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Aufgeblähter Finanzsektor

Wie man die Banken rettet und einige dieses Mal vielleicht loswird

Von Lucas Zeise *

Es hat in den letzten Wochen immer wieder hübsche Szenen gegeben. Zum Beispiel den donnernden Applaus für Giorgios Papandreou vor dem Kongreß des BDI (Bundesverband der deutschen Industrie). In vorzüglichem Englisch mit amerikanischem Akzent versprach der griechische Premierminister den versammelten deutschen Wirtschaftsgrößen: »Ich kann garantieren, daß Griechenland allen seinen Verpflichtungen nachkommen wird.« Die Wirtschaftsbosse freuten sich wie die Schneekönige. Alles wird gut, versprach der sozialdemokratische Griechen-Premier mit US-Vergangenheit. Papandreous Botschaft lautete ein wenig anders formuliert: Der Euro-Absatzmarkt bleibt in voller Größe inklusive Griechenland erhalten, das dafür vom deutschen Staat investierte Geld wird zurückbezahlt.

BDI-Präsident Hans-Peter Keitel hat als Chef des Baukonzerns Hochtief sehr gute Erfahrungen in Griechenland gemacht. Der Bau des Athener Flughafens wurde vom deutschen Konzern als Generalunternehmer betrieben. Und die Lizenz zum Betrieb des Flughafens gab es im Rahmen einer klassischen PPP (»Private Public Partnership«) als Zubrot dann noch dazu. Man kann sagen, Keitel hat ganz persönlich und nah erfahren, wie beglückend die Euro-Partnership auch mit den von Bild als faul und unzuverlässig denunzierten und ökonomisch schwachen Griechen sein kann. Keitel und die anderen im BDI organisierten Chefmanager und Kapitalisten wissen, was sie an der Währungsunion haben. Die Veranstaltung mit Papandreou fand zeitgleich mit den Bemühungen der Kanzlerin und ihres parlamentarischen Wadenbeißers Roland Pofalla statt, eine Kanzlermehrheit zugunsten einer Ausweitung des Rettungsschirms für Griechenland zu organisieren. Das gelang – unter anderem auch deshalb, weil der Industriellenverband den FDP-, CDU- und CSU-Abgeordneten noch einmal klar sagte, wie sie auch in diesem Fall abzustimmen hatten. Im Notfall, so die klare Botschaft, muß der deutsche Staat durchaus noch viel Geld lockermachen, auch wenn es den eigenen, lange geübten ehernen Grundsätzen des politischen Konservatismus widerspricht. Hauptsache jedenfalls, der Euro, die schöne Währungsunion bleibt erhalten.

Wie vor drei Jahren

Der griechische Premier stellte sich auf der BDI-Veranstaltung auch fest auf die Seite der deutschen Bosse. Deren Interessen versprach er zu vertreten, die seiner griechischen Mitbürger aber hintanzustellen. An Mut gebricht es Papandreou ihnen gegenüber nicht. Er vertritt diese Haltung auch offen in Athen und Thessaloniki. Seine Regierung erfüllt brav die Vorgaben, die ihr die Troika (ein wunderbar altmodischer Ausdruck aus dem monarchistischen Rußland) aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission vorschrieb. Diese Dreieinigkeit prüfte die Verhältnisse, schrieb vor, Angestellte des öffentlichen Dienstes zu entlassen, die Tarifvertragshoheit zu beschneiden, noch nicht privatisiertes Staatsvermögen zu verkaufen, beurteilte und variierte ihre Botschaft über die Fähigkeit des griechischen Staates, die weiter mächtig wachsenden Staatsschulden zu bedienen. Mal sah es gut aus, dann wieder weniger. Im ersteren Fall winkte die nächste Tranche der Geldgeber. Im zweiten Fall rückte die Pleite des Staates näher. Wie auch immer, in allen Fällen standen Papandreou sowie sein enorm und für PR-Zwecke ungeeignet dicker Finanzminister Evangelos Venizelos ganz fest an der Seite der Troika, der Gläubigerbanken und des BDI.

Die im Mai 2010 im Rahmen des ersten Rettungsfonds Griechenland befohlenen »Sparmaßnahmen« und »Reformen« haben bewirkt, daß das Land, wie zu erwarten war, tiefer in die Rezession geraten ist. Es ist nicht das einzige. Auch in den anderen europäischen Ländern ist die Zuversicht geschwunden. Das zweite Quartal 2011 brachte Deutschland mitten im überall bejubelten Aufschwung nur Stagnation, das 3.Quartal voraussichtlich eine leichte Schrumpfung. Die Weltkonjunktur hat ihr Zwischenhoch beendet und kehrt zurück in einen Zustand, der von allgemeiner Konsum- und Nachfrageschwäche gekennzeichnet ist. In Europa kommt als belastender Faktor hinzu, daß einige Länder wie Großbritannien und Spanien rigoros und brutal die Staatsausgaben freiwillig kürzen, andere wie Griechenland, Portugal, Irland und zuletzt auch Italien dies unter dem Druck aus Berlin und Brüssel tun. Das Ergebnis ist insgesamt fatal.

Dank drohender Rückkehr der Rezession und dank der nicht einmal im Ansatz bewältigten Staatsschuldenkrise sind wir wieder da, wo wir drei Jahre zuvor auch schon waren. Die Banken müssen wieder mit sehr viel staatlichem Geld vor dem Untergang gerettet werden. Das sagte nach einem Besuch bei Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel wie nebenbei unsere ansonsten so aufs »Sparen« erpichte Kanzlerin. Zugleich richten sich die Euro-Regierungschefs auf einen größeren Schuldenschnitt (oder auch eine Staatspleite) beim Hauptsorgenland Griechenland ein. Beides hat sehr viel miteinander zu tun. Eine größere Teilentwertung der griechischen Staatsanleihen könnten einige Banken Europas nicht verkraften – die griechischen selber mit Sicherheit nicht. Wir lernen daraus ganz nebenbei, daß die großen Rettungsfonds für Griechenland, Portugal, Irland und andere Problemländer nur deshalb mit viel Aufwand konstruiert worden waren, um die jeweils heimischen Banken zu retten.

Noch ist unklar, wie genau die Bankenrettung aussehen wird. Der Grundgedanke aber ist folgender: Da wird zunächst das im Herbst 2008 Hals über Kopf im bescheidenen Volumen von 480 Milliarden Euro geschaffene und Ende 2010 ausgelaufene deutsche Bankenrettungsprogramm »Soffin« wieder angeknipst – durch einen Beschluß des Bundestages. Ähnlich verfahren alle anderen Euro-Länder. Um diejenigen Länder zu stützen, die die notwendigen Mittel zur Rettung »ihrer« Banken nicht aufbringen können, werden Befugnisse und Umfang des sich zum Hypersuperfonds entwickelnden EFSF ausgeweitet – durch weitere Beschlüsse der Parlamente. Wenn das alles steht, wird Griechenland in die Pleite entlassen. Denn – so das Kalkül unserer Staatslenker – diese Pleite haut dann keine Bank mehr um.

Die Aussicht darauf, daß die Regierungen des Euro-Gebietes wieder sehr viel Steuergeld zur Stützung der Banken aufzuwenden gedenken, hat den Aktienmarkt durchaus beflügelt. Das war doch einmal eine gute Nachricht für den Investor, denn im Laufe dieses Sommers war immer klarer geworden, daß einige Banken den Schuldenschnitt auch eines nur kleinen Landes nicht würden verkraften können. Die Banken mißtrauten einander. Der ›Geldmarkt unter Banken‹, wo sich die Kreditinstitute normalerweise geräuschlos die notwendige Liquidität für ihre Zahlungsverpflichtungen beschaffen und andere überschüssiges Geld jederzeit loswerden, hörte auf zu funktionieren. Wie im Sommer 2007, als die große Finanzkrise begonnen hatte, sprang die Europäische Zentralbank (EZB) ein. Sie stellte wie damals den Banken alles Geld, das sie brauchten, zur Verfügung. Ohne diese Hilfe hätten einige Banken aus Liquiditätsmangel geschlossen werden müssen.

»Verwässerungseffekt«

Die Freude am Aktienmarkt über die von Merkel, Barroso und vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in Aussicht gestellten geldwerten Stützungsoperationen für die Banken wurde kurioserweise von den Vorständen einiger dieser Banken nicht geteilt. Denn die Institute sollen, so ist zu vermuten, mit Eigenkapital zwangsbeglückt werden. Dabei haben die Bankenretter aus der Politik ausnahmsweise recht. Was nützt der schönste Bankenrettungsfonds, wenn die Institute das Geld nicht nehmen, dann aber doch im Fall einer Staatspleite die eine oder andere Bank umkippt und damit das ganze System umreißt? Die Banker ihrerseits wollen das zusätzliche Eigenkapital nicht, denn es schmälert die Rendite. Viel Eigenkapital bezogen auf das Geschäftsvolumen, also eine hohe Eigenkapitalquote, verringert aus zwei Gründen die Profitabilität. Erstens wird der Hebel kleiner, mit dem die Bank aus wenig geborgtem Geld mit ihren Geschäften viel Geld macht. Zweitens muß der angefallene Gewinn unter mehr Eigenkapital verteilt werden – oder wie die Fondsmanager sagen, der ›Verwässerungseffekt‹ drückt die Eigenkapitalrendite. In Krisenzeiten zeigt sich noch deutlicher als sonst, wie Bankerinteressen dem Allgemeininteresse einschließlich dem gemeinen Kapitalinteresse an einem möglichst störungsfreien Ablauf des Wirtschaftsgeschehens widersprechen. Es wird interessant sein zu sehen, ob und in welchem Maße die Euro-Regierungschefs eine Zwangskapitalisierung durchsetzen werden.

Wie häufig wird vermutlich eine Scheinlösung konzipiert. Seit dem letzten Höhepunkt der noch existierenden Finanzkrise haben sich die EU-Europäer ungeheuer bedeutende Regulierungsfortschritte erzielt. Sie haben mehrere Koordinierungsgremien für die zuvor nur national agierenden Finanzaufsichtsbehörden geschaffen. Das Gremium für die Bankenaufsicht EBA wurde in London angesiedelt, wo die Bankendichte extrem hoch ist, die Banker also nicht weit reisen müssen, um ihre Aufseher darin zu beraten, wie sie beaufsichtigt zu werden wünschen. So kam zum Beispiel jene umfassende Bankenprüfungsaktion vor einem halben Jahr zustande, die als umfassender Streßtest propagiert wurde– eine PR-Aktion, die von den Bankenverbänden erdacht worden war. Sie richtete sich nicht an die Öffentlichkeit, sondern an die Bankerzunft selber. Denn diese begannen ja, sich gegenseitig zu mißtrauen und sich kein Geld mehr zu leihen. Nur einige unbedeutende kleine Institute bestanden diesen umfassenden Test nicht. Der Rest wurde als für die kommenden Krisen gerüstet bewertet. Erfreulich immerhin, daß die Banker der Scheinveranstaltung nicht glaubten.

Nun haben die EU-Regierungen beschlossen, noch ernster an die Sache heranzugehen. Die Londoner EBA soll abermals dieselben Banken testen und feststellen, ob sie genug Eigenkapital haben, um dem Streß einer Pleite Griechenlands zu widerstehen. Wer nicht über genug Eigenkapital verfügt, erhält ein paar Wochen Zeit, um sich solches auf dem Finanzmarkt zu beschaffen. Wer auch das nicht kann, kriegt staatliches Geld aufgenötigt. Um das abzuwehren, wird so manches Arbeitsfrühstück mit den Herren und wenigen Damen der nationalen und europäischen Bankenaufsicht nötig sein. Man kann also einen guten Packen Derivate darauf verwetten, daß die Bankenstützung willkürlich und letztlich unwirksam sein wird. Das wiederum heißt, die eigentlich geplante Staatspleite Griechenlands wird verzögert, bis so gut wie alle Anleihen dieses Staates in Händen des Rettungsfonds oder der EZB sind.

Der Bankenrettung zweiter Teil stellt sich demnach als wahrhaft komplexes Stützungsgerüst dar. Es kann und wird nicht funktionieren. Dies aus dem einfachen Grund, weil es im Europa der Währungsunion absurd ist, die Rettung der Banken den jeweils nationalen Regierungen zu überlassen. Der Bankenrettungsplan wird außerdem nichts daran ändern können, daß der Schuldenschnitt eines Landes als Präzedenzfall für den anderer gilt. Dahinter versteckt sich nicht nur gemeine Ansteckungsgefahr oder Herdentrieb der Märkte, sondern rationales Kalkül der Anleger. Im Moment ist es die emsig Staatsanleihen kaufende Zentralbank, die den Schein aufrechterhält, daß Italien- und Spanien-Bonds noch vermarktet werden können.

Zuerst Tragödie, nun Farce

Tatsächlich können sich Spanien und Italien schon seit den letzten Euro-Gipfelbeschlüssen vom 21. Juli ohne Stützung durch die EZB nicht mehr am Finanzmarkt zu akzeptablen Konditionen finanzieren. Das hat sehr wenig mit der Politik der in den letzten Zügen liegenden Regierungen Zapatero und Berlusconi zu tun, sondern damit, daß die Euro-Regierungen offen gezeigt haben, daß sie nicht mehr willens und in der Lage sind, einen Schuldenschnitt für ein Mitgliedsland zu vermeiden. Seitdem warten die Märkte auf die Entscheidungen der Euro-Länder und ihrer inoffiziellen Anführerin, Kanzlerin Merkel, wie die große Operation ablaufen wird. Seitdem ist auch die Krise der europäischen Banken in ein neues akutes Stadium getreten. Klar ist jedenfalls, daß sich die Schuldenkrise auch bei einem auf den griechischen Staat begrenzten Schuldenschnitt auf die anderen Euro-Südländer und womöglich sogar Frankreich ausweiten wird.

Nicolas Sarkozy und Angela Merkel betonen beide gern und häufig, daß sie auch bei der Bankenrettung vollkommen einig seien. Das Gegenteil ist der Fall. Der französische Präsident will die gemeinsame europäische Bankenrettung, Frau Merkel will wie 2008 einen Wettbewerb der Euro-Länder in der Frage, wer seine Banken am üppigsten alimentieren kann. Sarkozy vermutet, daß die französischen Banken besonders viel Geld brauchen, Frau Merkel glaubt vermutlich, was ihr die deutschen Bankenverbände zuflüstern, daß deutsche Banken in dieser Runde weniger betroffen sein werden als das letzte Mal. Abgesehen von der jeweils interessengeleiteten Position muß man feststellen, daß die deutsche Haltung noch etwas verrückter ist als die französische.

Eigentlich müßte die Euro-Schuldenkrise auch den Deutschnationalen in Regierung und Parlament klargemacht haben, daß jeder Wettbewerbsvorteil, den deutsche Banken und der deutsche Staatshaushalt durch die Fluchtbewegung der Anleger genießen, sehr bald verbraucht ist, weil die »Partnerländer«, aus denen das Kapital flieht, um so stärker gestützt werden müssen. Das ist kein Nullsummenspiel. Nein, die Negativeffekte bei den einen überwiegen um ein Vielfaches die netten kleinen Vorteile, die der deutsche Finanzstandort einheimst. Ein wenig »Solidarität« zwischen den in einer Währung zusammengebundenen Staaten wäre selbst für den Stärksten nützlich.

Die eigentlich Perversion besteht jedoch darin, jetzt überhaupt staatliche Bankenrettung zu betreiben. Das erste Mal lief das als Tragödie ab, das zweite Mal wird es, um mit Karl Marx zu sprechen, zur Farce. Tragödie deshalb, weil die Staaten mit der ersten Bankenrettung diejenigen, die die Weltwirtschaft in die Krise getrieben hatten, massiv belohnten, sie in die Lage versetzten, ihr schädliches Tun zu wiederholen, und schließlich sich selbst in den Status des hoffnungslosen Schuldners begaben. Die rüde Farce werden wir demnächst erleben, wenn Bankiers und Politiker verblüfft feststellen, daß ihre Worte und Beschlüsse vom Publikum und vom Finanzmarkt gleichermaßen nur noch mißverstanden werden und die mühevoll konstruierten Rettungsgerüste wie in einem frühen Stummfilm lautlos zusammenkrachen.

Verquere Lehman-These

Man kann fragen, ob die weltweit unternommene Rettungsaktion für das Finanzsystem im Jahr 2008 sinnvoll war. Man kann diese Frage zumindest deshalb bejahen, weil umgekehrt der Pleite einer Bank und dem dann folgenden Run auf die Institute eine dramatische Vertiefung der Wirtschaftskrise gefolgt wäre. 2008 bezogen sich die Politiker aus allen kapitalistischen Hauptländern explizit auf die Erfahrungen aus der großen Depression der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Pleite der österreichischen Creditanstalt und der deutschen Danatbank 1931 trugen damals ganz entscheidend zu einer dramatischen Verschärfung der Wirtschaftskrise bei.

Ähnlich wird heute argumentiert, wenn behauptet wird, die von der US-Regierung zugelassene Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 habe durch den resultierenden Schock an den Finanzmärkten die Rezession der weltweiten Realwirtschaft erst verursacht.

An der Lehman-These ist allerdings nichts dran. Der Untergang von Lehman Brothers war die Folge, nicht die Ursache der global tobenden Finanzkrise. Im September 2008 war die Weltwirtschaft längst in den Rezessionsmodus eingetreten, und zwar nicht weil es einer Bank oder einer Gruppe von Banken schlecht ging, sondern weil das krisenhafte Ende des Finanzbooms im Sommer 2007 die aus laufender Verschuldung gespeiste effektive Konsumnachfrage der einfachen Amerikaner abrupt beendet hatte. Auch die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren wurde nicht von den oben erwähnten Bankpleiten ausgelöst. Das Schlimme an diesen Pleiten damals war weniger der Zusammenbruch der Bank an sich, sondern die Reaktion der Wirtschaftspolitik darauf, die besonders fatal in Deutschland ihren restriktiven Kurs verschärfte. Der Fall von Lehman Brothers war wiederum völlig anders. Er löste eine hektische Betriebsamkeit der Wirtschaftspolitik in allen wichtigen Staaten aus, die per saldo in die richtige Richtung wies.

Das viele Geld, das in den Finanzsektor gesteckt wurde, stabilisierte die Banken. Das viele Geld, das für Konjunkturprogramme ausgegeben wurde, stabilisierte die effektive Weltnachfrage. Und dies war entscheidend. Damit wurde die verheerende Abwärtsspirale (sinkende Nachfrage – sinkende Profite – sinkende Investitionen – Entlassungen – sinkende Nachfrage) vermieden, die in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre zur Depression geführt hatte. Als Zwischenergebnis bleibt festzustellen, es kommt weniger darauf an, ob eine Bankenpleite vermieden werden kann, als darauf, wie diese Pleite vonstatten geht und welche Wirtschaftspolitik in ihrem Umfeld betrieben wird.

Wie man heute sieht, hatten die Bankenrettungsaktionen des Jahres 2008 ihre Schattenseiten. Sie führten zum einen dazu, daß die Staatshaushalte geplündert wurden. Das hat die ohnehin hohe Verschuldung der Staaten dramatisch erhöht und im Euro-Gebiet die aktuelle Staatsschuldenkrise mitverursacht. Die auf Dauer untragbar hohe Verschuldung des privaten Kapitals wurde damit auf die Staatshaushalte abgewälzt. Die Rettung der Banken hat zum anderen 2008 verhindert, daß die auf Dauer unbedienbar gewordenen hohen Vermögensansprüche (die andere Seite der Verschuldung) fast in voller Höhe erhalten geblieben sind. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat ihre reinigende Wirkung nicht vollzogen. Der Finanzsektor ist in Relation zur übrigen Wirtschaft immer noch bei weitem zu groß, belastet die Realwirtschaft und dämpft das Wirtschaftswachstum.

Schmerzarme Schrumpfung

Ohne eine massive Schrumpfung des Finanzsektors kann der Weg aus der Krise nicht gefunden werden. Die aktuelle Zuspitzung der Krise bietet die Chance, die Verkleinerung des Finanzsektors einigermaßen schmerzarm für die Bürger vorzunehmen. Ausgangspunkt könnte eine Umschuldung nicht nur Griechenlands, sondern aller Staaten im Euro-Gebiet sein. Damit würden alle bestehenden Schulden dieser Staaten in neue Papiere mit einem Abschlag von vielleicht 30 oder 50 Prozent getauscht. Die Höhe des Abschlags ist weniger wichtig. Essentiell dagegen ist es, in Schuldpapiere mit für alle Einzelstaaten gleichen Konditionen zu tauschen, deren Bedingungen nicht am Markt gefunden, sondern von den Regierungen einseitig festgelegt werden, zum Beispiel einen Prozentpunkt über der Inflationsrate.

Ein solcher Schuldenschnitt würde das Finanzsystem sofort zusammenbrechen lassen. Auf Dauer verlöre es eine seiner wichtigsten Finanzierungsquellen. Kurzfristig müßten daher die Regierungen die Banken und Versicherungen auffangen und für ihre Schulden beim Publikum eintreten. Sie müßten mit dem Eigentum an den Instituten dann aber auch die tatsächliche Kontrolle übernehmen, ihr Geschäftsmodell prüfen und sie gegebenenfalls abwickeln oder rekapitalisieren.

Analog zur Parole der Neoliberalen vom schlanken Staat wäre den Bürgern mit einem »schlanken Finanzsektor« gedient. Er könnte ähnlich schlicht und bescheiden Kredit und Ersparnis organisieren wie in den spießigen 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

* Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der Financial Times Deutschland. Zuletzt erschien von ihm im PapyRossa Verlag: Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus. Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors (Köln, 2010)

Aus: junge Welt, 18. Oktober 2011



Lucas Zeise referiert bei Friedenspolitischen Ratschlag 2011 in Kassel.

UMBRUCH: Die Politik in die eigenen Hände nehmen

  • Kriege beenden
  • Waffenexporte stoppen
  • Demokratie und soziale Gerechtigkeit durchsetzen
18. Friedenspolitischer Ratschlag

26./27. November 2011

an der Universität Kassel
Beginn: Samstag, 26. Nov., 12 Uhr Ende: Sonntag, 27. Nov. 14 Uhr




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