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Die Stunde der Scharfmacher

Die Innenpolitiker haben aus dem Deutschen Herbst nichts gelernt. Erneut unterminieren sie im Namen des Anti-Terrorkampfes Bürgerrechte und Rechtsstaat

Von Rolf Gössner *

Die Sicherheitsdebatte nach den spektakulären Festnahmen mutmaßlicher islamisti-scher Terroristen wird hitziger. In solchen Situationen schlägt regelmäßig die Stunde der Scharfmacher und der politische Druck wächst. Und auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit seinen staatsgewaltigen Fantasien und grundrechtssprengenden Denkanschlägen, die er fast täglich verübt, sieht sich offenkundig bestätigt. In der Bevölkerung und den Medien, die bislang Schäubles Aufrüstungspläne gar nicht so erstre-benswert fanden, wird die Kritik daran womöglich mehr und mehr verstummen.

Tatsächlich stellt sich für viele die Frage: Brauchen wir nicht doch noch weitergehende Eingriffsbefugnisse für Polizei und Geheimdienste, um den nun ausgemachten Homegrown-Terroristen das blutige Handwerk zu legen? Jetzt, wo die Gefahr nicht mehr nur mit Mustafa und Mohammed in Zusammenhang gebracht wird, die längst unter Generalverdacht stehen, sondern eben auch von eingeborenen Islamkonvertiten droht, die auf die Namen Fritz und Daniel hören.Und so zeichnet sich auch schon ein neues Feindbild ab: der Konvertit - ein potentieller Terrorist. Prompt fordern CDU/CSU-Politiker ein diskriminierendes Register zur pauschalen Überwachung von Menschen, die zum Islam übergetreten sind. Und so zeichnet sich auch schon ein neues Feindbild ab: der Konvertit – ein potentieller Terrorist.

Deutschland gilt schon seit Jahren als Teil eines globalen Gefahrenraums mit zunächst eher abstrakter Gefährdungslage. Doch spätestens nach den Kofferbombenfunden vom letzten Jahr und den neuesten Festnahmen hat der islamistische Terror nach herrschender Meinung Deutschland erreicht. Und diese neue Bedrohungslage könne, so die nicht ganz logische Schlussfolgerung, nur mit abermals neuen Befugnissen bewältigt werden.

Doch lassen wir die Kirche, oder auch die Moschee, im Dorf. Der letzte Festnahmeerfolg nach einem monatelangen Großeinsatz der Polizei, mit dem mutmaßlich geplante Anschläge verhindert wurden, zeigt doch allem Anschein nach: Wir brauchen weder heimliche Trojanerfahndungen per Online-Durchsuchung von Computern noch grundgesetzwidrige Bundeswehreinsätze im Innern des Landes, wie sie Schäuble unablässig fordert. Aber auch keinen Umbau des Bundeskriminalamtes in ein deutsches FBI, geschweige denn die Internierung von „Gefährdern“, die Nutzung unter Folter erpresster Aussagen oder die Tötung von Topp-Terroristen – Denkansätze eines Sicherheitsministers, dem offenbar jegliches Verfassungsbewusstsein abhanden gekommen ist.

Jetzt hat die Innenministerkonferenz beschlossen, Menschen, die sich im Ausland in so genannten Terrorcamps ausbilden lassen, zu bestrafen, sobald sie in die Bundesrepublik zurückkehren. So plausibel eine solche Strafandrohung auf den ersten Blick auch scheinen mag, so problematisch ist sie bei genauerem Hinsehen. Wie will man denn hierzulande feststellen oder gar nachweisen, dass jemand in einem Camp zum Terroristen ausgebildet worden ist? Verübte oder unmittelbar geplante Straftaten sollen offenbar keine Kriterien der Strafbarkeit sein, noch nicht einmal konkrete Vorbereitungshandlungen, was eigentlich notwendig wäre. Und aufgrund welcher Erkenntnisse soll denn beurteilt werden, um welche Qualität von Ausbildung es sich gehandelt hat? Will man sich dann tatsächlich auf dubiose, nicht gerichtsfeste Erkenntnisse der Geheimdienste verlassen, oder auf Aussagen, die unter Folter zustande gekommen sind? Das wäre mit rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards jedenfalls nicht zu vereinbaren.

Die Innenminister der Länder haben auch angemahnt, die Sympathiewerbung für "islamistische" terroristische Vereinigungen und Aktivitäten in dem berüchtigten Terrorismusparagrafen 129a Strafgesetzbuch zu sanktionieren. Strafbar wären dann etwa In-ternetauftritte, Flugblätter oder Spruchbänder, die El Qaida oder terroristische Aktionen positiv werten. Es ist allerdings zu befürchten, dass wir damit in alte Zeiten zurückfallen, als die bloße Sympathiewerbung für Gruppen, die als terroristisch galten, bereits unter Strafe gestellt wurde.

Nicht nur Mitglieder und Unterstützer terroristischer Vereinigungen konnten in den 70er, 80er und 90er Jahren belangt werden, sondern auch bloße "Werber" für solche Gruppen. Das Georg-Büchner-Zitat "Krieg den Palästen" und ein fünfzackiger Stern (RAF-Symbol), an die Plastikwand einer U-Bahn gesprüht, brachten etwa einer Münchner Arzthelferin wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung zwölf Monate Gefängnis ein.

Weil diese fast uferlose Art von Terrorismusbekämpfung zu einer Art Zensur und Vergiftung des politischen Klimas führte, zeitweise zu einer regelrechten Sympathisantenhatz, wurde seit 2003 - auf Druck der damaligen bündnisgrünen Regierungsfraktion - das bloße Werben nicht mehr unter Strafe gestellt, wenn es sich um reine Sympathiewerbung für die Vereinigung oder ihre Ziele handelt. So wird also etwa das Verteilen von Flugblättern oder Dokumentieren bestimmter Texte nicht mehr ohne Weiteres zum terroristischen Delikt. Jetzt ist nur noch das "Werben um Mitglieder oder Unterstützer" strafbar - was jedoch über das gezielte "Anwerben" neuer Mitglieder und Unterstützer hinausgeht; auch setzt eine diesbezügliche "Tat" nicht voraus, dass das werbende Ver-halten zu einem messbaren Erfolg für die Vereinigung geführt hat.

Gleichwohl sind die zensurierenden Wirkungen dieser Organisationsnorm erheblich eingeschränkt und das immer wieder beklagte Gesinnungsstrafrecht wenigstens insoweit entschärft worden. Die neuen Pläne der Innenminister drohen diese Entschärfung wieder rückgängig zu machen - sie werden keinesfalls nur "Sympathiewerbung" für islamistischen Terror treffen, sondern allgemein und weit darüber hinaus Geltung erlangen. Die bloße Dokumentation von Reden oder Bekennerschreiben, welcher Terrorgruppe auch immer, könnte dann bereits strafrechtliche Ermittlungen und Verurteilungen zur Folge haben - auch wenn solche Dokumentationen lediglich der Information und dem politischen Diskurs dienen sollen. Die Innenminister der Länder und des Bundes haben offenbar aus dem "Deutschen Herbst" nicht allzu viel gelernt.

Schon nach den Terroranschlägen in den USA vom 11.9.2001 übertrafen sich Parteien und Sicherheitspolitiker gegenseitig mit Gesetzesverschärfungen zur Terrorismusbekämpfung, die der Sicherheit der Bürger dienen sollen, aber mit Sicherheit ihre Freiheitsrechte einschränken. 2002 sind die umfangreichsten Sicherheitspakete der deutschen Rechtsgeschichte in Kraft getreten. Damit wurden etwa Polizei- und Geheimdienst-Befugnisse stark ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf "lebens- und verteidigungswichtige Betriebe" ausgedehnt, "biometrische Daten" in Ausweispapieren erfasst und Migranten einer noch intensiveren Überwachung unterzogen. Inzwischen ist auch die Antiterrordatei eingeführt, mit der die Trennung von Polizei und Geheimdiensten unterlaufen wird und zusammenwächst, was nicht zusammen gehört. Und die Bundeswehr wird bereits so dreist und selbstverständlich im Innern des Landes eingesetzt, zuletzt gegen den massenhaften G-8-Protest, als hätte das Grundgesetz ausgedient.

Dennoch scheint es immer noch nicht genug: Nach jedem Anschlag entbrennt eine neue Debatte um angebliche Sicherheitslücken, in der es im Kern um einen fatalen Umbau der Sicherheitsarchitektur geht - mit dem Effekt einer zunehmenden Militarisierung der "Inneren Sicherheit", einer weiteren Zentralisierung und Vernetzung aller Sicherheitsbehörden und einer Erhöhung der Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft. Eine Rüstungsspirale ohne Ende.

Selbst die Gewerkschaft der Polizei fürchtete angesichts dieser überzogenen Sicherheitsgesetze schon um die "Bürgernähe" der Polizei und um den "freiheitlichen Staat". Statt der Polizei immer neue Befugnisse zuzumuten, die mit ihrer Personaldecke kaum zu bewältigen sind, solle man sich lieber um die bestehenden Vollzugsdefizite kümmern - zumal die Polizei wegen der faktischen Allzuständigkeit, die ihr von der Sicherheitspolitik aufgebürdet wird, längst heillos überfordert ist.

Anstatt der Bevölkerung die Wahrheit über Unsicherheitsfaktoren in einer demokratischen und hochtechnisierten Risikogesellschaft zuzumuten, machen ihr Regierungspolitiker immer wieder unhaltbare Sicherheitsversprechen. Zu dieser Wahrheit gehört auch, dass sich die Gefahrenlage immer dann besonders verschlechtert, wenn die Politik wieder mal ihren Teil dazu beiträgt - etwa durch den Beschluss, mit dem Einsatz von Tornados der Bundeswehr in Afghanistan einen aktiven Kriegsbeitrag zu leisten. Das erhöht die Anschlagsgefahr auch hierzulande.

Verantwortliche Politiker verdrängen solche Zusammenhänge gerne, bedienen stattdessen das ohnehin starke Sicherheitsbedürfnis der Bürger und nutzen es zur Legitimierung längst geplanter Nachrüstungsmaßnahmen - auch wenn die wenigsten zur Bekämpfung eines religiös motivierten, selbstmörderischen Terrors von weitgehend unauffälligen Tätern taugen. Nur in wenigen Fällen konnte die Sicherheitspolitik plausibel darlegen, dass ihre Gesetze zur Bekämpfung dieser Art von Terrorismus tauglich sein können. Dazu gehören Maßnahmen zur Erhöhung der Flug- und Verkehrssicherheit, zur Kontrolle internationaler Geldströme, möglicherweise auch die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht. Die letzten Anschlagsversuche in England aber zeigten, dass diese auch mit all den inzwischen erfolgten Gesetzesverschärfungen und unter hohem Fahndungsdruck nicht zu verhindern sind, sondern häufig nur durch Glück und Zufall, durch aufmerksame Bürger oder aber durch klassische kriminalistische Ermittlungen der Sicherheitsbehörden.

Für ein vages Sicherheitsversprechen bezahlt die Bevölkerung mit schweren Grundrechtsverlusten einen hohen Preis. Doch weder in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft noch in einer liberalen, offenen Demokratie kann es einen absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben. Unhaltbare Sicherheitsversprechen und ein ausuferndes Sicherheitsdenken, wie wir es nicht nur hierzulande erleben, können zerstören, was sie zu schützen vorgeben: Demokratie, Freiheit und Bürgerrechte, die im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes ohnehin schon schweren Schaden erlitten haben.

* Der Autor, Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Publizist und Parlamentarischer Berater, ist Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitherausgeber des jährlich erscheinenden Grundrechte-Reports sowie Autor des kürzlich erschienenen Buches "Menschenrechte in Zeiten des Terrors - Kollateralschäden an der ,Heimatfront'" (Hamburg 2007, 288 Seiten, 17 Euro).
Der Text ist die überarbeitete Fassung einer Rundfunksendung des Autors. Darin warnt er vor den jüngsten Vorschlägen der Innenminister-Konferenz: den Besuch von Terrorcamps und die Sympathiewerbung zu bestrafen, sei mit Bürgerrechten nicht vereinbar.

Dieser Beitrag erschien am 14. September 2007 auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau.



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