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Die Schuld des Gerichts

Verfügung eines Haftbefehls gegen Sudans Staatschef hätte gefährliche Folgen

Gerd Schumann *

Zuletzt hatten sich Anfang Februar die 53 Mitgliedsstaaten der Afrikanische Union (AU) gegen den drohenden Haftbefehl für Omar Al-Baschir gestellt – Stimmen mit Gewicht, sollte man meinen. Doch ließ sich der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag mit seinem Chefankläger Luis Moreno-Ocampo an der Spitze offensichtlich nicht beirren: Am Donnerstag meldete die New York Times, daß in Den Haag in Kürze die Strafverfolgung von Sudans Präsidenten eingeleitet wird. Damit würde erstmals überhaupt ein amtierender Staatschef zur Fahndung ausgeschrieben.

Zwar dementierte eine ICC-Sprecherin umgehend, allerdings mit einer Formulierung, die darauf schließen läßt, daß die US-Zeitung bestens informiert ist. Laurence Blairon wörtlich: »Die Angaben sind nicht korrekt, es gibt derzeit keinen solchen Haftbefehl.« Und in der Tat zitierte die Agentur AP bereits kurz darauf »Mitarbeiter des Gerichts, die nicht namentlich genannt werden wollten«. Diese hätten angedeutet, der Haftbefehl könne noch im Februar beschlossen werden. Vermutlich würde er allerdings nicht alle von Moreno-Ocampo vorgebrachten Anklagepunkte umfassen.

Auch ein ranghoher US-Diplomat äußerte sich anonym. Er erklärte in Washington, die Regierung von Barack Obama rechne »noch vor Ende des Monats« mit einem Haftbefehl, und deutete damit an, daß der neue US-Präsident den beinharten Kurs seines Vorgängers fortzuführen gedenkt. George W. Bush hatte den Sudan nicht nur auf die Liste der »Schurkenstaaten« gesetzt, sondern auch mehrfach versucht, Khartum offiziell des »Völkermords« zu bezichtigen und entsprechende UN-Resolutionen herbeizuführen. Diese hätten dann den USA zur Rechtfertigung militärischer Schläge gegen den Sudan dienen können.

Einer Stabilisierung der labilen Lage in dem nordostafrikanischen Land dienten die aggressiven Töne aus Wa­shington – und auch aus anderen westlichen Hauptstädten – zu keiner Zeit. Das war auch nicht gewollt. Insbesondere vom für 2011 vereinbarten Referendum über die Zukunft des Südsudan, dessen Öl derzeit zum großen Teil nach China exportiert wird, erhofft sich Washington die Abspaltung der Region von Khartum und damit den Zugriff auf das schwarze Gold. Bis zu dieser schicksalsträchtigen Abstimmung hat der Westen massives Interesse an der Beibehaltung des Status quo und damit auch an der Fortsetzung des Bürgerkriegs in der krisengeschüttelten, an den Südsudan angrenzenden Westprovinz Darfur.

Ebendort soll Al-Baschir für Massaker verantwortlich sein. »Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord« werden im laut des im Juli von Moreno-Ocampo beantragten und von Washington befürworteten Haftbefehls – ausgerechnet von Washington, dessen damaliges Staatsoberhaupt sich beharrlich einem Beitritt zum ICC verweigerte, um sich selbst und die eigenen, in aller Welt tätigen Kriegsverbrecher nicht in die Gefahr einer internationalen Strafverfolgung zu bringen.

Auch der Sudan erkennt das Haager Gericht nicht an und hat mehrfach erklärt, daß keine Verdächtigen ausgeliefert würden. Khartums UN-Botschafter Abdalmahoud Abdalhaleem erklärte am Donnerstag (12. Feb.), ein Haftbefehl »hat für uns keine Bedeutung und verdient nicht einmal die Tinte, mit der er ausgefüllt ist«. Tatsächlich würde ein derartiger, bis dato einzigartiger Schritt gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt die Lage in der Region Darfur, im Südsudan, aber auch bei den Nachbarn Tschad, Zentralafrikanische Union, im Nordkongo und Uganda weiter destabilisieren. Insbesondere die – zum Teil vom Westen gesponserten, grenzüberschreitend agierenden – Rebellengruppen erhielten Rückenwind. Die derzeitigen zwischen Khartum und den wichtigsten Darfur-Aufständischen laufenden Verhandlungen stünden vor dem Scheitern.

Die Afrikanische Union hat recht mit ihrer Feststellung von Anfang Februar, daß ein Haftbefehl einen durchaus möglichen Friedensprozeß im Sudan und zudem einen Erfolg der gemeinsamen AU-UN-Truppe für Darfur (UNAMID) stark gefährden würde. AU-Sprecher Jean Ping meinte jüngst in Addis Abeba, UNAMID sei auf einem guten Weg. Folglich müsse der UN-Sicherheitsrat den ICC »unbedingt stoppen«.

Bereits vor einem halben Jahr stieß der Vorstoß des ICC-Chefanklägers vor allem im Süden der Erdkugel auf Kritik und ungläubiges Kopfschütteln. Umso verblüffender wäre es, wenn nunmehr die drei Haager Richter tatsächlich den Haftbefehl ausstellten. Sie würden sich schuldig machen und gehörten auf die Anklagebank.

* Aus: junge Welt, 13. Februar 2009


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