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Bereit gegen den inneren Feind

Verfassungsrichter erlauben Bundeswehr im Binneneinsatz: NATO-Standard wird erreicht

Von Lothar Schröter *

In der vergangenen Woche veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zum Thema Bundeswehr im Innern. Deutschland folgt mit der Entscheidung dem Weg anderer NATO-Partner.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf deren Einsatz im Katastrophennotstand und im besonders schweren Unglücksfall nach Art. 35 Abs.2 und Abs.3 des Grundgesetzes (GG). Hiervon erfasst werden nur ungewöhnliche Ausnahmesituationen »katastrophischen« Ausmaßes.

Neue Möglichkeiten eröffnet

Das Gericht öffnete damit vor allem Kanäle für den Gesetzgeber, die Verwendung der Bundeswehr im Innern zu diversifizieren. Es geht ihnen darum, die Truppe zu allem Möglichen heranziehen zu können, sei es zur Bekämpfung von tatsächlichen oder vermeintlichen Terroristen, zur Absicherung von Großveranstaltungen (siehe das britische Militär bei den Olympischen Spielen), zum Abschießen gekaperter Flugzeuge oder als Drohkulisse bei politischen Auseinandersetzungen.

Das Entscheidende beim inneren Einsatz der Truppe ist aber bereits seit der Notstandsverfassung von 1968 bereits geregelt. Und das ist der Systemerhalt, sollte das Volk nicht mehr wollen, wie es soll. Mit dem Siebzehnten Gesetz zur Ergänzung des GG vom 24. Juni 1968 wurde der neue Artikel 87a Absatz 4 eingefügt:
»Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs.2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.«

Das übrigens steht im Gegensatz zur DDR-Rechtsprechung. Im Artikel 7 der Verfassung ist die Schutzfunktion der Nationalen Volksarmee ausschließlich auf Angriffe von außen begrenzt worden.

Doch die Bundesrepublik steht keineswegs allein, wenn die innere Lage angespannt ist. In Spanien will die regierende Volkspartei die Militärdoktrin des Landes auch auf den Widerstand gegen die Folgen der Wirtschaftskrise ausrichten. Schon wurden Fakten geschaffen. Die Verteidigungsdirektive der Regierung für 2012 benennt als Risiken die Gefährdung des sozialen Friedens, der Sicherheit der Bürger, der politischen Stabilität und der allgemeinen Prosperität. Am 23. Juli 2012 verkündete der offizielle Staatsanzeiger erst einmal die Gründung eines Regierungsdepartements für die Nationale Sicherheit als Koordinierungsorgan. Dabei hat auch in Spanien der Einsatz der Streitkräfte im Innern Verfassungsrang. Artikel 8 bestimmt: »Die Streitkräfte ... haben die Aufgabe, die Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren und seine territoriale Integrität und Verfassungsordnung zu verteidigen.«

Derartiges Verfassungsrecht besteht in den NATO-Ländern allenthalben. Nur das Wichtigste sei angesprochen. In den USA regelt Abschnitt 8 das Recht des Kongresses, »Vorkehrungen zu treffen, um die Gesetze der Union zu vollstrecken, Aufstände zu unterdrücken...« Das Präsidialsystem eröffnet dem obersten Repräsentanten aus eigener Machtvollkommenheit militärische Einsätze im Innern anzuordnen, wofür Nationalgarde und reguläre Truppen schon wiederholt herangezogen wurden.

Vorkehrungen bei Verbündeten

Auch in Großbritannien, das keine geschriebene Verfassung hat, kann das Parlament kurzfristig entsprechende Gesetzesregelungen beschließen oder Befugnisse zur Rechtssetzung an die Regierung übertragen. Probates Instrument gegen den inneren Gegner ist der »Emergency Powers Act« von 1964. Bei königlicher Proklamation des Staatsnotstands erhält die Exekutive die Ermächtigung »alle Maßnahmen zu treffen, die zur... Wahrung des Friedens und der öffentlichen Ordnung erforderlich sind.«

In Frankreich bestimmt der Verfassungsartikel 16: »Wenn die Einrichtungen der Republik... schwer und unmittelbar bedroht sind und wenn die regelmäßige Ausübung der verfassungsmäßigen öffentlichen Gewalten unterbrochen ist, ergreift der Präsident der Republik... die unter diesen Umständen erforderlichen Maßnahmen.«

Die Reihe ließe sich schon bei den »alten« NATO-Staaten über Belgien, Dänemark, Griechenland, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die Türkei fortsetzen. Die meisten von ihnen unterhalten paramilitärische, zum Teil den Verteidigungsministerien unterstehende Formationen in zumeist fünfstelliger Größenordnung, um nicht sofort auf die reguläre Truppe zurückgreifen zu müssen. Auch die NATO selbst ist auf den inneren Notstandsfall in verschiedener Hinsicht vorbereitet.

* Dr. Lothar Schröter ist Militärhistoriker in Potsdam.

Aus: neues deutschland, Samstag, 25. August 2012


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