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Nahost: Kalte Flammen in Computern

Virus verseuchte Zehntausende Rechner

Von Oliver Eberhardt *

Was dieser Virus alles kann. Dateien aller Art finden. Jeden Anschlag auf der Tastatur speichern. Regelmäßig Bildschirmfotos anfertigen. Aber auch unbemerkt das Mikrofon einschalten und Gespräche mitschneiden. Und selbstverständlich kann »Flame« (Flamme) das alles auch an diejenigen senden, die seinen Einsatz steuern.

»Dieser Virus ist so komplex, dass wir Jahre brauchen werden, um ihn vollständig zu analysieren«, schreibt Alex Gostev, Mitarbeiter von Kaspersky Labs, im Blog des Unternehmens. Das Sicherheitsunternehmen ist im Auftrag der International Telecommunications Union (ITU), einer UN-Unterorganisation, seit Monaten mit Flame beschäftigt.

Nicht nur die Möglichkeiten, auch die Verbreitung konnten recht zuverlässig erforscht werden: Auf Zehntausenden Rechnern, vor allem in Iran, aber auch in Syrien, Israel und den Palästinensergebieten, Saudi-Arabien, Ägypten und Sudan wurde der Virus gefunden. Kaspersky Labs geht dabei davon aus, dass der Urheber der selbe ist, der vor zwei Jahren Stuxnet, einen Virus, der Teile des iranischen Atomprogramms zeitweise lahmlegte, in Umlauf brachte - allerdings seien die Programme vermutlich zwei verschiedenen Teams zuzuordnen. Wer diese Hintermänner sind, ist derzeit Anlass von Spekulationen. Sicherheitsexperten, aber auch die Vereinten Nationen sind sich sicher, dass ein Staat der wahrscheinlichste Auftraggeber ist.

Und hier gibt es vor allem zwei Verdächtige: Die USA oder Israel. Denn andere Länder haben zwar das Know-how, aber nicht das politische Interesse, eine so komplexe Software nur in einer sehr begrenzten Liste von Ländern einzusetzen. Dabei ist Israel der wahrscheinlichere Kandidat: So erklärte Mosche Ja'alon, Israels Minister für Strategische Angelegenheiten, am Dienstag im Armeeradio, das Land verfüge über Spitzentechnologie und diese Instrumente eröffneten eine Menge Möglichkeiten, was als verdecktes Eingeständnis gewertet wurde. Darüber hinaus weist die Landkarte der Verbreitung auch einige Lücken auf, die auf Israel hindeuten: So wurde der Virus ausgerechnet in Irak, dem Land, das für die USA von Hauptinteresse ist, so gut wie nicht gefunden. Und auch in Jordanien wurde keine Verbreitung festgestellt. Die Sicherheitsapparate Israels, Jordaniens und der USA kooperieren eng miteinander; die Lücken lassen darauf schließen, dass hier Rücksicht genommen wird.

Sprecher von ITU und UNO fordern indes, der Urheber solle umgehend Farbe bekennen, und vor allem solle er dafür sorgen, dass der Virus nicht in falsche Hände gerät: Denn Flame sei nicht allein Spionage-Software, sondern auch eine schlagkräftige Cyberwaffe, die ganze Wirtschaftssysteme lahm legen könnte.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 30. Mai 2012


Schadsoftware des Tages: Flame **

Am Montag abend teilte das russische Antivirus-Unternehmen Kaspersky Lab mit, seit März 2010 gebe es einen neuen Computervirus, den das IT-Unternehmen »Flame« getauft hat: »Die Komplexität und Funktionalität des neuen Schadprogramms übetrifft alle bisher bekannten Cyberbedrohungen.« Es sei 20mal umfangreicher als das »Stuxnet« genannte Programm, das vor zwei Jahren Zentrifugen in iranischen Atomanlagen lahmgelegt hatte. »Flame« könne Dateien, Kontaktdaten und Gespräche, die per Computer geführt werden, ausspähen. Am Dienstag berichtete die iranische Nachrichtenagentur Fars unter Berufung auf das staatliche Computerzentrum Maher, in den vergangenen Wochen seien durch den Virus große Datenmengen gestohlen worden. Das Zentrum erklärte zugleich, »Flame« identifiziert und eine Anti-Software entwickelt zu haben. Laut Kaspersky-Sicherheitschef Alexander Gostew ist der Iran das von »­Flame« am meisten betroffene Land, allerdings auch Israel und die Palästinensergebiete, der Sudan, Syrien und Libanon – insgesamt seien 5000 Computer infiziert. Gostew: »Die Geographie der Ziele und die Komplexität der Bedrohung läßt keinen Zweifel, daß ein Staat die dahinter stehende Forschung finanzierte.«

Einen Fingerzeig auf mögliche Urheber der neuen Waffe gab am Dienstag Israels Vizeregierungschef Mosche Jaalon. Er erklärte im Armeerundfunk, sein Land halte den Einsatz von »Cyberwaffen« wie »Flame« für Angriffe auf den Iran für gerechtfertigt. Israel sei »gesegnet, ein technologisch reiches Land zu sein«, und »diese Werkzeuge, auf die wir stolz sind, eröffnen uns viele Möglichkeiten«. Das war weder Bestätigung noch Dementi. Ähnlich verhielt sich Tel Aviv bei »Stuxnet«. Als aber der israelische General Gabi Aschkenasi in den Ruhestand ging, wurden bei der Abschiedsfeier in einen Video unter seinen größten Erfolgen die Bombardierung eines syrischen Atomreaktors und »Stuxnet« aufgezählt. (asc)

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Mai 2012


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