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Rasterfahndung an Unis hält vor Gerichten nicht stand

Nach einem Berliner Gericht entscheidet nun auch das Landgericht Wiesbaden zugunsten der Studierenden

Die Anschläge vom 11. September haben zum Teil altbekannte Methoden der so genannten Rasterfahndung wieder aktiviert. So beklagten viele Studentenvertretungen im Wintersemester 2001/02, dass flächendeckende Überprüfungen von ausländischen Studierenden stattgefunden hätten. Aus Hamburg wurde außerdem im Januar 2002 gemeldet, dass dort die Fahnder des Hamburger Kriminalamtes 140 zumeist ausländische Studenten, die mittels Rasterfahndung aus mehr als 10.000 Personendaten ermittelt worden waren, im Zusammenhang mit dem 11. September vernommen werden sollten. In dem Vorladungsschreiben an die Betroffenen hieß es unter anderem, die Fahndung habe zum Ziel, "weitere potenzielle terroristische Zellen aufzuspüren". Die Maßnahme richte sich "gegen männliche, in Hamburg studierende Personen bestimmter Herkunft und Altersgruppen". Das bedeute allerdings nicht, so wurde beschwichtigend hinzu gefügt, "dass die Personen beschuldigt beziehungsweise verdächtigt" seien. Dennoch befürchtete der AStA nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau (22.01.2002), dass die Studenten bei Nichterscheinen mit negativen Folgen für ihre Aufenthaltsbewilligung rechnen müssten. "Unter den ausländischen Studenten herrsche große Unruhe."

Landgericht Berlin erklärt Rasterfahndung für unzulässig.

Aufgrund eines positiven Beschlusses des Berliner Amtsgericht Tiergarten war es der im September 2001, kurz nach den Anschlägen in den USA, der Polizei erlaubt worden, sämtliche ausländischen Studenten zu überprüfen, die legal in Berlin leben und sich zum Islam bekennen. Auf diese Weise gerieten knapp 1.000 Studierende ins Visier der Fahnder. Unzählige Daten wurden zusammen gesammelt: Daten aus der Universität, von Telefonfirmen, oder von "Einrichtungen mit Bezug zur Atomenergie". Begründet wurde die außergewähnliche Maßnahme mit der "Gegenwärtigkeit der Gefahr".

Dagegen klagten mehrere Studenten der Berliner Humboldt-Universität. Die Voraussetzungen für Datenkontrolle in großem Stil seien in Berlin nicht erfüllt, vielmehr sei das Vorgehen der Polizei dazu geeignet, Bürgerrechte auszuhebeln, argumentierten die Beschwerdeführer. Sie bekamen Recht: Am 22. Januar hat das Landgericht Berlin die Rasterfahndung gegen ausländische Studenten für unzulässig erklärt und den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten aufgehoben. Eine "gegenwärtige Gefahr", heißt es in dem Beschluss des Landgerichts, sei von der Polizei "weder dargelegt noch sonst ersichtlich". Auch die Bundesregierung habe nach dem 11. September mehrfach erklärt, es gebe in Deutschland "keine konkreten Anhaltspunkte für terroristische Anschläge". Auch habe die Polizei nicht begründen können, wieso eine unmittelbare Gefahr bevorstehen soll. Rasterfahndung sei nach Ansicht des Landgerichts nicht schon deshalb zulässig, "weil sich nicht definitiv ausschließen lässt, dass sich in Deutschland so genannte Schläfer aufhalten".

Der Anwalt der ausländischen Studenten, Sönke Hilbrans, begrüßte das "mutige" Urteil. Der Richterspruch werfe auch ein bezeichnendes Licht auf Urteile aus anderen Bundesländern. Dort sei die Rasterfahndung bislang entweder "durchgewunken" oder bestenfalls - wie in Frankfurt am Main - noch einmal zur Überprüfung geschickt worden. Genugtuung äußerte auch der Sprecher des ReferentInnenrates der Humboldt-Universität Oliver Stoll. Man werde jetzt darauf dringen, dass die Daten der Kommilitonen sofort gelöscht werden, sagte Sprecher Oliver Stoll. Auch gelte es, die Rasterfahndung andernorts zu stoppen.

Urteil aus Wiesbaden

Nun hatte der Berliner Innensenator umgehend angekündigt, gegen das Urteil des Landgerichts Berufung einzulegen. Berlin halte die Rasterfahndung nach wie vor für ein geeignetes Instrument der Terrorbekämpfung. Doch steht es nicht gut um die Rasterfahnder. Denn am 7. Februar hat auch das Landgericht Wiesbaden die Rasterfahndung nach muslimischen "Extremisten" an hessischen Hochschulen als rechtswidrig eingestuft. In dem Beschluss argumentiert das Gericht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Hochschulen und Meldebehörden seien nicht mehr verpflichet die Fahnder zu unterstützen. Geklagt hatte ein sudanesischer Studenten aus Gießen, der sich durch die Weitergabe von personenbezogenen Daten in seinen Grundrechten verletzt sah.

Da die Rasterfahndung eine Vielzahl von Unbeteiligten treffe, müssen nach Ansicht des Landgerichts konkretere Anhaltspunkte für eine "gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person" vorliegen. Eine solche Gefahr habe das hessische Landeskriminalamt (LKA) aber nicht nachweisen können. Auch nach monatelanger Fahndungsarbeit sei das LKA über bloße Vermutungen nicht hinaus gekommen.

Hessens Datenschutzbeauftragter Friedrich von Zezschwitz begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Von Zezschwitz hatte schon mehrfach gegen die Datensammlung protestiert. Er erwarte, dass die Polizei jetzt alle Rasterfahndungsaktivitäten einstelle und die bereits erhobenen Daten bis zur Rechtskraft der Entscheidung sperre, berichtet die FR am 8. Februar 2002. Das Landgericht Wiesbaden musste sich mit der Angelegenheit erneut befassen, nachdem der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. eine frühere Entscheidung dazu im Januar 2002 aufgehoben hatte.

Die Hessische Landesregierung sieht das natürlich ganz anders. Doch auch wenn Hessens Innenminister Bouffier angekündigt hat, das Urteil anzufechten, bleibt zu hoffen, dass sich die Rasterfahndung an Hochschulen nicht länger halten lässt. Nachfolgend ein Auszug aus einem Artikel in der Frankfurter Rundschau, in dem die fragwürdige Praxis aus der Sicht der Hochschulen geschildert wird:

"In Hessen, verlautet aus Fachkreisen, werden die Datensätze von rund 6.000 Studierenden abgeglichen. Die TU Darmstadt, die einen überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil hat, musste nach eigenen Angaben rund 600 Namen zur Überprüfung herausgeben.
TU-Präsident Johann-Dietrich Wörner, der in der Internationalität das Markenzeichen der Hochschule sieht, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er über die Herausgabe der Daten alles andere als glücklich war. 'Wir hatten jedoch keinen Spielraum.' Skeptisch beurteilt er vor allem die Kriterien, nach denen die Studierenden ausgewählt worden sind. Neben Angaben über Religion und Studienfächer und Aufenthaltsstatus gehörten dazu auch unauffälliges Studium, ledig, keine Kinder. Noch bevor die ersten Daten herausgegeben worden waren, hatte sich Wörner für eine gezielte Anwerbung islamischer Studierender eingesetzt. Sie seien Botschafter eines friedlichen Islam." (FR, 8. Februar 2002)


Quellen: Zeitungsberichte (vor allem FR) vom 10.01., 11.01., 22.01, 23.01., 08.02. 2002); Zusammenstellung: Pst


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