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Multilateraler Abgesang auf die WTO

Bei der Ministerkonferenz in Bali könnte die laufende Freihandelsrunde beerdigt werden

Von Andreas Behn, Bali *

Wenn es um Regeln für den Welthandel geht, sind die Interessengegensätze zwischen Industrie- und Entwicklungsländern besonders groß. Das wird bei der WTO-Konferenz in Bali nicht anders sein.

Handelserleichterungen versus Agrarabkommen versus Sonderbedingungen für die ärmsten Länder – die rund 160 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) sind zerstritten wie eh und je, wenn sie heute auf der indonesischen Insel Bali zu ihrer 9. Ministerkonferenz zusammenkommen. Bei den bis Freitag laufenden Verhandlungen ist ein Konsens nicht in Sicht.

Das Scheitern auch dieser Konferenz könnte das Ende der WTO bedeuten, die einst mit dem Anspruch angetreten war, ein lückenloses globales Regelwerk für den Handel mit Gütern, Dienstleistungen und geistigem Eigentum zu schaffen. Der aus Brasilien stammende neue WTO-Chef, Roberto Azevedo, ist realistisch und setzt auf ein Minimalabkommen. Statt Konsens in allen Punkten anzustreben, sollen nur Teilaspekte der bereits 2001 begonnenen Doha-Runde verhandelt und beschlossen werden. Es ist der Versuch, von der Welthandelsorganisation zu retten, was zu retten ist. Doch bei den Vorverhandlungen in der WTO-Zentrale in Genf waren die Interessengegensätze von Industrie- und Entwicklungsländern erneut unüberwindbar. Vergangenen Freitag verkündete Azevedo dennoch einen »Durchbruch«. Nur wenige glauben, dass daraus eine Einigung in allen drei Teilaspekten wird, die in Bali auf der Tagesordnung stehen.

Auf Initiative der Industrieländer soll ein Abkommen über Handelserleichterungen vereinbart werden. Dabei geht es um ein kompliziertes Bündel von Regeln und Vorschriften, um Zollformalitäten zu vereinfachen und zu beschleunigen. Der Norden verspricht sich davon einen erheblichen Anstieg der Exporte, insbesondere Industriegüter würden »mit weniger Reibungskosten« auf ferne Märkte gelangen.

Länder des Südens sind skeptisch, da vor allem die reichen Staaten profitieren würden. Die Umsetzung ist aufwendig und kostenintensiv. Außerdem würden die vorgesehenen Zollsenkungen die Staatseinnahmen der Entwicklungsländer senken. Als Gegenleistung fordern ärmere Länder seit langem die Gewährung finanzieller und technischer Hilfe. Doch die Industrieländer wollen dies in der Vereinbarung nicht garantieren.

Die Entwicklungs- und Schwellenländer setzen ihrerseits auf ein Teilabkommen im Bereich Landwirtschaft. Hier liegt ein Vorschlag der G33 – einer Gruppe von 33 Ländern mit großer bäuerlicher Bevölkerung – zur Sicherung der Ernährungssouveränität vor. Regierungen soll das Recht eingeräumt werden, ihren Landwirten Produkte abzukaufen, um sie später zu verbilligten Preisen auf den nationalen Markt zu bringen. Bisher verbieten die WTO-Regeln die Bildung solcher Nahrungsmittelreserven, da sie als marktverzerrende Subventionen eingestuft werden. Im Gegensatz zur EU haben sich die USA gegen die Regeländerung ausgesprochen, da sie Wettbewerbsverzerrungen für den Fall befürchten, dass Nahrungsreserven auf Umwegen auf den Weltmarkt gelangen.

Ein weiterer Vorstoß kommt von den großen Agrarexporteuren der G20. Länder wie Brasilien plädieren für die Halbierung der Exportsubventionen in der Landwirtschaft, mit denen Industriestaaten ihren Bauern Ausfuhren zu Dumpingpreisen ermöglichen.

Der dritte Themenkomplex des »Bali-Pakets« ist von den am wenigsten entwickelten Ländern auf die Tagesordnung gesetzt worden. Sie fordern Ausnahmeregeln von den strengen Freihandelsvorschriften der WTO, um ihren Unternehmen den Zugang zu den Weltmärkten zu vereinfachen. Unter anderem geht es um Zollbefreiung für ganze Produktpaletten und Sonderregelungen bei der Liberalisierung von Dienstleistungen.

Sind die Interessengegensätze der WTO-Mitglieder schon groß, so stellen die laufenden Verhandlungen zwischen der EU und den USA über ein bilaterales Freihandelsabkommen eine weitere Hürde für die Verhandlungen in Bali dar. Immerhin geht es um über 40 Prozent des Welthandels. Bei einer Einigung würden die zwei größten Wirtschaftsblöcke Regeln setzen, die de facto auch die der WTO bestimmen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Dezember 2013


Plädoyer für gerechten Handel

Lokale und internationale Netzwerke protestieren in Bali gegen die Politik der Welthandelsorganisation.

Von Andreas Behn, Bali **


Unter dem Motto »EndWTO« rufen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und soziale Bewegungen zum Protest gegen die Welthandelsorganisation (WTO) auf. Aus Anlass der Ministerkonferenz fordern sie ein Ende des Freihandelsdogmas und gerechten Handel. »Nach wie vor steht die WTO für grenzenloses Wachstum und setzt den Profit an vorderste Stelle«, kritisiert das Netzwerk »Soziale Bewegungen für ein Alternatives Asien« (SMAA). Ernährungssicherheit und der Erhalt der Umwelt seien für die Verfechter des freien Marktes zweitrangig, so der Aufruf zahlreicher Organisationen, die für ein Ende der WTO eintreten.

Das breite Netzwerk SMAA, zu dem die Globalisierungskritiker von Attac, Focus on Global South und der Bauernverband Via Campesina gehören, plant eine Aktionswoche parallel zur WTO-Konferenz. Demonstrationen, Workshops und weitere Aktionen stehen auf dem Programm. Außerdem ruft die Indonesian Peoples' Alliance zur Teilnahme an einem Protestcamp auf. Lokale und internationale Gruppen sind eingeladen, über die Folgen der Freihandelspolitik zu diskutieren und Alternativen für eine gerechtere Welt zu erarbeiten.

Schon seit langem sind die WTO-Konferenzen Treffpunkt der globalisierungskritischen Bewegung. 1999 in Seattle wurden die Verhandlungen der über 150 Mitgliedstaaten nach heftigen Protesten und Straßenschlachten abgebrochen. 2003 im mexikanischen Cancún blockierten Aktivisten tagelang das Konferenzzentrum, ein Bauernführer aus Südkorea nahm sich gar während der Proteste das Leben.

Freier Handel »wird nie gerecht sein und dient immer zuerst den Interessen der Reichen,« kritisiert »Gerak Lawan«, ein indonesisches Netzwerk aus Bauern- und Menschenrechtsorganisationen. Insbesondere die Einbeziehung der Landwirtschaft in die Marktlogik ist den Aktivisten ein Dorn im Auge. Dadurch werde die Ernährungssouveränität vieler Menschen im Süden gefährdet.

In Bezug auf die Verhandlungen in Bali warnt das Netzwerk »Our World Is Not For Sale« vor einer neuen Dominanz des Nordens: Statt über die Förderung von Landwirten in armen Ländern zu verhandeln, »setzen die Indus-triestaaten erneut auf Handelserleichterungen und Marktzugänge für ihre Unternehmen, die die Entwicklungsländer bereits mehrfach abgelehnt haben«, heißt es im Protestaufruf des Netzwerks, dem 200 Organisationen aus 50 Staaten angehören.

Die Zivilgesellschaft wird sich nicht nur außerhalb des Konferenzzentrums in Bali zu Wort melden. An dem Gipfeltreffen werden knapp 350 NGOs aus 66 Ländern teilnehmen und parallel Veranstaltungen anbieten.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Dezember 2013


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