"Responsibility to Protect" - "Verantwortung zum Schutz"
Ein neuer Türöffner zu grenzenlosen Militärinterventionen
Mit der Naturkatastrophe in Myanmar (Birma oder Burma) im Mai 2008 wurden wieder Stimmen laut, die für die Staatengemeinschaft das Recht reklamieren, auch gegen den Willen eines Staates bzw. seiner Regierung zugunsten der notleidenden Bevölkerung zu Hilfe zu kommen - und diese Hilfe notfalls auch militärisch durchzusetzen (siehe hierzu: Burma und die Kreuzfahrer von heute). Der hierfür geeignet scheinende Begriff von der "Responsibility to Protect" (mediengerecht "R2P" abgekürzt) geistert durch Medien und Politikerreden. Besonders dreist werden Politiker/innen, wenn sie behaupten, dieses Prinzip von der "Verantwortung zu schützen" sei mittlerweile von der UNO offiziell anerkannt und somit Bestandteil des modernen Völkerrechts. Die Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul behauptete in der Debatte um die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes am 21. Oktober 2007 im Deutschen Bundestag: "Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das UN-Prinzip der 'Responsibility to protect', das seit einigen Jahren besteht und vorsieht, denen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können oder deren jeweilige Regierung nicht selbst in der Lage dazu ist." (Siehe: ihren Debattenbeitrag.)
Der Ausdruck "Responsibility to Protect" stammt von einer hochrangigen Arbeitsgruppe, die 2001 im Auftrag des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan ein gleichnamiges Papier verfasst hat. Die Schrift ist hier dokumentiert: pdf-Datei (englisch). Eine frühe umfassende Kritik an dem Papier aus völkerrechtlicher und politischer Sicht haben wir hier veröffentlicht: Gibt es ein Recht zur "humanitären Intervention"? Von Helge von Horn und Christoph Krämer
Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus einem Artikel, den Werner Ruf und Peter Strutynski im November 2007 in der Zeitschrift "utopie kreativ" veröffentlicht haben. Und im Anschluss daran den Passus aus der Abschlusserklärung der UN-Generalversammlung 2005, der sich mit der Verantwortung zum Schutz befasst.
Innovation oder Pervertierung des Völkerrechts: Die »responsibility to protect«
Besondere Beachtung verdient die unter Völkerrechtlern und Politikberatern
heiß diskutierte responsibility to protect. Initiiert vom damaligen
kanadischen Premierminister Jean Crétien wurde am Rande
der so genannten Milleniums-Vollversammlung der Vereinten Nationen
vom UN-Generalsekretär eine International Commission on
Intervention and State Sovereignty (ICISS) eingerichtet.[1] Ihre Aufgabe
war, die Frage zu klären, »wann – wenn überhaupt – es für
Staaten angemessen ist, Zwangs- und im Extremfall militärische
Maßnahmen gegen einen anderen Staat zu ergreifen, um gefährdete
Menschen in diesem anderen Staat zu schützen.«[2] Dabei legte die
Kommission Wert darauf, das Interventionsverbot der Charta zumindest
formal zu respektieren, indem sie feststellte, dass sie nicht
von einem »Recht zur Intervention«, sondern von einer »Verantwortung
zum Schutz« ausgehe.[3]
Der Bericht beruft sich auf Ereignisse wie Ruanda, Srebrenica,
Kosovo, um, ausgehend von einer nachvollziehbaren moralischen
Argumentation, eine Verantwortung, ja Verpflichtung zum Eingreifen,
im Extremfall auch mit militärischen Mitteln, zu etablieren. Erforderlich
für solche Interventionen ist, so die Kommission, das Vorliegen
eines »gerechten Grundes« (just cause), eine Formulierung,
die den durch die Charta der VN endgültig gebannten »gerechten
Krieg« (bellum justum) durch die Hintertür wieder einführt. Im
»Extremfall« gebietet dann eine höherwertige Moral, dass – so die
Kommission – auch der Sicherheitsrat umgangen werden kann, falls
sich dieser als handlungsunfähig erweist.[4]
Eine erste Übernahme dieses Konzepts in ein völkerrechtliches
Dokument findet sich in der Gründungsakte der Afrikanischen
Union, eines regionalen Systems kollektiver Sicherheit. Hatte noch
die Charta der Organisation für Afrikanische Einheit jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates verboten, so
legt nun der Konstitutive Akt der AU (2002) fest: »Das Recht der
Union, in einem Mitgliedstaat zu intervenieren in der Folge einer
Entscheidung der Versammlung angesichts schwerwiegender Umstände,
insbesondere: Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit.«[5]
Würde dieses Postulat Bestandteil des Völkerrechts, so hätte dies
weit reichende Folgen: Das Prinzip der staatlichen Souveränität
würde ausgehebelt. Zutreffend kommentierte Gregor Schirmer bereits
2001: »Ein solches Gewohnheitsrecht würde voraussetzen, dass
die humanitäre Intervention zu einer allgemein geübten Praxis wird
und dass diese Praxis als Recht anerkannt wird. Soweit wird es hoffentlich
trotz der Machtpositionen der USA und der NATO nicht
kommen. Denn das wäre das Ende der völkerrechtlichen Friedensordnung
der Vereinten Nationen und die Etablierung einer Diktatur
der USA in Rechtsgestalt über die ganze Welt, mit oder ohne Verbündete,
mit oder ohne den Sicherheitsrat.«[6]
Einer solchen Schutzverantwortung hat die UN-Generalversammlung
im September 2005 beim Weltgipfel nur mit erheblichen Vorbehalten
zugestimmt. Weder ergibt sich aus der »responsibility to protect
« ein Recht (oder gar eine Pflicht) zur Militärintervention, noch
wird damit das Prinzip der »staatlichen Souveränität« und der »territorialen
Integrität« (Art. 2,4 in Verbindung mit 2,1 und 2,7 UN-Charta)
ausgehebelt, im Gegenteil: Ziffer 139 des Abschlussdokuments
des Weltgipfels betont ausdrücklich, dass sowohl »kollektive
Maßnahmen über den Sicherheitsrat im Einklang mit der Charta, namentlich
Kapitel VII, zu ergreifen« seien, als auch, »dass die Generalversammlung
die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung vor
Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit ... eingedenk der Grundsätze der
Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts weiter prüft«.[7]
Fazit: Außer zur Verteidigung und – auf Beschluss des Sicherheitsrats
– zur »Wiederherstellung des Weltfriedens« dürfen Staaten
nicht zu den Waffen greifen, und die Generalversammlung hat sich
selbst zur Hüterin der UN-Charta gemacht.
Fußnoten
-
http://www.idrc.ca/en/
ev-9436-201-1-DO_
TOPIC.html.
- Ebenda.
- http://www.iciss.ca/pdf/
Commission-Report.pdf
2001, S. 11.
- Zur Verdeutlichung:
Der Einmarsch Hitler-
Deutschlands in die Tschechoslowakei
hätte sich
treffend als humanitäre
Intervention oder des
»Rechts auf Schutz« der
sudetendeutschen Minderheit
präsentieren lassen,
kann doch, nach dieser Formulierung,
jeder Staat selbst
definieren, wann die Intervention
moralisch geboten
erscheint.
- Tobias Debiel, Stephan
Klingebiel, Andreas Mehler,
Ulrich Schneckener:
Between Ignorance and
Intervention. INEF Policy
Paper Nr. 23, 2005.
http://inef.uni-due.de/page/
documents/pp_23_en.pdf.
- Gregor Schirmer:
Menschenrechte und
Gewaltverbot im Völkerrecht.
Beitrag auf dem
europäischen Friedenskonvent
in Berlin, 23. März
2001.
http://www.uni-kassel.de/
fb5/frieden/themen/Interventionen/
schirmer.html.
- Ergebnisdokument des
Weltgipfels 2005, verabschiedet
auf der 60. Tagung
der UN-Generalversammlung,
15. September 2005
(A/60/L.1); Internet: http://
www.uni-kassel.de/fb5/
frieden/themen/
UN-Reform/a-60-l1final.pdf.
Auszug aus: WERNER RUF, PETER STRUTYNSKI, Militärinterventionen: verheerend
und völkerrechtswidrig. In: utopie kreativ, Heft 11/2007, S. 1040-1049
Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen,
ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
138. Jeder einzelne Staat hat die Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung vor
Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Zu dieser Verantwortung gehört es, solche Verbrechen, einschließlich der Anstiftung
dazu, mittels angemessener und notwendiger Maßnahmen zu verhüten. Wir akzeptieren
diese Verantwortung und werden im Einklang damit handeln. Die internationale Gemeinschaft
sollte gegebenenfalls die Staaten ermutigen und ihnen dabei behilflich sein, diese
Verantwortung wahrzunehmen, und die Vereinten Nationen bei der Schaffung einer
Frühwarnkapazität unterstützen.
139. Die internationale Gemeinschaft hat durch die Vereinten Nationen auch die Pflicht,
diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel nach den Kapiteln VI und VIII der
Charta einzusetzen, um beim Schutz der Zivilbevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen,
ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit behilflich zu sein. In
diesem Zusammenhang sind wir bereit, im Einzelfall und in Zusammenarbeit mit den zuständigen
regionalen Organisationen rechtzeitig und entschieden kollektive Maßnahmen
über den Sicherheitsrat im Einklang mit der Charta, namentlich Kapitel VII, zu ergreifen,
falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offenkundig
dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer
Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Wir betonen die Notwendigkeit,
dass die Generalversammlung die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung
vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und die sich daraus ergebenden Auswirkungen eingedenk der Grundsätze
der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts weiter prüft. Wir beabsichtigen außerdem,
uns erforderlichenfalls und soweit angezeigt dazu zu verpflichten, den Staaten beim
Aufbau von Kapazitäten zum Schutz ihrer Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen,
ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit behilflich zu sein und besonders
belasteten Staaten beizustehen, bevor Krisen und Konflikte ausbrechen.
140. Wir unterstützen uneingeschränkt die Mission des Sonderberaters des Generalsekretärs
für die Verhütung von Völkermord.
Aus: Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005, 15. September 2005 (A/60/L.1), S. 31f;
als pdf-Datei hier herunter zu laden.
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