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Haftbefehl für Sudans Präsident Baschir

Erstmals geht der Internationale Strafgerichtshof gegen einen amtierenden Staatschef vor

Der Internationale Strafgerichtshof hat am Mittwoch (4. März) einen Haftbefehl für den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir erlassen.

Der 65-jährige sudanesische Staatschef Baschir müsse sich wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur verantworten, teilte eine Sprecherin des Gerichts in Den Haag mit. [Hier geht es zur Presseerklärung des Gerichts im Wortlaut: Press Release of the International Criminal Court.] Ihm stehe keine Immunität als Staatsoberhaupt zu. Den Vorwurf des Völkermords machte sich die zuständige Kammer des Gerichts nicht zu eigen.

Menschenrechtsorganisationen begrüßten den Haftbefehl als wichtigen Schritt in der internationalen Strafjustiz. In Sudan gab es Protestkundgebungen. Es ist das erste Mal, dass das 2002 offiziell eröffnete Gericht gegen einen amtierenden Staatschef vorgeht.

Dokumente

  • Press Release of the International Criminal Court (Presseerklärung des Gerichts vom 4. März 2009; englisch);
  • SUMMARY OF THE DECISION OF PRE-TRIAL CHAMBER I ON THE PROSECUTION’S APPLICATION FOR A WARRANT OF ARREST FOR OMAR HASSAN AHMAD AL BASHIR (Kurzfassung der Entscheidung des Gerichts; englisch);
  • Decision on the Prosecution's Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir (Entscheidung des Gerichts zur Erteilung des Haftbefehls gegen den sudanischen Präsidenten Al Bashir; 146 Seiten; externer Link)


Das Hilfswerk World Vision warnte vor einer Verschlechterung der Friedenschancen und der humanitären Situation in Darfur als Reaktion auf den Haftbefehl. »Ärzte ohne Grenzen« muss auf Anordnung der sudanesischen Regierung 22 seiner rund 100 ausländischen Mitarbeiter aus Darfur abziehen. In Sudan werden anti-westliche Ausschreitungen befürchtet. Dies könnte auch die Arbeit der UNO-Truppen in Südsudan und Darfur beeinträchtigen.

Darfur-Rebellen der »Bewegung für Gleichheit und Gerechtigkeit« hatten gewarnt, Sudans Regierung habe Milizen mobilisiert, um nach der Verkündung der Entscheidung aus Den Haag gegen Ausländer und Liberale vorzugehen. Baschirs Regierung wies den Bericht zurück und versicherte, man tue alles, um für die Sicherheit von Ausländern und UNO-Angestellten zu sorgen. Doch man könne vermutlich nicht all jener Herr werden, die ihrer Wut Luft machen wollen.

Gerichtssprecherin Laurence Blairon sagte, Baschir stehe im Verdacht, Übergriffe gegen die Bevölkerung von Darfur angeordnet zu haben. Dazu gehörten Morde, Vergewaltigungen, Folter, Zwangsumsiedlungen und Plünderungen. Die Gewalt in Darfur sei das Ergebnis eines gemeinsamen Plans, der auf höchster Ebene von der sudanesischen Regierung gefasst worden sei. Das Gericht wird laut Blairon Sudan bald den Haftbefehl übermitteln. Chefankläger Luis Moreno- Ocampo hatte im Juli 2008 einen Haftbefehl gegen Baschir auch wegen Völkermords in Darfur beantragt. Die Haager Registerrichterin Silvana Arbia appellierte am Mittwoch an Sudan, Baschir auszuliefern.

Der von 108 Staaten getragene Gerichtshof verfügt über keine eigene Polizeimacht. Bei Festnahmen ist er auf die Mitgliedsstaaten angewiesen. Ob es zu einer Verhaftung Baschirs kommt, ist daher unklar. Sudans Regierung erkennt den Strafgerichtshof nicht an und lehnt eine Auslieferung ab. Allenfalls bei Auslandsreisen riskiert Baschir, verhaftet zu werden.

Seit Beginn des Darfur-Konflikts zwischen Armee, Milizen und Rebellen kamen laut UNO rund 300 000 Menschen ums Leben. Mehr als 2,5 Millionen flüchteten. Der Gerichtshof war vom Sicherheitsrat beauftragt worden, Darfur-Ermittlungen aufzunehmen. Haftbefehle ergingen bereits gegen den früheren Minister Ahmed Harun und Milizkommandant Ali Kushayb wegen Kriegsverbrechen. Moreno-Ocampo ermittelt auch gegen Rebellenführer in Darfur.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rief Sudan auf, den Haftbefehl zu respektieren. Der Strafgerichtshof sei ein Garant dafür, »dass schwere Verbrechen nicht straflos und die Opfer nicht ungesühnt bleiben«.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2009


Bushs Triumph in Haag

Von Gerd Schumann **

Während sich George W. Bush, der größte lebende Kriegsverbrecher, im neuen Millionenanwesen zu Dallas/Texas seiner Pension erfreut, konzentriert sich der Internationale Strafgerichtshof (ICC) auf die Verfolgung eines besonders exponierten Bush-Gegners. Erstmals in der Geschichte des 2002 installierten und sich selbst als »Weltgericht« verstehenden Tribunals in Den Haag wurde am Mittwoch Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt verfügt.

Mit dem Präsidenten des Sudan, Omar Al-Baschir, schrieben die drei ICC-Richter einen Regierungschef aus der sogenannten Dritten Welt zur Fahndung aus, dessen Land 2003 von Bush auf die Liste der »Schurkenstaaten« gesetzt wurde -- zusammen unter anderem mit Afghanistan und Irak. Zur angestrebten kriegerischen Attacke gegen den ölreichen nordostafrikanischen Staat am Horn von Afrika, eine ehemalige britische Kolonie, kam es indes nicht: Zwar versuchte Bush, diese mit »Völkermord«-Vorwürfen gegen Al-Baschir international durchzusetzen, doch scheiterte er zunächst am UN-Sicherheitsrat und wohl auch an den eigenen, auf anderen globalen »Antiterror«-Schlachtfeldern gebundenen militärischen Potenzen.

Am Mittwoch folgte der ICC, dem weder die USA noch Sudan angehören, zwar nicht dem »Völkermord«-Vorwurf Bushs, der im Juli 2008 vom Haager Chefankläger Luis Moreno-Ocampo übernommen worden war. Dafür reichten die Beweise nicht, hieß es. Doch der ICC blieb dabei, daß Al-Baschir beteiligt sei an »Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen« in der westsudanesischen Bürgerkriegsprovinz Darfur.

Dort proben seit 2003 verschiedene Gruppierungen den bewaffneten Aufstand gegen Khartum. Einige der aufständischen, zum Teil verfeindeten etwa 30 Gruppierungen können dabei auf Sympathien und auch materielle Unterstützung des Westens bauen. In Folge der Kämpfe kam es immer wieder zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, einer großen Zahl von Toten sowie zur Flucht Hunderttausender - Zahlen sind auch deswegen nicht verifizierbar, weil sie propagandistisch eingesetzt werden. Khartum bestreitet das Ausmaß und weist auch den Vorwurf zurück, die mutmaßlich an Massakern beteiligten Dschandschawid (arabische Reitermilizen) auszurüsten.

Ein Vertreter der größten Darfur-Rebellengruppe JEM (Bewegung für Freiheit und Gleichheit) nannte in Kairo die Gerichtsentscheidung einen »großen Tag« für den Sudan. Al-Baschir solle sich stellen. In der sudanesischen Hauptstadt demonstrierten Tausende ihre Wut über den Haftbefehl. Eine erneute Verschärfung des Konflikts ist absehbar: Die Aufständischen erhalten neuen Rückenwind, laufende Verhandlungen werden gefährdet. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) mußte bereits die Region verlassen, die überkonfessionelle christliche Hilfsorganisation World Vision befürchtete am Mittwoch »Gewaltausbrüche«, eine »Verschlechterung der humanitären Lage« und warnte, daß der an sich hoffnungsbeladene Friedensprozeß »ins Stocken geraten« könnte.

Das deutsche Außenministerium zeigte sich davon unbeeindruckt und forderte Sudan auf, die Haager Entscheidung »zu respektieren«. Die neue US-Regierung hatte bereits im Vorfeld ihre Sympathie mit einem Haftbefehlsentscheid gegen Al-Baschir angedeutet. Die Bush-Politik, in deren Zentrum das Interesse am Öl auch des Sudan steht, geht weiter. Der Darfur-Konflikt wird gebraucht und das »Weltgericht« instrumentalisiert.

** Aus: junge Welt, 5. März 2009 (Kommentar)


Fortschritt mit Schieflage

Von Martin Ling ***

Es ist ein Fortschritt mit Schieflage: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat einen internationalen Haftbefehl gegen Sudans Langzeitherrscher Omar al-Baschir verhängt. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International feiern das zu Recht als »einzigartigen Schritt für die internationale Strafgerichtsbarkeit«. In der Tat bestehen keine Zweifel daran, dass al-Baschir ein gerüttelt Maß an Verantwortung für den Darfur-Konflikt trägt, dem laut Schätzungen der UNO rund 300 000 Menschen seit 2003 zum Opfer gefallen sind.

Es ist fraglos ein Fortschritt, dass Kriegsverbrecher durch das juristische Konzept des »Weltrechtsprinzips« in allen Staaten strafrechtlich verfolgt werden können, unabhängig davon, wo die Straftaten begangen wurden. Doch der IStGH hat bisher denselben Malus wie die Sondertribunale: Bisher müssen sich nur mutmaßliche Menschenrechtsverbrecher aus dem Süden oder Ex-Jugoslawien vor ihnen verantworten. Auch Bush, Rumsfeld und einige andere gehören nach Den Haag oder vor ein Tribunal.

Der Amnesty-Jubel »Niemand steht über dem Gesetz« trifft die Sachlage nicht. Der Straflosigkeit muss überall ein Ende gesetzt werden und nicht nur in Darfur.

Zudem ist eine Lösung in Darfur nur politisch erreichbar, nicht über die Justiz. So angebracht der Haftbefehl ist -- die Lage in Darfur könnte er ungewollt verschärfen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2009 (Kommentar)


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