Pressefreiheit in Gefahr: 120 Tage Angriffe auf die unveräußerlichen Freiheiten
"Reporter ohne Grenzen" kritisieren 15 Staaten - Eine Studie über die "Top 15" der freiheitsbeschränkenden Staaten
Ende Januar 2002 legten "Reporter ohne Grenzen", die Internationale Liga für Menschenrechte und Human Rights Watch einen Bericht vor mit dem Titel:
11. September 2001 - 11. Januar 2002:
120 Tage Angriffe auf die unveräußerlichen Freiheiten
Die Top 15 der freiheitsbeschränkenden Staaten
Wir dokumentieren große Teile daraus. Der ganze Bericht kann im Internet eingesehen werden unter: www.reporter-ohne-grenzen.de
Seit dem 11. September 2001 und den Anschlägen in New York und Washington
haben die meisten Länder ihre Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Dies ist eine
absolut legitime Reaktion. Im Gegensatz zu den daraus resultierenden Übergriffen auf
die kollektiven und individuellen Freiheiten. 120 Tage nach den terroristischen
Attentaten erscheint es uns angemessen, eine erste Bilanz zu ziehen. Denn die
Angriffe auf die Menschenrechte, die Pressefreiheit und Informationsfreiheit im
Internet haben zugenommen. Wir stellen also in der Folge die "Top 15" vor, die
fünfzehn Länder, die bei der Einschränkung der Freiheit führend sind. Es ist die
Hitparade der Staaten, in denen die häufigsten und nachhaltigsten
sicherheitspolitischen Ausschweifungen und ein Abgehen von der Normalität zu
beobachten sind.
Zwei Arten von freiheitsbeschränkenden Staaten sind zu unterscheiden: diejenigen,
die in der Folge der Attentate in "Panik" gerieten und zu Rechtsmitteln griffen, die die
Freiheit beschränken, und die "opportunistischen" Staaten, die den Vorwand der
Terrorbekämpfung nutzen, um bisher unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen oder
um Minderheiten und Gegner zu unterdrücken. Die unschuldigen Opfer im World
Trade Center und Pentagon, in den Städten und Dörfern Afghanistans sind
unvergessen. Muss man dennoch Alles im Namen des Kampfes gegen den
Terrorismus zulassen? Wir glauben nicht. Wir sind weiterhin "wachsam" und "stehen
zusammen". Darum veröffentlichen wir diese Charts der freiheitsbeschränkenden
Staaten.
Platz 1: Die USA
Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
So lautete der Titel eines Artikels über die Lage in den USA, den wir am 10.
Dezember 2001 auf unserer Website publizierten. Es ist natürlich und legitim, dass die
Behörden nach den Anschlägen des 11. September mit drakonischen Maßnahmen
reagierten, denn es geht darum, sich vor neuen Attentaten zu schützen. Doch ist
festzustellen, dass die "Reaktion" Maßnahmen beinhaltet, die die Freiheit
beschränken. Es gibt frappierende Angriffe auf die kollektiven und individuellen
Freiheiten, die Bürgerrechte, die Freiheit im Internet und in Bezug auf die
Unschuldsvermutung. Auch die "Anscheinsdelikte" sind wieder da. Dies Alles ist
zweifellos Folge der vom Kongress abgesegneten Maßnahmen der
Bush-Administration.
Die Abschreckungsstrategie - präventiv, massiv und ... exzessiv?
In der Folge des 11. September inszenierten die Behörden eine enorme
Menschenjagd. Die Theorie massiver, präventiver und (so die
Menschenrechtsorganisationen) exzessiver Festnahmen wurde von Justizminister
John Ashcroft verteidigt und vom FBI übernommen. Fast 1200 Personen wurden so
ohne Urteil verhaftet. In den meisten Fällen konnten die Verhafteten (die im
Wesentlichen aufgrund von Verstößen gegen Visabestimmungen festgenommen
worden waren) keinen Anwalt sprechen oder Kontakt zu ihren Familien aufnehmen.
Am 27. November 2001 bestätigte der Justizminister, dass sich noch sechshundert
Personen ohne Verfahren in Haft befanden. Er weigerte sich kategorisch, eine Liste
der Namen dieser sechshundert Personen heraus zu geben.
Verstöße gegen die Rechte der Gefangenen und die Unschuldsvermutung Anfang
Januar 2002 gaben Diplomaten anderer Staaten in den USA ihre diplomatische
Zurückhaltung auf und beschuldigten die amerikanischen Behörden, "nicht die
Grundrechte unserer Staatsangehörigen, die seit den Attentaten vom 11. September
in Haft genommen worden sind, zu wahren". Auf Initiative des Generalkonsuls von
Pakistan in New York berichteten sie, dass "wir in den meisten Fällen weder die
Identität noch den Aufenthaltsort unserer Staatsangehörigen kennen. Man sollte uns
wenigstens ihre Namen geben. ... Die Behörden üben auch Druck auf sie aus, so dass
sie nicht das Recht haben, Kontakt zu ihren Konsulaten oder Anwälten aufzunehmen.
Das ist keinesfalls zulässig."
Im Moussaoui-Prozess wandte sich Francois Roux, einer der Anwälte des Franzosen
und Hauptbeschuldigten in der Ermittlung der Anschläge, dem die Todesstrafe droht,
Anfang Januar gegen die Missachtung der Unschuldsvermutung gegenüber seinem
Mandanten, wie dies auch in einigen anderen Fällen geschieht. "Wir werden aus
diesem Verfahren einen Kampf um die Anerkennung des unveräußerlichen Rechts,
dieser unveräußerlichen Freiheit, die in der Unschuldsvermutung besteht, machen. In
diesem Fall ist dieses Recht eindeutig verletzt worden. Dies kann nicht hingenommen
werden. Niemand ist vor einem Verfahren schuldig zu sprechen", erklärte Roux.
Das USA Patriot Act: Auf dem Weg zum Polizeistaat
Am 26. Oktober 2001 unterzeichnete George W. Buch die Verordnung über die
Anwendung dieses sogenannten "patriotischen" Gesetzes, das eine Antwort auf den
Terrorismus darstellen möchte. Ausgearbeitet von John Ashcroft, dem Justizminister,
beinhaltet das Gesetz Bestimmungen, die die Freiheiten drastisch einschränken.
Abhören von Mandantengesprächen: Rücknahme des Rechts
Am 2. November genehmigt der Justizminister das Abhören und Aufzeichnen von
Gesprächen zwischen den im Rahmen der Ermittlungen der Anschläge verhafteten
Verdächtigen und ihren Verteidigern. Dabei ist nach amerikanischem Recht schon
lange anerkannt, dass "einem Beschuldigten nur dann ein gerechter Prozess gemacht
werden kann, wenn dieser frei mit seinem Anwalt sprechen darf".
Außerordentliche Militärgerichte: Es gibt Amerikaner ... und die Anderen Am 13.
November unterzeichnete Präsident Buch eine Ständige Verordnung zur Überweisung
der Fälle mit Terrorismusverdacht, bei denen es sich nicht um amerikanische
Staatsbürger handelt, an außerordentliche Militärgerichte. Ursprünglich erlaubte das
Präsidentialdekret:
-
die Durchführung von Geheimprozessen
- keine Verpflichtung des Gerichts, die vorliegenden Beweise zu veröffentlichen
- die Verhängung der Todesstrafe, wenn zwei Drittel der Geschworenen dafür
sind.
Unter dem Druck von Bürgerrechtsorganisationen, bekannten Juristen,
einem Teil der Medien und der öffentlichen Meinung, schwächte die Regierung
die Bestimmungen für diese Gerichte ab. Die Verwaltung teilte entsprechend
mit:
Die Verhängung der Todesstrafe kann erfolgen, wenn die Geschworenen
einstimmig zustimmen.
Nach dem Urteil prüft ein Ausschuss von drei Personen das Urteil und die
Anträge der Verteidigung.
Diese Empfehlungen sind dem Verteidigungsminister übermittelt worden. Die
endgültige Entscheidung über das Urteil liegt bei Präsident Bush. Ein weiterer
Fortschritt: neben den von Amts wegen bestellten Militäranwälten dürfen sich die
Beschuldigten durch zivile Anwälte vertreten lassen. Außerdem dürfen die
Öffentlichkeit und Journalisten die Verfahren verfolgen. Das Gericht tagt nur dann
nicht öffentlich, wenn möglicherweise "verteidigungsrelevante Geheimnisse" offen
gelegt werden könnten.
Die Festnahme von fünftausend Personen ... aus dem Nahen Osten
Am 13. November forderte der Justizminister die Festnahme von fünftausend
Personen aus dem Nahen Osten, die legal mit einem Touristenvisum in die USA
eingereist waren. Das Ziel der Behörden: Auffinden möglicher Komplizen der Urheber
der Anschläge vom 11. September oder von "Schläfern" aus dem al-Qaida-Netzwerk
Osama bin Ladens. Diese Massenverhaftungen trugen zur Stigmatisierung und
Marginalisierung von Ausländern aus dem Nahen Osten, von Arabern und Muslimen
bei.
Diskriminierung: Der angekratzte "amerikanische Traum" der Araber und Muslime
Die arabische und muslimische Community zahlt einen hohen Preis für die Attentate
des 11. September. Die Vertreter dieser Gemeinden haben zwar die Attentate
verurteilt, doch ist es seitdem zu zahlreichen gewalttätigen Übergriffen bis hin zu
Mordfällen, moralischem Druck oder nicht gerechtfertigter Entlassung von Mitgliedern
der Gemeinden gekommen. Das Arabisch-Amerikanische Institut berichtet von 157
Beschwerden wegen der Diskriminierung aufgrund von Rasse oder Religion. In einem
jüngst von den Behörden der Stadt Los Angeles veröffentlichten Bericht werden 92
rassistisch-motivierte Straftaten seit dem 11. September genannt - im Vergleich zu nur
zwölf vergleichbaren Fällen im Jahr 2000 insgesamt. Der Alptraum muslimischer
Amerikaner oder Amerikaner arabischer Herkunft wurde nach dem Fall eines
Agenten, der im nahen Umfeld der Sicherheitsleute von Präsident Bush für den
Geheimdienst arbeitete, massiv von den Medien aufgegriffen. Dieser
arabischstämmige Agent wurde, aufgrund seines orientalischen Aussehens, vom
Piloten von Bord eines Flugzeugs geschickt.
Denunziation: Zuckerbrot und Peitsche
Ende November verkündete der amerikanische Justizminister John Ashcroft, dass
Ausländer, auch Personen ohne Papiere, "an einem Programm teilnehmen dürfen,
durch das ihre Visa legalisiert bzw. ihre amerikanische Einbürgerung beschleunigt
werden, wenn sie den Behörden wertvolle Informationen, die zur Festnahme von
Terroristen führen, machen". Um seinen guten Willen zu belegen, übermittelte John
Ashcroft einen Text, in dem die neuen Bestimmungen zusammen gefasst werden, an
das FBI, die Einwanderungs- und Einbürgerungsstellen sowie an die
Strafjustizabteilung der Justizverwaltung. Diese neue Anweisung ist von
Menschenrechtsgruppen massiv kritisiert worden, denn sie schafft ein Klima der
allgemeinen Denunziation zum Schaden Unschuldiger.
Die Identitätskarte vom Typ "Big Brother"
Die amerikanische Bundesregierung testet zur Zeit bei Angehörigen der Streitkräfte
und Beamten gefährdeter Ministerien ein neues Werkzeug im Kampf gegen den
Terrorismus: die Identitätskarte. Vor dem 11. September war die Einführung einer
bundesweit geltenden Identitätskarte als "Kontrolle" ihres Privatlebens für Amerikaner
undenkbar. Die Lage hat sich jedoch geändert. Vier Millionen Identitätskarten werden
in den kommenden zwei Jahren ausgegeben werden. Noch in diesem Jahrzehnt wird
die gesamte Bevölkerung des Landes davon betroffen sein. Aus europäischer Sicht
gesehen ist die Identitätskarte oder der Personalausweis ein Klassiker, der zunächst
einmal keine Einschränkung der persönlichen Freiheit mit sich bringt. In den USA
sieht man das jedoch ganz anders. Die Bürgerrechtsgruppen sind besorgt und sagen,
hier würde wirklich "Big Brother" in Stellung gebracht. Denn die amerikanische
Version der Identitätskarte ist eine schwindelerregende Verbindung von Technologie
und einem zweifelhaften Apparat, der nachvollziehen kann, was der Inhaber dieses
Ausweises macht. Mit zwei Fotos, zwei Balkencodes, digitalen Fingerabdrücken und
einem Magnetstreifen ermöglicht die Identitätskarte jede Minute, in der jemand etwas
macht, nachzuvollziehen, denn sie befindet sich im Zentrum eines tentakelartigen
Superdatenbanksystems.
CIA: Dollars und Terroristen ... im Kampf gegen den Terrorismus
Mitte Dezember bekam die CIA, der große, zentrale Informationsdienst der USA, von
Präsident Bush und dem Kongress Alles, was sie wollte, um den Terror zu bekämpfen.
Ihr Etat (und das Budget anderer Ermittlungsbehörden) wurde um fast 10% angehoben,
damit "Maßnahmen der Korruption, Rekrutierung von Personen mit dubiosem Profil
und Mordaufträge im Ausland finanziert werden können". Im Bereich Korruption
erfolgte eine Steigerung des CIA-Budgets um das Zehnfache, schreibt die
Wochenzeitung Newsweek. Dies ist Geld zur Bezahlung von "umgedrehten"
Verantwortlichen aus dem Ausland und von Informanten, u.a. von Terroristen, die als
Doppelagenten arbeiten. Was die Menschenrechtsgruppen jedoch vor Allem
alarmiert, ist die Tatsache, dass die CIA eine Kehrtwendung macht und die eigene
Geschichte dreißig Jahre zurück geht. Seit Anfang der siebziger Jahre hatte diese
amerikanische Institution nicht mehr das Recht, Morde im Ausland zu organisieren
und zu finanzieren. Der republikanische Senator Richard Shelby bestätigte, dass
"Präsident Bush die CIA aufgefordert hat, sich kraft der ihr übertragenen Kompetenz
von diesem Verbot zu befreien".
Wieder auf der Tagesordnung: Die Folter
Ende Oktober wurden im FBI, in der Regierung aber auch in den Medien Stimmen
laut, die den Rückgriff auf "andere Methoden, als einfache Vernehmungen",
forderten, "damit wenig gesprächige Verdächtige, deren Festnahme im Rahmen der
Ermittlungen der Attentate des 11. September erfolgt, zum Sprechen gebracht
werden". Schnell redeten einige der bundesweit zuständigen Instanzen wieder vom
Einsatz des "Wahrheitsserums" Penthotal, mit dem Geständnisse erzielt werden
können. Auch andere "Wege" wurden angedacht: psychischer und physischer Druck,
d.h. Ausweisung in Drittländer, in denen die Polizei brutal vorgeht oder die Familien
der Verdächtigen bedroht, um Schuldbekenntnisse zu erreichen.
Ein Dämpfer für die Meinungsfreiheit
Seit dem 11. September ist bei öffentlichen Manifestation in Wort und Witz Vorsicht
geboten. Einige Nicht-Amerikaner haben bereits lernen müssen, dass die
Meinungsfreiheit beim Thema Attentate oder Terrorismus im Allgemeinen aufhört. Im
September wurde ein Iraner von einer Universität in Florida verwiesen, weil er an der
falschen Stelle Humor zeigte. Einem anderen Iraner drohen bis zu zwanzig Jahren
Gefängnis, weil er Anfang Dezember nach einer verbalen Auseinandersetzung mit
einer Stewardess im Flugzeug die USA bedrohte. Ende Dezember erklärte ein
wütender Japaner, dem die Abfertigung am Flughafen Seattle zu lange dauerte, einer
Stewardess gegenüber: "Wenn ich Terrorist wäre, würde ich dieses Flugzeug in die
Luft jagen." Ihm drohen fünf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe in Höhe von
zehntausend Dollar.
Die Pressefreiheit: Zensur im Weißen Haus
Im Bruch mit der Tradition amerikanischer Institutionen hat die Exekutive Anfang
Oktober eine Art Zensur für die Presse eingeführt. Condoleeza Rice, die nationale
Sicherheitsberaterin des Präsidenten, rief die wichtigsten Herausgeber zusammen,
um sie an ihre "Verantwortung" bei der Information in Krisenzeiten zu erinnern.
Beunruhigender ist, dass Präsident George Bush unter Berufung auf Gründe der
nationalen Sicherheit, den wichtigsten Mitgliedern seines Kabinetts am 5. Oktober
2001 Anweisung erteilte, den Parlamentariern bestimmte für die Ausübung ihres
Mandats unerlässliche Informationen nicht mehr zu geben. Der Grund für diese
Maßnahme ist die Angst davor, dass etwas an die Presse "durchsickert".
Freiheit im Internet:
Amerika organisiert, als neuer weltweiter Justiziar des Internet, die
Treibjagd im Netz
Im Rahmen des Gesetzes über den Kampf gegen den Terrorismus hat sich das
US-Justizministerium das Recht, "Piraten" im Internet zu verfolgen, erteilt,
gleichgültig, ob diese amerikanische Staatsbürger sind oder nicht, gleichgültig, ob sie
auf amerikanischem Boden handeln oder jenseits des nationalen Territoriums der
USA. Die Begründung der Behörden ist simpel: in dem Maß, in dem der
überwiegende Teil der Internet-Kommunikation über die USA läuft, ist jeder zu
verfolgen, der im Internet gegen die Gesetze der USA verstößt, denn die
elektronischen "Delikte" laufen durch amerikanische "Leitungen".
Die amerikanische Bundespolizei (FBI) hat sich zu diesem Zweck ein neues Werkzeug
zugelegt. Es nennt sich "Laterna Magica" und erlaubt die Dekodierung und
Dechiffrierung aller geschützen Daten auf einzelnen Rechnern. Als wahrhaft
"trojanisches Pferd" ist "Laterna Magica" eine Software, die das FBI ferngesteuert
installieren kann. Nach der Installation erlaubt das Programm den Behörden den Blick
auf den gesamten Inhalt des "gekaperten" Computers.
"Carnivore" (der "Fleischfresser"), eine andere Anwendung, ermöglicht das Abfangen
der e-Mails der Internet-Benutzer, um ihren Inhalt zu entschlüsseln. Vor den
Attentaten des 11. September hatte die Justiz das FBI aufgefordert, "Carnivore"
sparsam einzusetzen, und nur mit zuvor erteilter richterlicher Erlaubnis. Im
vergangenen Oktober genehmigte Präsident Bush den Einsatz von "Carnivore" durch
die Bundespolizei, und zwar im eigenen Ermessen.
Platz 2: Großbritannien:
Das erste Land, das gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt
Bis
zum 11. September galt das Vereinigte Königreich als zu milde gegenüber religiösen
Aktivisten, mit anderen Worten, als sicherer Ort für vermutetliche Terroristen. Seitdem
hat das Land eine völlige Kehrtwendung gemacht. Das vom Parlament Mitte
Dezember verabschiedete Antiterror-Gesetz macht das Königreich Ihrer Majestät zur
ersten Nation, die einseitig gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
verstößt, wobei das Internet "der Kontrolle der Justiz" unterstellt wird.
Das Antiterror-Gesetz: Haft ohne strafrechtliche Untersuchung und Anklage Der
hartnäckige Widerstand des Oberhauses des britischen Parlaments blieb erfolglos: die
Abgeordneten stimmten dem von Tony Blairs Regierung ausgearbeiteten "Gesetz zum
Kampf gegen den Terrorismus" zu. Kritisiert werden insbesondere zwei Maßnahmen:
die Möglichkeit, Ausländer ohne Untersuchungsbeschluss in Haft zu nehmen und die
erhöhte Kompetenz der Polizei in Bezug auf die Überwachung des Internet, von
e-Mails und das Abhören von Telefongesprächen. Ersteres macht aus Großbritannien
das erste und einzige Land der Alten Welt, das gravierend und deutlich gegen die
Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Artikel 5 dieser Konvention
bestimmt, dass jede längere Haft über den strikten Rahmen einer richterlichen
Anordnung hinaus verboten ist. Im Übrigen hat die Regierung erst im letzten
Augenblick und angesichts einmütiger Kritik das "Delikt des Aufrufs zum religiösen
Hass" aus dem Gesetzestext gestrichen. Pressefreiheit: Aufforderung an die Medien,
"wahr und falsch zu unterscheiden"
Die britische Regierung, verlässlicher Unterstützer der Vereinigten Staaten im Krieg
gegen den Terrorismus und bei der militärischen Operation in Afghanistan, hat sich
für ein Lager entschieden. Die Mannschaft des britischen Premierministers Tony Blair
rief die Medien auf, ebenfalls zu wählen, zu wem sie stehen. Sie sollten das Gleiche
tun, wie die Regierung, im Klima der heiligen Allianz. Der Sprecher Tony Blairs rief
die Medien Anfang November und in Bezug auf ihren Umgang mit den Informationen
zum Afghanistankrieg trocken zur Ordnung. "Unterscheiden Sie, was wahr und was
falsch ist!" forderte der Pressechef Tony Blairs sie auf. "Die Medien dürfen nicht die
Lügengespinste der Taliban und die Erklärungen des Bündnisses in einen Topf werfen
oder als gleichwertig betrachten."
Freiheit im Internet:
Internet-Spionage im Namen des Antiterrorkampfes - unter
Anderem
Nach den USA, Kanada und Frankreich begann auch
Großbritannien mit einer intensiven Überwachung des Web. Dem Beispiel aus Paris
folgend verlängerte London den Zeitraum der Speicherung der Daten von
Internet-Usern durch die Zugangs-Provider. Der Innenminister verkündete überdies,
dass er davon ausginge, dass er das Recht habe, "Online erfolgende
Finanztransaktionen anzusehen oder private e-Mails zu kontrollieren". Konkret
entlässt das neue Gesetz die Polizei weitgehend aus der Pflicht, Maßnahmen durch
einen Richter autorisieren zu lassen. Zum Handeln genügt das grüne Licht durch das
Innenministerium oder einen höheren Beamten desselben. Derart drastische
Maßnahmen provozieren Protest: die Zugangsprovider beabsichtigen die Verlagerung
ihrer Server aus Großbritannien.
Platz 3: Kanada:
Das Land, in dem es nicht mehr gut ist, Ausländer oder Journalist zu sein
Das Gesetz C-36 gegen den Terrorismus, das am 24. Dezember 2001 in Kraft trat, ist alles Andere
als ein Weihnachtsgeschenk. Es beinhaltet die Einführung von "präventiven" (und
damit potenziell willkürlichen) Festnahmen von Personen, die unter
Terrorismusverdacht stehen, und viele weitere Bestimmungen, die eine Gefahr für die
Pressefreiheit oder die Freiheit im Web darstellen. Allgemein gesagt markiert es den
Rückzug dieses - einst? - offenen Landes auf sich selbst.
Antiterrorgesetz(e): Umfassende Vollmachten für Polizei und Staat
Das erste Antiterrorgesetz trat am 24. Dezember 2001 in Kraft. Es trägt den Titel C-36
und ermöglicht insbesondere die bis zu 72 Stunden dauernde Präventivhaft bei
Personen, die unter dem Verdacht der Vorbereitung terroristischen Straftaten stehen.
Für polizeiliches Handeln gilt ein einfacher Verdacht. Im Übrigen gibt das Gesetz C-36
den Behörden mehr Kompetenzen bei der Überwachung des Internet, von e-Mails und
beim Abhören von Telefongesprächen. Eine Änderung des Gesetzes über die
nationale Verteidigung ermöglicht dem Verteidigungsminister, das Zentrum für die
Sicherheit der Telekommunikation CST zu ermächtigen, Privatgespräche zwischen
Kanada und dem Ausland zu belauschen, um Informationen über "internationale
Angelegenheiten, Fragen der Verteidigung oder Sicherheit" zu bekommen."
Die Verabschiedung dieses Gesetzes bedeutet jedoch auch, dass sich Kanada
gegenüber Anderen abschottet. So wurden durch das Gesetz die
Einwanderungsbestimmungen und die Grenzkontrollen verschärft. Ein zweiter
Gesetzentwurf, der dem Parlament zur Beschlussfassung vorliegt, autorisiert vor
Allem die Minister, einseitig und geheim zu handeln, womit dem Parlament faktisch
seine Aufgabe genommen wird.
Pressefreiheit: Der Angriff auf die Vertraulichkeit der Quellen
Die Änderung der Bestimmungen im Gesetz über die nationale Verteidigung
beinhaltet die Erlaubnis, Privatgespräche zwischen Kanada und dem Ausland
abzuhören, um Erkenntnisse zu erlangen. Damit ist die Vertraulichkeit des Gesprächs
zwischen Journalist/Journalistin und dem Kontakt im Ausland nicht länger
gewährleistet. Durch das neue Gesetz ist es auch möglich, dass jemand, bei dem es
"vernünftige Gründe zur Annahme, er oder sie habe direkte Informationen über eine
terroristische Straftat", vor einen Richter bestellt wird, um diese Informationen offen
zu legen. Personen, die dieser richterlichen Vorladung nicht folgen oder die Fragen
des Richters nicht beantworten wollen, können mit bis zu einem Jahr Gefängnis
bestraft werden. Schließlich bestraft das Gesetz über Amtsgeheimnisse unter dem
neuen Titel Gesetz über den Schutz der Information nunmehr "mit unbegrenzter Haft"
die Weitergabe sensibler Informationen "an eine ausländische Stelle oder
terroristische Gruppe". Nach Artikel 16 handelt es sich bei diesen Informationen um
Informationen, "in Bezug auf die die Bundesregierung oder eine Provinzregierung
Schutzmaßnahmen ergreift", ohne dass dies näher präzisiert würde. Artikel 17
sanktioniert die Weitergabe von "speziellen operativen Informationen". Zu letzteren
zählen Informationen von öffentlichem Interesse, entsprechend den "Grenzen oder
Linien" der von der Bundesregierung verfolgten Informationspolitik. Journalisten
geraten durch diese gesetzlichen Bestimmungen potenziell in den Bereich der
Illegalität. Freiheit im Internet: Straffreiheit bei der Überwachung des Internet Die
intensive Überwachung von Internet und elektronischer Post ist ein Eckstein des
Antiterrorgesetzes. Vor der Verkündung dieses Gesetzes mussten die Behörden die
Bürger und Bürgerinnen informieren, wenn oder dass diese überwacht wurden oder
werden. Heute brauchen Polizei und Informationsdienste keine richterliche
Genehmigung mehr für eine derartige Maßnahme und müssen sich auch den Bürgern
gegenüber nicht mehr diesbezüglich verantworten.
Platz 4: Frankreich
Das Gesetz über die Sicherheit im Alltag schwächt die Meinungsfreiheit
Am 15. November 2001 verabschiedete Frankreich in aller Eile und ohne wirkliche Diskussion
ein Antiterrorgesetz, das an einen juristischen Rundumschlag erinnert und
Terrorismus und Kriminalität miteinander verquickt. Dieses, für verfassungswidrig
erachtete, Gesetz über die Sicherheit im Alltag (LSQ - Loi sur la sécurité quotidienne)
schränkt die Meinungsfreiheit im Internet drastisch ein.
Das Gesetz über die Sicherheit im Alltag: Das Internet aufs Korn genommen Nach den
Attentaten vom 11. September war die Regierung bemüht, schnell zu reagieren, und
legte den Abgeordneten des Parlaments ein Maßnahmenpaket im Kampf gegen den
Terrorismus vor. Dieses war nicht "maßgeschneidert", um auch die nebulösen Formen
der terroristischen Bedrohung zu umfassen. Neue Bestimmungen ergänzten, hastig
formuliert, einen bestehenden Gesetzestext, nämlich das Gesetz über die
Informationsgesellschaft LSI (Loi sur la société de l'information). Das LSQ ist ein
Rundumschlag geworden und umfasst zur gleichzeitigen Umsetzung dreizehn
sogenannte "Antiterror"-Gesetzesänderungen. Weiterhin bietet es die Möglichkeit,
jemanden anonym zu beschuldigen, ohne dass sich die beschuldigte Person von
Angesicht zu Angesicht mit dem so geschaffenen "anonymen Zeugen" auseinander
setzen könnte; es ermöglicht den genetischen Fingerabdruck jeder Person, die des
einfachen Diebstahls beschuldigt wird; die Durchsuchung von Fahrzeugen;
Hausdurchsuchung ohne richterliche Prüfung und in Abwesenheit des/der
Betroffenen; die Möglichkeit des Verbots von Versammlungen in Gebäudehallen; die
Übertragung polizeilicher Befugnisse auf private Sicherheitsdienste; und es beinhaltet
Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen der Einführung des Euro.
Neben den freiheitsbeschränkenden Maßnahmen dieser gesetzlichen Bestimmungen
kritisieren die Gegner das Gesetz auch, weil es gemeines Recht und Antiterrorkampf
miteinander verquickt. Die Kritik wird durch das Fehlen einer wirklichen Diskussion
über seine Umsetzung genährt. Der Text passierte den Senat und die
Nationalversammlung wie ein Brief auf dem Postweg. Kein Abgeordneter hatte den
Mut, den Verfassungsrat anzurufen (was die Regel ist, wenn es um Gesetze mit
verfassungsmäßig sensiblen Bestimmungen geht), damit sich dieser zur
Rechtmäßigkeit des LSQ äußern könnte.
Pressefreiheit: Ordnungsruf an die Adresse der Medien
Nach den Empfehlungen des Höchsten Rates für Audiovision CSA (Conseil supérieur
de l'audiovisuel) an die Adresse von Radio und Fernsehen und dem Ordnungsruf für
den Nachrichtensender Al-Jazira forderten die Organisationen zur Verteidigung der
Presse- und Meinungsfreiheit den CSA auf, darüber zu wachen, dass es nicht wieder
zu einer Kontrolle der Information in Frankreich zu Gunsten des internationalen
Kontexts käme. Diese Organisationen äußerten ihre Besorgnis angesichts der jüngsten
Empfehlungen des CSA zum Umgang mit Informationen über den Afghanistankonflikt
und zur Erinnerung des in Qatar ansässigen Nachrichtensenders Al-Jazira an seine
Pflichten. Das Fehlen jeglicher Kontrolle des Inhalts von Nachrichten ist in Frankreich
eine grundlegende Errungenschaft der audiovisuellen Medien in den letzten zwanzig
Jahren gewesen.
Freiheit im Internet: Das Internet im Griff französischer Richter
Das LSQ erlaubt die Speicherung von Daten bei den Zugangsprovidern für das
Internet für einen Zeitraum für ein Jahr. Richter sind befugt, unter Rückgriff auf
"staatliche Instrumente, die der Geheimhaltung im Interesse der nationalen
Verteidigung unterliegen", Mitteilungen zu entschlüsseln. Die Anbieter von
Verschlüsselungstechniken sind verpflichtet, den Behörden ihre Protokolle zur
Verfügung zu stellen, damit diese Botschaften dechiffrieren können. Damit steht das
Internet erneut unter strikter Überwachung und die Verschlüsselung wird
kriminalisiert.
Platz 5: Deutschland
Ein "katastrophales" Antiterrorgesetz
Die Vereinigungen, die sich für Bürgerrechte und Datenschutz einsetzen, halten das
von Innenminister Otto Schily vorgelegte und vom Bundestag verabschiedete
Antiterrorgesetz für eine "Katastrophe". Die am stärksten die Freiheiten
einschränkenden Bestimmungen dieses Gesetzes sind:
-
Der Verdacht der Gefährdung der demokratischen und liberalen Grundordnung
ist ein Grund für die Verweigerung oder Nichtverlängerung einer
Aufenthaltsgenehmigung. Für in Deutschland lebende Ausländer kann dies
auch Ausweisungsgrund sein. Dazu kommt die unmittelbare Durchführung der
Abschiebung.
-
Die Trennung zwischen Geheimdienst und Polizei wird aufgehoben. Die
Geheimdienste haben unbegrenzten Zugriff auf die gemeinsame Datenbank der
Polizei INPOL und des MAD, BND, Bundesgrenzschutz und Verfassungsschutz
werden in die Verfahren zur Ausstellung von Visa einbezogen.
-
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist die
Zuständigkeit des Verfassungsschutzes vergleichbar mit der der Polizei.
-
Das Gesetz über das Ausländerregister wird geändert, damit Polizei und
Geheimdienste automatischen Zugriff auf alle Daten haben.
-
Es ist geplant, auch Auszüge über den Unterhalt, mit denen die Identität von
Ausländern und Asylbewerbern belegt wird, zu speichern, um das
"tatsächliche" Herkunftsland zu belegen und ihre Ausweisung zu erleichtern.
Die digitalen Fingerabdrücke und "andere Identitätsnachweise" aller
Asylantragsteller müssen zehn Jahre lang aufbewahrt und sollen systematisch
mit Polizeiangaben über Tatorte von Verbrechen abgeglichen werden. Sie
werden vom BKA gespeichert.
-
Das Verbot aller Vereine von Ausländern, deren Ziele oder Aktivitäten den
grundlegenden Interessen der Bundesrepublik Deutschland schaden oder
Gefahr für sie bergen.
-
Das Recht auf den Zugriff auf Telekommunikationsdaten, die elektronisch
gespeichert werden können: wer kommuniziert elektronisch mit wem?, wer
telefoniert mit wem?, Daten zur Lokalisierung; globale Archivierung der
Inhalte, die kommuniziert werden; neue Rechte beim Zugriff auf die Daten der
Telekommunikationsunternehmen und die Verwaltung von Post und Banken für
die Informationsdienste. Die gewählten juristischen Konzepte sind ungenau und
schwer zu bewerten. Ihre Auslegung erfolgt entsprechend der behördlichen
Praxis. Wer bestimmt den Begriff der "Unterstützung des internationalen
Terrorismus"? Wer definiert die Grenze zwischen "Terrorist" und
"Freiheitskämpfer"? Die Änderungen des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt
von Ausländern in Deutschland und das Asylverfahrensgesetz sind nicht die
geeigneten Mittel, um mehr Sicherheit zu erzielen. Sie fördern, im Gegenteil
dazu, Vorurteile und Ressentiments in der Bevölkerung.
Platz 6: China
Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung die Unterdrückung von Opposition und
Minderheiten
Ende Oktober 2001 ratifizierte das chinesische Parlament zwei internationale
Abkommen zur Terrorbekämpfung: die Internationale Übereinkunft gegen Terrorakte
und die Konvention von Schanghai über den Kampf gegen den Terrorismus,
Separatismus und Extremismus. Der Ratifizierung folgte unmittelbar die massive
Repression gegen die muslimische Separatistenbewegung der Uighuren im
Nordwesten der Region Xinjiang sowie gegen mongolische Separatisten und die
Anhänger der Falungong-Bewegung.
Zum Jahresende 2001 verschärfte der Minister für innere Sicherheit diese Maßnahmen
noch: Er kündigte die Gründung eines Büros für die Koordination der
Terrorbekämpfung an. Dieses Büro verfügt über ein Sonderkommando der Polizei und
hat bereits den verbotenen Gruppen, die die Interessen der Muslime in Xinjiang, der
Mongolen und der Anhänger der Falungong verteidigen, Ultimaten gesetzt. Sie haben
ggf. bis zum Februar 2002 Zeit, vor den Beamten des Koordinationsbüros zu
erscheinen und "ihre illegalen Handlungen zuzugeben". Im Gegenzug wird sich die
Justiz ihnen gegenüber als mild erweisen.
Ansonsten droht vermutlichen Terroristen und ihren Komplizen in China die
Todesstrafe. Die Volksrepublik arbeitet an einer Änderung des Strafrechts, so dass
Unterstützer von Terrorakten, Sympathisanten aber auch Trittbrettfahrer, also
Personen, die Falschinformationen mit terroristischem Gehalt verbreiten, härter
bestraft werden können. Das neue Waffenarsenal Chinas im Kampf gegen den
Terrorismus wird von den Verteidigern der Freiheit kritisiert. Sie weisen darauf hin,
dass in Wirklichkeit "China uneingeschränkt die internationale Antiterror-Koalition seit
dem 11. September unterstützt, weil es dadurch straflos eigene störende Minderheiten
und die Opposition unterdrücken kann".
Platz 7: Italien
Straflosigkeit der Geheimdienste
Im Kampf gegen den Terror hat die italienische Regierung ein neues Gesetz auf den
Weg gebracht, das auf eine Reform der Geheimdienste abzielt. Der Entwurf sieht vor,
dass die für den zivilen Geheimdienst SISDR und den militärischen Geheimdienst
SISMI Tätigen straflos Straftaten im Rahmen ihrer Missionen begehen dürfen. Das
Töten oder Verletzen von Personen ist dabei allerdings ausgeschlossen. Diebstahl,
illegale Beschlagnahmung, Lauschangriffe, Beschattung, Eingriffe in die Privatsphäre
sollen künftig ohne richterliche Genehmigung erlaubt sein. Und es kommt noch
besser: in der Arbeit an ihren Fällen ist den Agenten sogar offiziell verboten, Kontakt
zur Justizbehörde zu haben. Über Maßnahmen und Missionen entscheidet der Leiter
des betreffenden Dienstes, in Absprache mit dem zuständigen Minister. Die
Maßnahmen sind vom Ratspräsidenten gedeckt. Dokumente, die im Zusammenhang
mit den Aufträgen und begangenen Straftaten stehen, unterliegen für einen Zeitraum
von fünfzehn Jahren dem Staatsgeheimnis.
Platz 8: Indien
Kampf gegen den Terror, um die Rechnung mit Pakistan zu begleichen
Mitte
November 2001 erlaubte die indische Regierung einen Blick in ihr
Antiterror-Waffenarsenal: die Verordnung zur Verhinderung von Terrorismus (POTO).
Premierminister Atal Beahri Vajpayee forderte die Unterstützung anderer Staatschefs,
denn der Vorschlag, den er, ohne die Zustimmung des Parlaments abzuwarten,
vorlegte, wurde heftig kritisiert. Die Opposition sprach von einem
"antidemokratischen, freiheitsbeschneidenden Werk, das zu Missbrauch einlädt und
schlicht nutzlos ist. Ein Verdächtiger kann künftig dreißig Tage ohne behördliche
Rechtfertigung eingesperrt werden. Jeder, der Informationen über vermutliche
Terroristen hat, auch ein Journalist, muss die Behörden in Kenntnis setzen, sonst
macht er sich strafbar." Nach Meinung der Opposition hat die Verordnung "vor Allem
Minderheiten im Blick, und hier insbesondere die Muslime in Jammu und Kaschmir,
die das Inkrafttreten dieser Verordnung fürchten." Die Regierungspartei BJP forderte
Premierminister Atal Vajpayee sogar auf, dem Beispiel der Militäraktion der USA in
Afghanistan zu folgen, um den Binnenterrorismus auszurotten. Mit anderen Worten:
um Kaschmir von bewaffneten Gruppen, die vom Erzfeind Pakistan unterstützt
werden, zu säubern. Diese Forderung erfolgte nach dem Anschlag auf das indische
Parlament am 13. Dezember.
Das Antiterrorgesetz hätte unter dem Druck der Abgeordneten und Organisationen zur
Verteidigung der Freiheit geändert werden müssen. Doch es gilt, wenn auch nur für
drei Jahre, nicht für fünf. Der Gesetzgeber hat ebenfalls Kontrollmechanismen
eingeführt, um Missbrauch zu verhindern.
Platz 9: Die Europäische Union
Die Harmonisierung der Terrorismusbekämpfung unter Schmerzen
Anfang November
legte die EU-Kommission einen Vorschlag für einen Entscheidungsrahmen zur
Harmonisierung der Terrorismusbekämpfung in den EU-Mitgliedstaaten vor. Ziel war
eine Eingrenzung der Definition von "Terrorismus" und eine Annäherung bei den
drohenden Strafen. Die ursprüngliche Formulierung "geeint im Terrorismus" ging hier
zu weit, denn sie "ließe sich auf jede Form gesellschaftlicher Auseinandersetzung
anwenden". Die illegale Aneignung von Infrastruktur in der Absicht, den sozialen oder
wirtschaftlichen Einrichtungen gravierenden Schaden zuzufügen, "führt in das Feld
des "Terrorismus". Die Ermutigung zu derartigen Aktionen durch Einzelne oder eine
Gruppe ist eine Straftat, die mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden kann."
Die Verteidiger der kollektiven und individuellen Freiheiten kritisieren hier deutlich
die "Rückkehr zum Meinungsdelikt".
Mitte November einigten sich die fünfzehn EU-Staaten auf eine neue Definition von
terroristischen Akten. Schwierig war jedoch die Verständigung über die Liste von
Straftaten, die vom neuen europäischen Haftbefehl abgedeckt werden. In Bezug auf
die Terrorismusdefinition musste die Europäische Union eine Formulierung wählen,
die explizit das Vereinsrecht, Versammlungsrecht, Demonstrationsrecht und die
Meinungsfreiheit sowie die Freiheit der Gewerkschaften garantiert. Beim
europäischen Haftbefehl verweigerten Italien und Irland die Erklärung der Gültigkeit
einer Liste von dreißig Gesetzesverstößen, die automatisch zur Auslieferung führen.
Italien widersetzte sich insbesondere der Aufnahme von Steuer- und
Geldwäschedelikten in die Liste. Luxemburg wollte eine Gültigkeit des europäischen
Mandats nur bei Personen, denen Gefängnisstrafen von vier Jahren drohen, anstelle
der ursprünglich vorgesehenen einjährigen Haftstrafe.
Die Europäische Kommission wandte sich ihrerseits gegen "die Einbeziehung
politischer Organisationen in eine gemeinsame Liste von vermutlichen Terroristen der
15 Mitgliedstaaten". "Meines Wissens wird keine in einem Mitgliedstaat im Parlament
vertretene politische Organisation von ihrer Regierung als terroristische Vereinigung
angesehen," erklärte Leonello Gabrici, Sprecher der EU-Kommission. Seine Äußerung
war die Reaktion auf den Wunsch Spaniens, die Partei Batasuna, der politische Flügel
der baskischen Terrororganisation ETA, auf die Liste zu setzen.
Platz 10: Spanien
Die ETA im Visier des Antiterrorkampfes
Zwar ließ die Regierung José Maria Aznar kein eigenes Antiterrorgesetz vom
Parlament verabschieden, doch der Regierungschef führte die Offensive auf
europäischer Front an. Und er konnte seine Meinung teilweise durchsetzen. Sein Ziel
war ein stärkerer Druck auf den Binnenterror, d.h. auf die ETA, im Rahmen einer
globalen Antiterrorkampagne. So erreichte er, dass sich die 15 auf die höchst
kontroverse gemeinsame Definition von Terrorismus verständigten und hinter seinem
Vorschlag für den europäischen Haftbefehl versammelten.
(Es folgen auf den Plätzen 11 und 12 Pakistan und Jordanien.)
Platz 13: Russland
Trotz des afghanischen Baums sieht man den Wald des Machtmissbrauchs in
Tschetschenien
Ein gewaltiger Leichtsinn, ein wirkliches Brandschiff: Dies ist die Meinung des
ehemaligen russischen Dissidenten Sergej Kowalew, heute Ehrenpräsident der
Menschenrechtsorganisation Memorial zum Tschetschenienkonflikt. Kowalew wählt
klare Worte. Gebeten, das Schweigen über die Lage in Tschetschenien, das sich seit
dem Anschluss Russlands an die Antiterrorkoalition in der Folge der Attentate vom 11.
September breit gemacht hat, zu kommentieren, kritisiert er heftig den Westen für
dessen plötzliche Blindheit angesichts der von russischen Soldaten verübten Taten.
"Sie wollen Nichts sehen", sagt er. "Anfangs musste der Europarat, der einen
Sonderbeauftragten ernannt hatte, über die Einhaltung der Menschenrechte in
Tschetschenien wachen. Letztlich verkaufte er sich."
Die wohlwollende Haltung des Westens gegenüber Wladimir Putin bringt Sergej
Kowalew auf die Palme. "Sie, die Westler, sind dumm. Sie schauen hin und begreifen
doch nicht, dass hinter Allem die Hand des KGB steckt. Der Präsident ist aus dem KGB
hervor gegangen, und er beruft seine Kollegen an der Macht. Und Sie? Was tun Sie?
Sie polieren diesem Versager noch die Schuhe."
Ende November änderte die NATO ihre Meinung und Position zum
Tschetschenienkonflikt seit den Attentaten des 11. September. George Robertson,
NATO-Generalsekretär, teilte dies anlässlich seines Besuchs in Russland mit. "Jetzt
verstehen Alle, dass es überall in der Welt Terrorismus gibt, den wir gemeinsam
bekämpfen müssen," erklärte er, und bezog sich dabei auf Tschetschenien. "Ich bin
nach Russland gekommen, um mit der Führung dieses Landes eine sicherere Zukunft
zu bauen."
Auf Platz 14 und 15 folgen Indonesien und Simbabwe)
Übersetzung aus dem Französischen: Lilian-Astrid Geese
Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de (deutsche Ausgabe)
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