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Weltwirtschaft tanzt auf Vulkan

Ökonomen halten die Ära der aufstrebenden Schwellenländer bereits für beendet

Von Hermannus Pfeiffer *

Die Prognosen für die Weltwirtschaft sind optimistisch. Doch überall lauern Gefahren – von der Einkommensungleichheit bis hin zu den mal wieder aus dem Ruder laufenden Börsen.

Als Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank Fed, einmal laut über ein Ende seiner lockeren Geldpolitik nachdachte, kam es zu einem Mini-Crash an den Börsen. Jahrelang hatten die westlichen Zentralbanken die Finanzakteure mit billigem Geld überflutet. Ein Großteil davon floss in die Schwellenländer, die mit hohen Zinssätzen und »aufstrebenden Märkten« lockten. Als Bernanke im Mai 2013 seine Gedankenspiele ausplauderte, zogen Banken, Investoren und Konzerne postwendend Abermilliarden aus den Schwellenländern ab. Die indische Rupie büßte rund 15 Prozent an Wert ein, der brasilianische Real 20 und der südafrikanische Rand 25 Prozent. Solche Verluste halten die meisten Analysten der großen Banken für eine längerfristige Erscheinung. Aus Sicht der US-Großbank Morgan Stanley geht indes eine Ära zu Ende, der Aufholprozess der »Dritten Welt« sei vorbei.

Vor allem die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China verzeichneten lange einen ernormen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Armut in vielen Regionen ging zurück und es entwickelte sich ein breiter kaufkräftiger Mittelstand. Doch jetzt zeigen sich Grenzen: Es fehlt an Schulen und qualifizierter Berufsausbildung, Straßen- und Schieneninfrastruktur ist lückenhaft, Häfen sind marode, die Industrie hinkt technologisch hinterher.

Der Boom war vor allem durch den Export von Energie und Rohstoffen in die »Erste Welt« getrieben. Doch kurz- und mittelfristig dürfte deren Höhepunkt überschritten sein, der Superzyklus bei vielen Rohstoffen läuft aus, wichtige Preise fallen wieder. Der Abstand beim Wachstum zwischen Nord und Süd wird laut Analysten der Credit Suisse 2014 in Prozentzahlen so gering ausfallen wie seit 2002 nicht mehr.

Damit wird der wirtschaftliche Vorsprung der G8-Industriestaaten gegenüber dem Rest der Welt real wieder zunehmen. Zwar ist das Wachstum in den »Emerging Markets« nominell immer noch stärker als in den Industrieländern. Die Weltbank erwartet laut einem aktuellen Bericht ein Plus von 5,3 Prozent. Aber Zahlen können täuschen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf liegt in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, China, nur bei 6569 US-Dollar – Industrieländer wie Deutschland sind da längst unerreichbar enteilt. Angenommen, die deutsche Wirtschaftsleistung würde auf Dauer überhaupt nicht mehr wachsen und Chinas Wirtschaft jährlich um zehn Prozent zulegen, würde es sechs Jahrzehnte dauern, bis der heutige Lebensstandard eines durchschnittlichen Bundesbürgers erreicht wäre. Doch ein zweistelliges Wachstumstempo konnte selbst die Lokomotive der Weltwirtschaft nur kurze Zeit halten. Für 2014 erwarten die Propheten nur sieben Prozent. In absoluten Zahlen entspräche dies einem BIP-Zuwachs in Deutschland von gerade mal einem Prozent.

Derweil lassen die USA den Krisenmodus hinter sich. Das Wachstum dürfte in diesem Jahr von unter zwei auf über drei Prozent steigen. Und in Eurozone und EU läuft die Erholung schneller als noch im Herbst von der Kommission in Brüssel erwartet. Selbst Krisenländer wie Irland, Portugal und Italien scheinen aus dem Gröbsten heraus. »An die Stelle des Krisenmanagements«, so die Deutsche Bank, »tritt allmählich eine Konjunkturerholung.« Die Weltwirtschaft insgesamt dürfte sich 2014 und 2015 einem Wachstum von rund vier Prozent annähern. Dazu sollte die Zusage der Zentralbanken beitragen, ihre monetären Geschenke nur langsam zu verringern.

Doch die Weltwirtschaft tanzt gleichzeitig auf einem Vulkan. US-amerikanische Schattenbanken, Immobilienblasen in China oder die weiter schwelende Euro-Krise bedrohen ebenso wie der politische Inselstreit im Pazifik oder religiös motivierte Bürgerkriege im arabischen Raum die Weltwirtschaft. Auch sind die privaten Schulden etwa in Südkorea, Singapur und Thailand so hoch wie in den USA vor der Finanzkrise.

Doch als größte globale Gefahr gilt selbst den wirtschaftlichen und politischen Eliten die stark zunehmende Einkommensungleichheit, wie eine Arbeitsgruppe des Weltwirtschaftsforums in ihrem »Global Risk Report« feststellt. Auch in den Industriestaaten: So klettern im reichen Japan die Aktienkurse flott, seit der neue Premierminister Shinzo Abe die Notenbank zwang, die Geldpresse anzuwerfen. Doch gleichzeitig hat mehr als ein Drittel aller Japaner überhaupt kein Sparvermögen mehr.

Die Konzernchefs dieser Welt haben jedoch ganz andere Probleme: Laut einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers unter 1344 Managern aus 68 Ländern steht auf deren Sorgenliste ganz oben: die Angst vor politischer Überregulierung der Wirtschaft.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014


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