Der Fall Gbagbo und die Siegerjustiz
Erstmals muss sich ein ehemaliger Staatschef vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten
Von Olaf Standke *
Erstmals steht am heutigen
Dienstag (19. Februar) ein ehemaliger Staatschef
wegen des Vorwurfes von Verbrechen gegen die Menschlichkeit
vor den Richtern des Internationalen
Strafgerichtshofes in Den Haag. Laurent Gbagbo,
einst Präsident von Côte d’Ivoire
(Elfenbeinküste), soll indirekt
verantwortlich sein für Mord,
Vergewaltigung und Verfolgung
während der Gewaltwelle, die
das westafrikanische Land nach
Wahlen vom Dezember 2010 bis
April 2011 erschüttert hat. Etwa
3000 Menschen starben damals.
Von einem Meilenstein in der gut
zehnjährigen Geschichte des Internationalen
Strafgerichtshofes
(IStGH) ist oft die Rede, wenn auf
seinen neuen Prozess verwiesen
wird. Die Premierenverhandlung
in Den Haag fand 2009 im Verfahren
gegen Thomas Lubanga
statt. Dem Gründer und Führer einer
bewaffneten Miliz in der DR
Kongo wurde zur Last gelegt,
zwangsrekrutierte Kinder in kriegerische
Konflikte gezwungen zu
haben. Das im Vorjahr verkündete
Urteil: 14 Jahre Freiheitsentzug.
Schon zuvor hatte der damalige
Chefankläger Luis Moreno-Ocampo
erstmals Haftbefehl gegen ein
amtierendes Staatsoberhaupt beantragt.
Doch der sudanesische
Staats- und Regierungschef Omar
Hassan Ahmad al-Baschir befindet
sich noch immer auf freiem Fuß.
Nun steht mit Laurent Gbagbo
erstmals ein Ex-Präsident vor den
Richtern. Mord, Vergewaltigung,
Verfolgung – für diese »schwersten
Verbrechen, welche die internationale
Gemeinschaft als Ganze
« berühren, soll der einstige
Staatschef von Côte d'Ivoire als
»indirekter Mittäter« politische
Verantwortung tragen. Einst galt
der Geschichtsprofessor vielen in
der Elfenbeinküste als Märtyrer.
Mehrmals musste er wegen seiner
sozialistisch orientierten Überzeugungen
ins Gefängnis; jahrelang
kämpfte er im französischen
Exil gegen die Militärjunta in seiner
Heimat. Doch als er 2000 zum
Präsidenten gewählt wurde, führte
das zu blutigen Kämpfen.
Auch nach dem Urnengang im
Jahr 2010 erklärte sich Gbagbo
zum Sieger, obwohl die Wahlkommission
seinen Herausforderer
Alassane Ouattara vorn sah.
Was folgte, war erneut ein monatelanger
Gewaltexzess. Die Kämpfe
zwischen den Lagern, bei denen
schwere Waffen gegen Zivilisten
eingesetzt wurden, haben Tausende
Todesopfer gefordert. Bis
Ende März 2011 waren über eine
Million Menschen auf der Flucht
vor dem Bürgerkrieg. Am 11. April
2011 wurde Gbagbo nach einem
umstrittenen französischen
Militäreinsatz verhaftet. Der international
anerkannte Wahlsieger
Ouattara hatte zuvor auch Unterstützung
durch UN-Blauhelmsoldaten
erhalten. Gbagbo wurde
im November 2011 dem Weltstrafgericht
in Den Haag übergeben.
Von den 193 UN-Mitgliedstaaten
sind inzwischen 121 seinem
Gründungsvertrag beigetreten. Zu
den 32 Staaten, die das sogenannte
Römische Statut unterzeichnet,
aber noch nicht ratifiziert
haben, gehört auch Côte
d'Ivoire, das die Gerichtsbarkeit
des IStGH aber ausdrücklich akzeptiert.
Allerdings ist dessen Vorgehen
wie das des amtierenden
ivorischen Präsidenten Ouattara
umstritten. Denn während Gbagbo
und seine engsten Vertrauten
national wie international strafrechtlich
verfolgt werden – so
wurden 55 Getreue in der Elfenbeinküste
unter Anklage gestellt –,
bleiben die Menschenrechts- und
Kriegsverbrechen des Gegenlagers
bisher ungesühnt. Dabei sind
viele Gräueltaten dokumentiert,
allen voran das Massaker von
Douekoue, bei dem Ouattara-Soldaten
nach Angaben des Internationalen
Komitees vom Roten
Kreuz 800 Menschen brutal ermordet
haben.
Von Siegerjustiz sprechen Kritiker.
»Wir fordern die Behörden
auf, nicht nur Gbagbo-Anhänger
ins Visier zu nehmen. Gerechtigkeit
kann sich nicht in zwei Geschwindigkeiten
fortbewegen. Die
Anhänger von Ouattara haben
auch Verbrechen begangen, deshalb
müssen auch gegen sie Haftbefehle
ausgestellt werden«, fordert
Ali Ouattara, Chef der Ivorischen
Koalition für den Internationalen
Strafgerichtshof. Doch verfüge
Côte d'Ivoire nicht über die
juristischen Kapazitäten, um
Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit zu ahnden.
Das müsse das Haager Weltgericht
tun.
Nicht wenige Menschenrechtsorganisationen
klagen, dass
in dem ersten Jahrzehnt seiner
geradezu euphorisch begrüßten
Existenz nicht allzu viel erreicht
wurde. Dem Gerichtshof wird zähe
Bürokratie und Ineffektivität
vorgeworfen, wurden doch erst
zwei Prozesse abgeschlossen. Und
eine auffällige Einäugigkeit: Seit
seiner Gründung hat das IStGH 18
Verfahren eingeleitet, alle auf dem
schwarzen Kontinent. Kein Wunder,
dass ihm nicht nur aus afrikanischen
Ländern Neokolonialismus
vorgeworfen wird – was die
Chefanklägerin Fatou Bensouda
aus Gambia indessen vehement
zurückweist.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Februar 2013
Hintergrund
Der Internationale Strafgerichtshof
(IStGH) in Den Haag ist
eine eigenständige internationale
Organisation, deren Beziehung zu
den Vereinten Nationen über ein
Kooperationsabkommen geregelt
wird. Er ist nicht mit dem Internationalen
Gerichtshof oder dem umgangssprachlich als »UN-Kriegsverbrechertribunal« bezeichneten
Internationalen Strafgericht
für das ehemalige Jugoslawien
zu verwechseln. Der IStGH
ist zuständig, wenn Delikte nicht
auf nationaler Ebene geahndet
werden können; er darf nur über
Individuen und nicht über Staaten
zu Gericht sitzen. Das Gericht
verfolgt Völkermord, Kriegsverbrechen,
Verbrechen gegen die
Menschlichkeit sowie Verbrechen
des Angriffskriegs. Letztgenanntes
Delikt wurde erst im Juni
2010 vertraglich definiert. Der
Artikel ist noch nicht in Kraft getreten,
sodass es erst verfolgt
werden kann, wenn mindestens
zwei Drittel der Vertragsstaaten
die auf der Überprüfungskonferenz
von Kampala fixierten Bestimmungen
ratifiziert haben.
Das unabhängige »Weltstrafgericht« wurde auf der Grundlage
des Römischen Statuts errichtet.
Dieser Vertrag über das
Völkerstrafrecht wurde am 17.
Juli 1998 angenommen und trat
am 1. Juli 2002 in Kraft; im Juni
2003 nahm das Gericht seine Arbeit
auf. Inzwischen wurde das
Statut von 121 Staaten ratifiziert,
darunter alle EU-Staaten.
Wichtige Länder wie die USA,
Russland, China oder Israel verweigern
sich bisher.
Präsident des Gerichtes mit
rund 700 Mitarbeitern und einem
Etat von über 100 Millionen
Euro ist der südkoreanische
Richter Sang-Hyun Song, Chefanklägerin
seit dem Vorjahr die
Juristin Fatou Bensouda aus
Gambia. Sta
Ein zerrissenes Land
Nicht mehr Kaffee und Kakao, sondern blutige Konflikte bis hin zum Bürgerkrieg prägten Côte d'Ivoire in den beiden letzten Jahrzehnten **
Nachdem dieser Tage hochrangige Vertraute des früheren ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo aus Ghana nach Abidjan ausgeliefert worden sind, steht auch die dortige Gerichtsbarkeit wieder auf dem Prüfstand. Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) war einst der wohlhabendste Staat im Westen Afrikas, seit der Unabhängigkeit 1960 geprägt von relativer politischer Stabilität. Unter Führung der Einheitspartei PDCI (Parti Démocratique de Côte d’Ivoire) des damaligen Präsidenten Houphouët-Boigny lebten in der früheren französischen Kolonie auf einer Fläche von 322 000 Quadratkilometern 22 Millionen Angehörige von rund 60 Ethnien und verschiedenen Glaubensrichtungen - u.a. 39 Prozent Muslime, 33 Prozent Christen und 12 Prozent traditionelle afrikanische Religionen - weitgehend friedlich zusammen. Die Exporterlöse aus Kakao und Kaffee garantierten einen bescheidenen Wohlstand.
Wachsende innenpolitische Probleme, forciert durch wirtschaftliche Schwierigkeiten nach dem Verfall der Kakaopreise und zunehmende Spannungen mit rund vier Millionen Zuwanderern aus Nachbarländern wie Burkina Faso, führten Anfang der 90er Jahre zum Ende der PDCI-Herrschaft. Ein Militärputsch stürzte das Land 1999 schließlich in eine schwere Krise. Unter dem Schlagwort »Ivoirité« wuchsen Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung der Ethnien im Landesnorden.
Im Jahre 2000 gewann Laurent Gbagbo Präsidentschaftswahlen, von denen der Oppositionskandidat Alassane Ouattara ausgeschlossen wurde - weil seine Eltern aus dem Nachbarland Burkina Faso stammten. Der andauernde Streit darum, wer ein »Ivorer« sei und wer nicht, führte schließlich 2002 zum bewaffneten Aufstand gegen Gbagbo. Wobei es bei diesem Konflikt auch um Land und den Zugang zu Ressourcen geht. UN-Blauhelme sollten die Auseinandersetzungen zwischen den islamischen Rebellen im Norden und dem christlich orientierten südlichen Landesteil eindämmen. Zudem sind französische Soldaten in Côte d'Ivoire stationiert.
Drei Jahre nach einem Friedensvertrag gab es nach mehrmaligen Verschiebungen wieder Wahlen. Dieses Mal setzte sich Oppositionskandidat Ouattara gegen den Amtsinhaber durch. Gbagbo aber ignorierte das Ergebnis und ließ sich wieder als Präsident vereidigen. Die Internationale Gemeinschaft reagierte mit Sanktionen; erneut brach ein Bürgerkrieg aus, dem von Dezember 2010 bis April 2011 etwa 3000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Nach der Festnahme Gbagbos im April 2011 ist der Machtkampf zugunsten Ouattaras entschieden. Gbagbo wurde an den Haager Strafgerichtshof überstellt.
Bei den Parlamentswahlen am 11. Dezember 2011 errang die RDR von Staatspräsident Alassane Ouattara einen deutlichen Sieg. Die Partei seines Amtsvorgängers boykottierte das Votum. Doch muss sich Ouattara den Vorwurf der »Siegerjustiz« gefallen lassen. Dagegen wurde bis heute kein einziges der ebenfalls zahlreichen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen seiner eigenen Militärs verfolgt.
Olaf Standke
** Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Februar 2013
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