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Alles in Sicherheit

Von Martin Kutscha *

Den Glorifizierungsversuchen etlicher Medien zum Trotz: Es war nicht die Welt, die im Juni im Nobelkurort Heiligendamm zu Gast war, sondern lediglich die Regierungsspitzen der acht mächtigsten Industriestaaten mitsamt ihrem Tross und einer ausgewählten Schar von Journalisten. Für diese illustre Ansammlung wurde gleichsam ein dreidimensionaler Schutz aufgeboten, nämlich zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Beteiligt an diesem gewaltigen Aufgebot waren zahlreiche Polizeikräfte von Bund und Ländern, eine unbekannte Anzahl von Agenten deutscher und ausländischer Geheimdienste, aber auch die Bundeswehr mit spezialisierten Einsatzkräften und Kriegsgerät: Tornado-Kampfflugzeuge donnerten im Tiefflug über Camps der zum Protest angereisten Menschen, die von der Presse verkürzend als „Globalisierungsgegner“ hingestellt wurden. AWACS-Maschinen der NATO überwachten weiträumig den Luftraum, Marineboote patrouillierten auf See, Spähpanzer vom Typ Fennek kurvten auf der Suche nach imaginären „Gefährdern“ durch die idyllische Küstenlandschaft. Mindestens 1100 Soldaten der Bundeswehr waren im Einsatz rund um Heiligendamm,[1] aber nicht, um „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen",[2] sondern um einer elitären Minderheit das Gefühl absoluter Sicherheit zu vermitteln.

Auf kritische Nachfragen aus den Reihen der Oppositionsparteien gingen Mitglieder der Bundesregierung in die Offensive. Die Bundeskanzlerin meinte, die alte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit sei von gestern. „Von gestern“ sind demnach aber auch die Grenzziehungen, die das Grundgesetz zwischen den Aufgaben der Polizei und denjenigen der deutschen Streitkräfte vornimmt. Was Angela Merkel wohl nur denkt, spricht ihr Kabinettskollege Wolfgang Schäuble offen aus: Schon seit Jahren fordert er eine Änderung des Grundgesetzes, um die Kompetenzen der Bundeswehr im Inneren zu erweitern. Aber das reicht ihm beileibe nicht: „Die nationalen Rechtsordnungen und das internationale Recht passen nicht mehr zu den Bedrohungen“, äußerte er auf einer Sicherheitskonferenz am 3. Juli in Berlin.[3] Angesichts der neuen Terrorangriffe seien alte Formen der klassischen Unterscheidungen von Krieg und Frieden nicht länger haltbar, behauptete Schäuble. Die Konsequenz daraus ist klar: Die Einhegungen, die das Rechtssystem für die Staatsgewalt errichtet hat, müssen mit Entschlossenheit plattgeschliffen werden. Mehr Sicherheit durch Entsicherung – auf diese paradoxe Formel lässt sich die Denkungsart von Schäuble & Co. bringen.

Der G 8-Gipfel als Naturkatastrophe

Allerdings hat das Grundgesetz nach den bitteren Erfahrungen mit dem Militarismus in der deutschen Geschichte präzise Grenzen für den Einsatz deutscher Streitkräfte gezogen. Nach Art. 87 a sollen sie zur Verteidigung dienen. Außerhalb dieser Zwecksetzung dürfen sie nur eingesetzt werden, „soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“. Solche ausdrücklichen Zulassungen enthält unsere Verfassung für den Verteidigung-, den Spannungsfall sowie zur Abwehr drohender Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes (Art. 87 a Abs. 2 und 3 GG). Darüber hinaus darf die Bundeswehr im Frieden Amtshilfe für die Polizeien leisten, aber nur „bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“, wie Art. 33 Abs. 2 GG festlegt. Ob die für den Bundeswehreinsatz verantwortlichen Politiker den G 8-Gipfel wohl als eine solche Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall gewertet haben? Trotz der Verschandelung der mecklenburgischen Küstenlandschaft durch die kilometerlange „technische Sperre“ und anderer Beeinträchtigungen der dortigen Natur darf dies bezweifelt werden. Und als Unterstützungsleistung von lediglich logistischer Art lässt sich der Einsatz modernsten Kriegsgeräts nun wirklich nicht kleinreden.

Verfassungsrechtlich genau geregelt sind nicht nur die Voraussetzungen für einen Bundeswehreinsatz im Inneren, sondern auch dessen Modalitäten: In seinem Urteil vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen nicht mit „spezifisch militärischen Waffen“ eingesetzt werden dürfen. Die von den Streitkräften eingesetzten Hilfsmittel, so das Gericht, „können nicht von qualitativ anderer Art sein als diejenigen, die den Polizeikräften der Länder für die Erledigung ihrer Aufgaben originär zur Verfügung stehen“. Militärische Kampfmittel dürften jedenfalls nicht zum Einsatz gebracht werden.[4]

Aber genau um solche spezifisch militärischen Kampfmittel handelt es sich bei den Tornados sowie den Spähpanzern. Nicht nur deren Bordwaffen, sondern auch deren besondere elektronische Ausstattung zur „Feindaufklärung“ sind für den Einsatz im Krieg mit dem Ziel der Tötung des militärischen Gegners konzipiert. Weder Panzer noch Kampfflugzeuge können deshalb als polizeitypische Einsatzmittel für eine Amtshilfe im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden.

Doppelter Verfassungsbruch

Der Bundeswehreinsatz rings um Heiligendamm ist deshalb gleich als ein doppelter Verfassungsbruch zu werten: Weder lagen die Voraussetzungen für eine zulässige Amtshilfe vor noch wurden die verfassungsrechtlichen Schranken hinsichtlich der Einsatzmittel beachtet. Es erstaunt, wie wenig diese Tatsache bisher auch von den im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien wahrgenommen wurde. Die Mühe einer gründlichen Lektüre unserer Verfassung ist im Zeitdruck des politischen Tagesgeschäftes zwischen dem nächsten Talk-Show-Auftritt und der eigenen Profilierung in der Fraktionssitzung offenbar kaum noch zu leisten.

Mit Befriedigung werden manche der für den Bundeswehreinsatz politisch Verantwortlichen registriert haben, wie reibungslos die Kombination von Polizeikräften des Bundes und der Länder mit den Streitkräften bei der Abwehr von Terroristen und demonstrierenden „Chaoten“ (Bild-Zeitung) inzwischen klappt. Längst bevor die eigentlich notwendige Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat beschlossen wird, ist die Grenze zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und militärischer Feindbekämpfung eingeebnet. Von Innenminister Schäuble bis zum innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion Wiefelspütz besteht weitgehende Einigkeit, dass einem Terroranschlag, beispielsweise vermittels eines entführten Verkehrsflugzeugs, auf der Grundlage des Kriegsrechts entgegenzuwirken sei.[5] Im war on terrorism werden die Schutzgewährleistungen der Freiheitsrechte Zug um Zug abgewickelt, der Ausnahmezustand verstetigt sich zum Regelfall. Dies hat weitreichende Konsequenzen: „Im Ausnahmezustand gewinnt der Staat an Freiheit, was die Bürger an Rechten verlieren“.[6]

In der Tat forderte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble Anfang Juli die Schaffung von Rechtsgrundlagen, „die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten.“[7] Wer die Geschichte des Kampfes um die Menschenrechte ein wenig kennt, reibt sich erstaunt die Augen angesichts dieser Rolle rückwärts in den Absolutismus: Statt den Grundrechtsschutz zu stärken, reklamiert die Staatsgewalt für sich die Freiheit, massiv und nahezu grenzenlos in die Freiheitssphäre der Bürger einzugreifen. Das Arsenal soll dabei immerhin von der „Online- Durchsuchung“ von Computern über das Verbot der Kommunikation per Internet und Handy für verdächtige Ausländer bis hin zu deren Internierung und sogar zur gezielten Tötung wirklicher oder vermeintlicher Terroristen durch den Staat reichen.

Mit erschreckender Regelmäßigkeit wiederholt sich das Handlungsschema der Protagonisten der Inneren Sicherheit:[8]
Nach jedem Terroranschlag irgendwo auf der Welt wird die Gefahrenlage auch für Deutschland in den kräftigsten Farben ausgemalt und tief in die Schublade längst vorbereiteter Gesetzesverschärfungen gegriffen, auch wenn sich dann auf parlamentarischer Ebene nur ein Teil davon durchsetzen lässt. Schon die Verfassungsänderung zur Legalisierung des Lauschangriffs im Frühjahr 1998 wurde als entscheidender Schritt zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gefeiert – die Erfolge durch den Einsatz dieses Instruments in der Praxis hielten sich hingegen in recht bescheidenem Rahmen.[9] Auch die verheerenden Anschläge in den USA am 11. September 2001 wären vermutlich nicht durch noch mehr Überwachungskompetenzen der dortigen Sicherheitsbehörden verhindert worden. Bei den US-amerikanischen Geheimdiensten gab es durchaus Informationen über die Todespiloten, deren Bedeutung allerdings nicht richtig erkannt wurde. Beklagt wurde bei der späteren Auswertung denn auch die „inability to connect the dots.“[10]

Auch die Einführung der „Online- Durchsuchung“ und die bereits beschlossene Vorratsdatenspeicherung bei den Internet-Providern wird eher bewirken, dass Polizeien und Geheimdienste in Deutschland regelrecht in einer Flut von Daten ertrinken, das Aufspüren von Terroristen aber kaum wesentlich erleichtern. Selbst ein totaler Überwachungsstaat könnte keine absolute Sicherheit vor Terroranschlägen garantieren. Die „präventive“ Ausforschung durch den staatlichen Missbrauch der technischen Möglichkeiten moderner Kommunikationsnetze würde aber eine Vielzahl Unschuldiger treffen. Wenn niemand mehr sicher sein kann, von heimlicher Überwachung verschont zu bleiben, wird statt Sicherheit „Unsicherheit durch Unberechenbarkeit staatlicher Gewalt“ geschaffen, wie die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt warnte.[11] Auch wenn Schäuble und seine Gesinnungsgenossen dies mit Blick auf den Stammtischhorizont suggerieren – durch die Preisgabe von Freiheit lässt sich ein Mehr an Sicherheit nicht erkaufen.

Fußnoten
  1. Nach „Frankfurter Rundschau“, 14.6.2007.
  2. So Paragraph 7 des Soldatengesetzes.
  3. „Berliner Zeitung“, 4.7.2007.
  4. Bundesverfassungsgericht, in: „Neue Juristische Wochenschrift“, 11/2006, S. 751-761, hier: S. 755.
  5. Vgl. dazu näher Martin Kutscha, Grundrechte nach Marktwert, in: „Blätter“ 3/2007, S. 355- 362, hier: S. 360.
  6. Wolfgang Sofsky, Das Prinzip Sicherheit, Frankfurt a. M. 2005, S. 151.
  7. Nach „Berliner Zeitung“ v. 9. 7. 2007.
  8. Ausführlicher dazu Rolf Gössner, Menschenrechte in Zeiten des Terrors, Hamburg 2007, S. 16 ff.; Martin Kutscha, Deutschland – ein Verfassungsstaat? Die Aufrüstung der inneren Sicherheit als Exemplum, in: „Vorgänge“, 2/2007, S. 15-22.
  9. Vgl. die Zahlenangaben in den jährlich zu erstattenden Berichten der Bundesregierung, zusammengestellt bei Fredrik Roggan, Große Lauschangriffe, in: Fredrik Roggan und Martin Kutscha (Hg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Berlin 2006, S. 106-143.
  10. So der FBI-Direktor Robert Mueller, zit. n. Jan Ulrich Ellermann, Antiterrordatei – neue Wege der Terrorismusbekämpfung im Informationszeitalter, in: „Die Polizei“, 7/2007, S. 181-186, hier: S. 181.
  11. Christine Hohmann-Dennhardt, Sicherheit durch Recht in Zeiten der Globalisierung! In: Adolf-Arndt-Kreis (Hg.), Sicherheit durch Recht in Zeiten der Globalisierung, Berlin 2003, S. 107- 111, hier: S. 109.

* Martin Kutscha, geb. 1948 in Bremen, Dr. jur., Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin


Dieser Beitrag erschien in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8/2007, S. 905 bis 908

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