischer
Ebene agieren: Die Ursachen der Gewalt können sie in keinem Falle
beseitigen.
(4) Kampfeinsätze zur Friedenserzwingung sind grundsätzlich abzulehnen,
auch dann, wenn sie auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrats nach Art. 42 der
UN-Charta beruhen. Solche Einsätze sind immer mit dem unkalkulierbaren Risiko
behaftet, den Gewaltkonflikt weiter zu eskalieren. Außerdem besteht die Gefahr,
dass die bei den Einsätzen auftretenden »Kollateralschäden« die ursprünglich
dem Konflikt geschuldeten Schäden und Opfer noch übersteigen.
(5) Für die Bundesrepublik Deutschland heißt das, die Transformation der
Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee zu stoppen und
rückgängig zu machen und auch die Militarisierung der Europäischen Union nicht
weiter zu verfolgen.
(6) Beendet werden muss ferner der sog. »Krieg gegen den Terror«, den die
USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 proklamiert haben und den die
NATO seither u .a. in Afghanistan führt. Terroristen sind als Kriminelle zu behandeln,
d. h. sie sind Angelegenheit der nationalen und internationalen Ermittlungs-,
Polizei- und Justizbehörden, denen ausreichende rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung
gestellt werden müssen und die zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
verpflichtet sind (vgl. Strutynski 2008). Die Art und Weise, wie der
»Krieg gegen den Terror« geführt wird, erfüllt seinerseits oft den Tatbestand des
Terrorismus, wird hier doch kriegsvölkerrechtswidrige Gewalt ausgeübt mit dem
Ziel, die Bevölkerung durch Verbreitung von Schrecken und Willkür zu beeinflussen.
Ende März 2009 gab US-Außenministerin Hillary Clinton bekannt, dass die
Obama-Administration den Begriff »war on terror« aus ihrem Vokabular gestrichen
habe: »The administration has stopped using the phrase and I think that speaks
for itself,« wird sie von den Nachrichtenmedien zitiert (FOX News, 30.03.2009).
Ob damit auch der reale Krieg gegen den Terrorismus überdacht oder gar gestoppt
wird, bleibt dahingestellt. Die von Obama angeordnete Verstärkung der Truppen
in Afghanistan geht vorerst in die entgegengesetzte Richtung.
(Seite 26-28)
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