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Kriegsverbrecher Lubanga verurteilt

Erster Schuldspruch des Weltstrafgerichts zu Kindersoldaten

Von Olaf Standke *

Das erste Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist gefällt: Die Richter in Den Haag haben am Mittwoch den einstigen kongolesischen Milizenchef Thomas Lubanga wegen Kriegsverbrechen schuldig gesprochen.

Seit März 2006 saß Thomas Lubanga Dyilo in Untersuchungshaft; das Verfahren gegen ihn mit insgesamt 67 Zeugen wurde im Januar 2009 eröffnet. Gestern nun sprachen drei Richter am Haager Weltstrafgericht den ehemaligen Anführer der Patriotischen Kräfte für die Befreiung Kongos (FPLC) und der Union Kongolesischer Patrioten (UPC) schuldig: »Zweifelsfrei« stehe fest, dass der heute 51-Jährige zwischen 2002 und 2003 Hunderte Kinder unter 15 Jahren für bewaffnete Kämpfe im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo zwangrekrutiert und eingesetzt habe.

Lubangas Milizen hätten die nicht selten erst elfjährigen Kinder aus ihren Häusern und Schulen verschleppt, an Waffen ausgebildet, immer wieder hart bestraft und in den Kampf geschickt. Junge Mädchen seien als Sexsklavinnen missbraucht worden. Der blutige Konflikt dauerte offiziell von 1998 bis 2003 und kostete Hunderttausende Menschenleben.

Lubanga hatte in dem ersten IStGH-Prozess auf nicht schuldig plädiert; seine Anwälte sprachen von gefälschten Beweisen. Ihm drohen nun 30 Jahre Haft, in »außergewöhnlich schweren« Fällen ist auch eine lebenslange Gefängnisstrafe möglich. Das genaue Strafmaß werden die Richter später verkünden. Lubanga hat dann die Möglichkeit, Berufung einzulegen; allerdings muss dafür das mehrere hundert Seiten umfassende Urteil erst vom Englischen ins Französische übersetzt werden, was einige Monate dauern könnte.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch würdigten das Urteil als »starke Botschaft« und »Meilenstein in der internationalen Rechtsprechung«, der Maßstäbe für die Strafbarkeit von Kriegsverbrechen setzt. Der Richterspruch sei ein erster Schritt, um den Zehntausenden Kindersoldaten in Afrika Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, »Man kann durchaus auf einen Abschreckungseffekt hoffen«, so Amnesty-Expertin Leonie von Braun. Menschenrechtler bemängelten allerdings zugleich, dass der Strafgerichtshof Lubanga nicht auch für andere Verbrechen belangt habe. Und Richard Clarke, Direktor von Child Soldiers International, wies gestern darauf hin, dass in Kongo wie in anderen Ländern weiter Täter frei herumlaufen, die Kinder im Krieg missbraucht hätten oder dies noch immer täten.

Der IStGH ist das erste ständige Weltgericht zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen; 120 Staaten haben sein Statut unterzeichnet. Das Gericht, das vor zehn Jahren seine Arbeit aufnahm, stellte bislang 23 Haftbefehle aus. 14 Verfahren sind anhängig, u.a. gegen den amtierenden sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir.

* Aus: neues deutschland, 15. März 2012


Haager Botschaft

Von Olaf Standke **

Zehn Jahre brauchte es, bis der Internationale Strafgerichtshof sein erstes Urteil gesprochen hat. Die Richter in Den Haag befanden am Mittwoch einen der berüchtigtsten Milizenchefs Afrikas für schuldig, in seiner kongolesischen Heimat Hunderte Jungen und Mädchen als Soldaten zwangsrekrutiert zu haben. Das ist weniger, als sich manche Menschenrechtler erhofft hatten, ist die Liste der Kriegsverbrechen des Thomas Lubanga Dyilo doch lang. Andere aber sehen nicht nur ein abschreckendes Signal an alle, die Kinder gleichsam als Waffen missbrauchen, sie würdigen den Schuldspruch grundsätzlich als beispielgebenden Beitrag im Kampf gegen Straflosigkeit bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen.

Der wurde im sogenannten Römischen Statut des einzigen ständigen Weltstrafgerichts festgeschrieben, und diesem Vertrag sind bislang 120 Staaten beigetreten. Ein Erfolg. Unter denen, die sich nach wie vor verweigern, findet man aber auch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates USA, Russland und China. Kein Wunder also, dass nicht nur in Afrika kritisiert wird, das Haager sei ein Kolonialgericht und urteile allein über Täter aus Entwicklungsländern, während sich die Mächtigen der Welt Immunität verordnet hätten und die Verfolgung von Kriegsverbrechen mit ihrem Vetoprivileg im UN-Sicherheitsrat so dosierten, wie es ihren geostrategischen Interessen dient.

** Aus: neues deutschland, 15. März 2012 (Kommentar)


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