Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Cyberwaffen: Gewagte Schritte in die digitale Finsternis / Cyberweapons: Bold steps in a digital darkness?

Amerikanischer Atomwissenschaftler warnt vor Aufrüstung im Cyberspace

In der renommierten US-amerikanischen Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" erschien im Juni 2012 ein grundlegender kritischer Artikel über den beginnenden Cyberwar, den "Krieg" im weltweiten Internet. Autor ist R. Scott Kemp, Wissenschaftler an der Princeton University und ehemaliger Berater des US-Außenministeriums bei den Verhandlungen mit dem Iran über dessen Urananreicherungszentrifugen. Außerdem ist er Mitglieder der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft.

Kemp sieht die US-Politik an einem Scheideweg, vergleichbar der Situation zu Beginn des Kalten Krieges, als 1945 die wegweisende und folgenschwere Entscheidung über den Beginn der atomaren Aufrüstung der USA gefällt wurde. Statt der erwarteten Folgewirkung der Sicherung der technischen Überlegenheit der USA entwickelte sich bekanntermaßen ein Rüstungswettlauf mit der Gefahr globaler Zerstörung bzw. Auslöschung. Selbst wenn die Zerstörungen von Cyber-Waffen anders wären als die von nuklearen Waffen, so wären diese doch potenziell nicht weniger schwerwiegend aufgrund der mittlerweile bestehenden umfassenden Abhängigkeit unserer Gesellschaften von funktionierenden Computerprogrammen in zahlreichen Lebensbereichen.

Die Nachteile bzw. Gefahren einer Entwicklung von derartigen Waffen lägen zum einen darin, dass sie als Bausätze Muster und Anregungen für diesbezüglich interessierte Nationen lieferten - cyber warfare als Waffe der Schwachen – wie auch, dass sie bereits in der Praxis durchaus nicht intendierte Folgewirkungen zeitigten. So hätte z.B. der Einsatz des „Stuxnet-Virus“ nach anfänglichen „Erfolgen“ bei der Störung des iranischen Atomprogramms zur Folge, dass das Virus identifiziert und damit ausgeschaltet werden konnte - was natürlich überhaupt nicht vorgesehen war - und die Produktion iranischer Zentrifugen konnte in der Folge sogar noch gesteigert werden. Als Konsequenz zeichneten sich nun größere Schwierigkeiten beim Erreichen einer diplomatischer Konfliktlösung ab, da nicht nur die Drohung mit dem technologischen Mittel der Störung des iranischen Nuklearprogramms im Verhandlungspoker eingeschränkt sei, sondern der Iran nun auch ein noch größeres Misstrauen gegenüber den USA hege, wodurch die militärische Option für das Vorgehen Israels und der USA an Gewicht gewinne.

Aufgrund der diversen internationalen wie auch innergesellschaftlichen Auswirkungen eines Cyberwar-Programms – die US-Regierung erklärte mittlerweile, einen Virus-Angriff auf US-Einrichtungen als einen kriegerischen Akt anzusehen; innenpolitisch müssten Forschungsergebnisse über Lücken bei Computerprogrammen geheim gehalten werden, was die eigene Bevölkerung Gefahren durch feindliche Hacker aussetze – empfiehlt der Verfasser, diesbezügliche Forschungen auf rein defensive Anwendungen zu beschränken, zumal – anders als bei der Entscheidung von 1945 über den Einstieg in die atomare Aufrüstung - diese Maßnahme unilateral von den USA vollzogen werden könnte; andernfalls werde der Rubikon überschritten hin in eine Welt, in der man mit einer unerprobten Waffe den Angriffen von Feinden wie Terroristen gleichermaßen ausgesetzt ist.

Eckart Fooken

Cyberweapons: Bold steps in a digital darkness?

Article Highlights
  • The United States rushed into the nuclear age eager to cement its technical superiority, disregarding warnings of key statesmen and scientists that a decades-long nuclear arms race would ensue. Before they go too far, policymakers should consider the implications -- both intended and unintended -- of cyberweapons.
  • Though Israel and the United States may have vast resources to support sophisticated and creative cyberweapons programs, it is worth remembering that such advantage could be its disadvantage: Each new cyberattack becomes a template for other nations -- or sub-national actors -- looking for ideas.
  • As nations begin to develop cyberwarfare organizations, they run the risk of creating bureaucratic entities, which will protect offensive cyber capabilities that simultaneously subject their own publics to cyber vulnerabilities. Since the United States has the most to lose in this area, the safe approach is to direct cyber research at purely defensive applications.
Quelle: R. Scott Kemp: Cyberweapons: Bold steps in a digital darkness? In: Bulletin of the Atomic Scientists, 7 June 2012; hier geht es zum ganzen Artikel: http://thebulletin.org [externer Link].




Zurück zur Cyberwar-Seite

Zur Seite "Neue Kriege"

Zurück zur Homepage