Doha-Runde endgültig gescheitert? Freihandel am Ende? Rückkehr des Protektionismus?
Wem nützt das Scheitern der Welthandelsgespräche in Genf? Artikel, Kommentare und Stellungnahmen
10 Tage verhandelten führende Vertreter der Welthandelsorganisation WTO
in Genf, um der seit Jahren stockenden Doha-Runde wieder auf die Beine
zu helfen. Es nutzte nichts. Auch diese Runde scheiterte an
unvereinbaren Interessen insbesondere zwischen den USA auf der einen,
Choina und Indien auf der anderen Seite. Großer Streit herrscht danach
auch über die Bewertung dieses Nicht-Ergebnisses: Wem hätte eine weitere
Liberalisierung des Welthandels insbesondere mit Agrarprodukten genutzt,
wem geschadet? Für wen wäre ein endgültiger Abbruch der Doha-Runde von
Vorteil?
Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe aktueller Artikel und
Stellungnahmen zum Scheitern der Genfer Verhandlungen, und zwar in
folgender Reihenfolge:
Eklatanter Fehlschlag im Welthandel
Das Scheitern der Doha-Runde der WTO dürfte wieder einmal zu Lasten
der Ärmsten gehen
Von Jan Dirk Herbermann, Genf *
Nach dem Scheitern der Gespräche in Genf kam der Trotz: Die Vertreter
großer Handelsmächte
bekräftigten ihren Willen, die Welthandelsrunde doch noch zum guten Ende
zu führen.
»Wir sollten weitermachen«, sagte ein sichtlich geknickter
EU-Handelskommissar Peter Mandelson. Die US-Handelsbeauftragte Susan
Schwab und der indische Handelsminister Kamal Nath bliesen
ins gleiche Horn. Gerade war ein Krisentreffen der
Welthandelsorganisation (WTO) nach zehn
Tagen ohne Ergebnis abgebrochen worden. Doch am Mittwoch (31. Juli),
einen Tag nach dem Aus, glauben
Diplomaten kaum noch an einen Abschluss der Gespräche in absehbarer Zukunft.
»Da ist die Luft raus, das könnte Jahre dauern«, meint ein Unterhändler.
Es ist auch deshalb in
nächster Zeit wenig Bewegung zu erwarten, weil in den USA im November
Präsidentenwahlen
anstehen. Die Verlierer des langen Wartens aber könnten die ärmsten
Länder sein. EU-Kommissar
Mandelson befürchtet eine »Entwicklungstragödie«.
Kollabiert war das Genfer Treffen von rund 40 Staaten ausgerechnet an
einem Streit der USA mit
den großen Schwellenländern Indien und China. Delhi und Peking pochten
bis zuletzt auf einen
Sonderschutz für ihre armen Kleinbauern vor Agrarimporten.
US-Verhandlungsführerin Schwab,
unter Druck der Farmerlobby, akzeptierte diesen Sonderstatus nicht.
Damit setzte die WTO ihre
Serie von Fehlschlägen fort: Seit Beginn der laufenden Welthandelsrunde
2001 in Doha (Katar)
kollabierten Dutzende von Versuchen, die Verhandlungen zum Durchbruch zu
bringen.
Die heute 153 WTO-Mitglieder konnten nie den Grundkonflikt lösen: Weder
die reichen noch die
armen Länder wollen ihre Märkte radikal für die jeweils andere Seite
öffnen. Das erklärte Ziel der
»Doha-Runde«, die Entwicklungsländer stärker von der Globalisierung
profitieren zu lassen, gerät
immer mehr außer Reichweite. »Die Afrikaner sind wirklich tief
enttäuscht über das Scheitern«,
unterstrich Kenias Handelsminister Uhuru Kenyatta. Keines der brennenden
Probleme der Afrikaner
sei gelöst worden. Beispiel Baumwolle: Die USA werden weiter ihre
Baumwollfarmer im Süden der
Vereinigten Staaten mit Milliarden Dollar unter die Arme greifen. Für
die armen westafrikanischen
Bauern in Burkina Faso, Mali, Tschad und Benin ist der Wettbewerb unfair
und ruinös. Beispiel
Ernährungssicherheit: Das WTO-Treffen konnte keine Impulse geben, um die
Nahrungskrise zu
lösen. Unter den massiv gestiegenen Preisen für Reis, Getreide und
andere Agrarprodukte leiden
besonders die Ärmsten. Beispiel technische und finanzielle Hilfe für die
armen Länder: Um sie erst
einmal fit für die Globalisierung zu machen, sind viele reiche
WTO-Mitglieder in der
Welthandelsrunde bereit, weitere Mittel zuzusagen. Doch die
WTO-Verhandlungen zur
Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten, Industriegütern,
Dienstleistungen erfolgen im
Paket. »Nichts ist entschieden bevor nicht alles entschieden ist«,
lautet die zentrale Regel. Solange
kein neuer Welthandelsvertrag geschlossen ist, gibt es auch diese Hilfen
nicht.
Entwicklungsorganisationen warnen die armen Länder davor, zu viele
Zugeständnisse zu machen.
Aber ohne ein WTO-Abkommen werden Versuche starker Wirtschaftsmächte
zunehmen, bilaterale
Handelsverträge mit einzelnen Ländern zu schließen, bei denen die
Anliegen der Armen vollends
unberücksichtigt bleiben könnten. Ein Unterhändler sagt: »Diese Abkommen
sind technisch oft zu
kompliziert für die Bürokratie der Armen.« (epd)
* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2008 (Kommentar)
Protektionismus hat Zukunft
Sowohl in den USA wie auch in Indien und China nimmt die Bereitschaft
zu einer weiteren Liberalisierung des Welthandels ab.
VON ANDREAS ZUMACH **
Pascal Lamy, der überaus ehrgeizige Generaldirektor der
Welthandelsorganisation (WTO), will zwar noch nicht sofort "das Handtuch
werfen". Doch nachdem der Versuch, die vor sieben Jahren eröffnete
"Doha-Verhandlungsrunde" endlich mit einem Abkommen zu beschließen, am
Dienstagabend nach neuntägigem harten Feilschen gescheitert ist, rechnen
Insider in der Genfer WTO-Zentrale mit dem baldigen Abgang ihres
französischen Chefs. Denn die "Doha-Runde", mit deren Erfolg Lamy sein
Schicksal verknüpft hatte, ist endgültig tot.
Damit steht auch die grundsätzliche Frage nach der Zukunft der WTO im
Raum. Die von einigen Akteuren geäußerten Hoffnungen auf eine
Wiederaufnahme von Verhandlungen "irgendwann nach den
US-Präsidentschaftswahlen" dürften sich schon bald als Illusion
erweisen. Denn die Interessengegensätze zwischen den führenden
WTO-Mitgliedsstaaten, die eine Einigung bei der Genfer Verhandlungsrunde
verhinderten, werden künftig eher noch zu- als abnehmen.
In den USA stehen Regierung und Parlament unter wachsendem Druck einer
Bevölkerung, die immer stärker von den negativen Folgen der neoliberalen
Handelsglobalisierung, die seit 15 Jahren im Rahmen der WTO betrieben
wird, betroffen ist. Egal ob der neue US-Präsident ab 4. November Barack
Obama oder John McCain heißt: der am selben Tag zum Teil neu gewählte
Kongress in Washington wird noch freihandelsskeptischer und
protektionistischer sein als der bisherige. Das in Genf von der
US-Delegation vorgelegte Angebot zur Reduzierung von Agrarsubventionen,
für das die Bush-Administration schon jetzt kein Mandat des Kongresses
hatte, wird es dann nicht mehr geben.
Auf der anderen Seite werden China, Indien und andere bevölkerungsreiche
Schwellenländer in dem Maße, wie ihre Bedeutung als Absatzmarkt für die
Exporte aus EU und USA wächst, immer geringeren Druck verspüren, ihre
höhen Zölle für Autos und andere Industriegüter in dem von Brüssel und
Washington verlangten Ausmaß zu reduzieren. Auch der Streitpunkt, an dem
die Genfer Verhandlungsrunde schließlich platzte, wird angesichts der
weltweiten Nahrungsmittelkrise für jede künftige Verhandlungsrunde noch
größere Bedeutung haben: Indien und China hatten einen speziellen
Sicherheitsmechanismus verlangt, der den Schwellen- und
Entwicklungsländern erlaubt hätte, ihre Einfuhrzölle auf "sensible"
Agraprodukte wie zum Beispiel Reis nur begrenzt zu senken oder gar zu
erhöhen. So sollten die eigenen Bauern vor einem existenzbedrohenden
Preisverfall geschützt werden.
Im Kern geht es bei dieser Forderung auch um Nahrungsmittelsicherheit:
die Fähigkeit von Staaten, ihre eigene Bevölkerung möglichst weitgehend
aus landeseigener Produktion zu ernähren. Und so gab es für diese
Forderung Chinas und Indiens auch große Sympathien in Japan, das seine
heimischen Reisbauern aus ebendiesem Grund mit protektionistischen
Maßnahmen schützt.
Zumindest auf Verständnis stieß die Forderung nach Schutzmechanismen bei
den sechs EU-Staaten unter Führung Frankreichs, die das in Genf von der
EU-Kommission unterbreitete Angebot zum Abbau der Agrarzölle und-
subventionen in der EU als "zu weitgehend" ablehnten. Doch die Forderung
scheiterte dann am Nein der USA, die die Exportinteressen ihrer Farmer
gefährdet sahen.
Während Regierungsvertreter Chinas, Indiens und der USA sich gegenseitig
für den Kollaps der Verhandlungen verantwortlich machten, beschränkten
sich Vertreter der EU auf Worte des Bedauerns. Indonesiens
Handelsministerin Mari Elka Pangestu, die die Gruppe von 33
Entwicklungsländern in der WTO koordiniert, erklärte, verantwortlich für
das Scheitern der Verhandlungen sei "die Unfähigkeit der reichen
Industrienationen, mit dem wachsenden Einfluss Chinas, Indiens und
Brasiliens in der Weltwirtschaft umzugehen".
Begrüßt wurde das Scheitern von Attac, Oxfam und anderen
globalierungskritischen Nichtregierungsorganisationen. "Die
Verhandlungen sind gescheitert, weil die reichen Industriestaaten nur
Forderungen stellten und selbst elementare Bedürfnisse der
Entwicklungsländer igonierten", erklärte Attac. Jetzt seien "Freiräume
geöffnet für einen Politikwechsel hin zu einer sozialeren und
umweltverträglicheren Ausgestaltung der Weltwirtschaft".
** Aus: taz, 31. Juli 2008
"Keine Einbußen"
Das Scheitern von Genf hat für den deutschen Verbraucher wenig
Konsequenzen, meint Christoph Scherrer ***
taz: Herr Scherrer, durch geringere Zölle sollten Computer aus China
billiger werden. Ist das Scheitern der WTO-Verhandlungen schlecht für
die deutschen Verbraucher?
Christoph Scherrer: Die Konsumenten werden einfach dieselben Preise
zahlen, die auch heute gelten. Eine Verschlechterung ist nicht zu
befürchten. Deshalb rate ich zu Entspannung. Und auch die deutsche
Wirtschaft insgesamt kann mit dem Abbruch der Gespräche in Genf gut
leben. Zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten werden sich erst zwar einmal
nicht eröffnen. Aber schon heute steht Deutschland auf dem Weltmarkt
bestens da.
Erhält die Weltwirtschaft nun einen weiteren Dämpfer?
Nein. Denn eigentlich hat niemand mit einem Erfolg in Genf gerechnet.
Aber die Globalisierung wird jetzt langsamer?
Nein, der grenzüberschreitende Warenaustausch funktioniert auch mit
höheren Zöllen. In den vergangenen Jahren ist die Weltwirtschaft stark
gewachsen - trotz Zöllen und Subventionen. Gegenwärtig sinkt das
Wachstum, weil die USA unter der Immobilienkrise leiden. Mit dem
Regelsystem der WTO hat all das nichts zu tun.
Der Abbau der Handelsbarrieren zwischen den Staaten soll dazu führen,
dass mehr Waren gehandelt werden. Müssen wir insgesamt mit Einbußen an
Wohlstand rechnen?
In der Theorie führt mehr Handel zu mehr Spezialisierung. Vereinfacht
gesagt: China spezialisiert sich auf Computer, Deutschland auf
Maschinen. Und mehr Spezialisierung bedeutet mehr Produktivität und
folglich mehr Wohlstand.
Stimmt diese Theorie nicht?
Oft nicht, denn die Früchte des Handels werden ungleich verteilt.
Spezialisiert sich ein Land auf Produkte mit geringer Wertschöpfung wie
Reis, verdient es wenig beim Handel. Zusätzlich gerät die einheimische
Wirtschaft durch billige Konkurrenz aus dem Ausland unter Druck.
INTERVIEW: HANNES KOCH
*** CHRISTOPH SCHERRER lehrt Politische Ökonomie in Kassel, er
habilitierte über "Weltmarkt als Projekt?".
Aus: taz, 31. Juli 2008
Kommentar:
Genfer Scheitern
Von Martin Ling *
Das Scheitern ist symptomatisch: Weil die USA eine Schutzklausel für
Kleinbauern im Süden kategorisch ablehnen, steht die Doha-Runde der
Welthandelsorganisation (WTO) nun vor dem Aus. Nichts ist aus dem einst
von den Industrieländern selbst formulierten hehren Anspruch an die WTO
geworden, Schluss mit dem Recht des Stärkeren im internationalen Handel
zu machen. Nichts ist aus dem 2001 zum Start der Doha-Runde formulierten
Anspruch geworden, die Bedürfnisse und Interessen der Entwicklungsländer
ins Zentrum des Arbeitsprogramms zu rücken.
Im Scheitern der Doha-Runde mag man angesichts der Turboliberalisierung
der letzten Jahre Positives sehen -- Schlimmerem wurde Einhalt geboten.
Jedoch bringt das die Länder, die der Liberalisierung am stärksten
ausgesetzt waren und sind, keinen Schritt weiter. Es bleibt vorerst bei
einem Status quo mit einer weitgehenden Liberalisierung in den
Bereichen, in denen die reichen Länder wettbewerbsfähig sind, und einer
Abschottung im Agrarsektor, bei dem manche Schwellen- und
Entwicklungsländer Vorteile haben, die sie kaum nützen können.
Unzweifelhaft können Handel und Wettbewerb vorteilhaft sein. Allein auf
die Bedingungen kommt es an, zum Beispiel auf die Bereitschaft der
Stärkeren, an die Schwächeren Zugeständnisse zu machen. Die fehlte in
Genf zum wiederholten Mal. Der Süden hat dem Liberalisierungsdruck
standgehalten. Das ist ein Erfolg. Entwicklung ist freilich was anderes.
* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2008 (Kommentar)
Programmiertes Ende
Nach dem Scheitern der WTO-Verhandlungen in Genf scheint die Doha-Runde
zur weiteren Liberalisierung des Welthandels nicht mehr zu retten
Von Wolfgang Pomrehn ****
Die Gespräche in der Welthandelsorganisation (WTO) sind am Dienstag (29.
Juli) abend mal wieder gescheitert. Am WTO-Sitz Genf wurde eine
Ministerrunde, die die Verhandlungen wieder in Gang bringen sollte,
vorzeitig aufgelöst. Der Grund: unüberbrückbare Widersprüche. Die
US-Delegation zeigte nach dem Scheitern mit dem Finger auf Indien und
China, der niederländische Handelsminister Frank Heemskerk sah hingegen
laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua die Schuld zumindest
teilweise bei den USA.
Einer der Streitpunkte waren die US-Subventionen für die
nordamerikansiche Baumwollproduktion, die den Weltmarktpreis drücken
und afrikanischen Produzenten das Leben schwer machen. Streit gab es
auch um eine Ausnahmeregelung für landwirtschaftliche Produkte, mit der
Schutzzölle zeitweise angehoben werden könnten, wenn der Import
bestimmter Warengruppen zu rasch zunimmt oder die heimische Produktion
anderweitig gefährdet würde. Delhi und Peking wollten die Schwelle für
diese Regelung möglichst niedrig ansetzen. China stritt schließlich für
eine Verlängerung bestimmter Übergangsregeln und Anpassungsfristen, die
im Zusammenhang mit dem WTO-Beitritt der Volksrepublik im Jahre 2001
vereinbart worden waren.
Auch Uneinigkeit in der EU hat offenbar zum Scheitern in Genf
beigetragen. Etwas vereinfacht kann man sagen, daß der Streit innerhalb
der WTO derzeit zu einem großen Teil um den Abbau von Handelshemmnissen
für Agrar- und Industriegüter geht. Formal werden diese Fragen in
unterschiedlichen Abkommen geregelt, faktisch werden sie jedoch als ein
Paket verhandelt. Agrarexporteure fordern die Senkung der Schutzzölle
vor allem in den Industriestaaten sowie den Abbau der dortigen
Landwirtschaftssubventionen. Oft wird behauptet, daß dies eine Forderung
sei, die den Armen nützt. Die Verhältnisse sind jedoch etwas
komplizierter. Meist werden nämlich die entsprechenden Produkte auf
riesigen Ländereien angebaut. Dieser Großgrundbesitz hat insbesondere in
Argentinien und Brasilien viele Kleinbauern auf brutale und oft illegale
Weise verdrängt.
EU-Handelskommissar Peter Mandelson war vergangene Woche den Forderungen
Brasiliens und anderer Agrarexporteure relativ weit entgegengekommen.
Wie einige Agenturen berichten, lag ein Vorschlag auf dem Tisch, nach
dem die EU-Subventionen um 80 Prozent gekürzt werden sollten. In den
Entwicklungsländern wären im Gegenzug die Zölle auf Gebrauchsgüter um 20
bis 25 Prozent zurückgefahren worden. Das rief allerdings Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy auf den Plan, der am Wochenende bei
EU-Kommissionschef José Manuel Barroso intervenierte, offensichtlich die
starke Bauernlobby in seinem Land fürchtend. Auch acht weitere
EU-Regierungen kündigten ihren Widerstand gegen den Kompromiß an,
darunter jene Italiens, Irlands, Polens und Griechenlands.
Die Bundesregierung schien gegen den Mandelson-Vorschlag hingegen keine
Einwände zu haben. BRD-Minister Horst Seehofer hatte sich Fortschritte
bei den Verhandlungen erhofft, um in der EU Planungssicherheit für die
künftige Landwirtschaftspolitik zu haben. Die Sprecherin für
internationale Wirtschaftspolitik und Globalisierung der Linksfraktion
im Bundestag, Ulla Lötzer, zeigte unterdessen Verständnis für die
Positionen Indiens und Chinas. »Eine weitere Liberalisierung der
Agrarmärkte würde die kleinbäuerlichen Strukturen zerstören.« Davon
betroffen seien insbesondere Indien und China, aber auch viele
Entwicklungsländer, die die Position der beiden großen Schwellenländer
unterstützen. Eine Fortsetzung der neoliberalen Handelspolitik würde die
Schere zwischen Arm und Reich sowohl in den einzelnen Staaten als auch
zwischen den Staaten weiter öffnen.
Seit gut zehn Jahren versuchen die Industriestaaten, das mit der WTO
Anfang der 1990er Jahre geschaffene Freihandelsregime weiter
auszudehnen. Geografisch ist das auch gelungen. Die meisten größeren
Staaten sind inzwischen Mitglied oder verhandeln über die Aufnahme, wie
Rußland und die Ukraine. Bei der weiteren Öffnung der nationalen Märkte
treten die Verhandlungen jedoch seit geraumer Zeit auf der Stelle. Schon
die formelle Eröffnung einer neuen Verhandlungsrunde hatte sich um
mehrere Jahre verzögert, bis sie schließlich im November 2001 in Doha im
arabischen Emirat Katar verkündet wurde. Dorthin hatte man sich
verzogen, nachdem den Handelsministern 1999 in der US-Metropole Seattle
Demonstranten auf die Pelle gerückt waren. Das autoritär regierte
Scheichtum sorgte in Doha dafür, daß sich derlei nicht wiederholen
konnte. Die Widersprüche zwischen den Staatengruppen wurden allerdings
mit dem Erstarken von China, Indien und Brasilien eher noch schärfer.
Eigentlich hätte die sogenannte Doha-Runde schon vor dreieinhalb Jahren
abgeschlossen sein sollen. Nun wird es erst mal eine Weile dauern, bis
die Gespräche wieder in Gang kommen.
**** Aus: junge Welt, 31. Juli 2008
Weitere Stellungnahmen
Doha-Runde gescheitert
Zum Scheitern der Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation WTO
erklärte die Sprecherin für internationale Wirtschaftspolitik und
Globalisierung der Bundestagsfraktion Die Linke Ulla Lötzer am Mittwoch
(30. Juli):
Das Dogma des freien Handels muß durch das Ziel eines fairen Handels
ersetzt werden. Nur dann gibt es eine neue Chance für ein multilaterales
Handelsabkommen. Obwohl der WTO-Zug längst entgleist ist, tun die
Verhandlungsführer immer noch so, als sei nur eine richtige
Weichenstellung notwendig, um zum Erfolg zu kommen. Wenn sie nicht
endlich einsehen, daß die Doha-Runde gescheitert ist und eine
Neuausrichtung der Welthandelspolitik notwendig ist, werden wir dasselbe
Schauspiel immer wieder erleben. Denn die Verhältnisse haben sich
grundlegend geändert. Die Zeiten, in denen die USA und die EU die
Richtung vorgeben konnten und alle anderen freiwillig folgten, sind
vorbei. Es gibt mehr starke Staaten, die willens und in der Lage sind,
ihre Positionen auch unter erheblichem Druck beizubehalten. Staaten wie
Indien müssen Rücksicht auf ihre innenpolitischen Probleme nehmen -- und
das heißt auf eine breite Bevölkerungsschicht, die unter den
Auswirkungen der neoliberalen Handelspolitik leidet.
WTO-Handelsrunde nicht aufgeben
Zu dem gestrigen Abbruch der WTO-Verhandlungen in Genf erklaert
der Sprecher der Arbeitsgruppe fuer Welt- und Aussenwirtschaft
der SPD-Bundestagsfraktion Ditmar Staffelt:
Es ist mehr als bedauerlich, dass die WTO-Handelsrunde
gescheitert ist. Gerade in den vergangenen Wochen konnten gute
Einigungen in den Bereichen Agrarsubventionen und
Industriezoelle errungen werden. Ein Kompromiss zugunsten Aller
und damit ein erfolgreicher Abschluss der Doha-Runde waren
greifbar.
Die Wahlen in den USA und in Indien werden die Aussichten auf
eine Einigung in der naechsten Zukunft trueben. Diese Laender
waren am Schluss der Verhandlungen aufgrund ihrer eigenen
Interessen nicht mehr zu Zugestaendnissen bei Schutzzoellen auf
Agrarimporte bereit.
Die Bundesregierung sollte dafuer sorge tragen, dass die bisher
errungenen Ergebnisse der Doha-Runde bis zu einer moeglichst
zeitnahen Fortfuehrung der Verhandlungen konserviert werden
-insbesondere auch im Hinblick auf die Entwicklungslaender.
Positiv bleibt hier hervorzuheben, dass sich einige
Entwicklungslaender sehr konstruktiv am Einigungsprozess
beteiligt hatten. Diese Laender erkennen ihre Chancen auf dem
Weltmarkt durch die Ergebnisse der Doha-Verhandlungen an.
Die Bundesregierung und die EU-Kommission sind gut beraten an
einer weiteren Fortfuehrung der Handelsrunde festzuhalten und
die WTO zu staerken. Gleichwohl wird es notwendig sein, durch,
mit dem WTO-Regime kompatible, bilaterale Handelsvertraege
zwischen der EU und anderen Volkswirtschaften, die
ausgezeichneten Marktchancen europaeischer und deutscher
Produkte auf dem Weltmarkt zu sichern.
Die grosse Nachfrage nach "Made in Germany" darf nicht deshalb
verpuffen, weil die Interessen einiger weniger innerhalb der
WTO, einen erfolgreichen Abschluss verhindern.
Quelle: Newsletter der SPD-Fraktion
Attac fordert, die Doha-Runde endgültig zu Grabe zu
tragen
Keine Fortsetzung der Gespräche im Herbst
Frankfurt am Main, 30.07.08
Mit Kritik hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac auf die
Ankündigung der Bundesregierung reagiert, sich dafür einzusetzen, dass
die am Dienstag gescheiterten Verhandlungen der Welthandelsorganisation
WTO im Herbst fortgesetzt werden. "Der Versuch, den Entwicklungsländern
im Interesse der Konzerne des Nordens umfassende Marktöffnungen
aufzuzwängen, ist gescheitert. Es ist Zeit, die so genannte Doha-Runde
endgültig zu Grabe tragen und einen Paradigmenwechsel hin zu einer
sozialen und ökologischen Regulierung der Weltwirtschaft einzuleiten",
sagte Alexis Passadakis, Welthandelexperte im bundesweiten
Attac-Koordinierungskreis. "Zu oft konnte man in der vergangenen Tagen
hören, dass mehr Liberalisierung den Ländern des Südens nutze und
angeblich sogar die Ernährungskrise lindern könne. Das Gegenteil ist der
Fall: Die WTO ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Ein
Schutz von kleinen Produzenten ist nicht mit ihr, sondern nur gegen ihre
Logik der Marktöffnungen machbar. Zölle und andere Regulierungen sind
essentiell für eine stabile Entwicklung der ländlichen Räume im Süden."
Die informellen Gespräche waren am Dienstag anlässlich eines Streits
über Schutzmechanismen für Bauern im Süden gegen plötzliche Importfluten
gescheitert. Bei der heutigen formellen Sitzung des
WTO-Verhandlungesrates (Trade Negotiation Committee) plädierten
zahlreiche Handelsminister sowie EU-Handelskommissar Peter Mandelson
dafür, die Gespräche im Herbst wieder aufzunehmen. In dasselbe Horn
stieß auch die Bundesregierung.
"Die Behauptung, die Entwicklungs- und Schwellenländer hätten die Chance
für Entwicklung durch mehr Marktzugang leichtfertig verspielt und die
Verhandlungsrunde zum Platzen gebracht, ist absurd", sagte Johannes
Lauterbach, WTO-Experte bei Attac. Dieselben Verhandlungsführer der
Industriestaaten, die in den letzten Tagen nichts unversucht gelassen
hätten, um die Entwicklungsländer über den Tisch zu ziehen und dabei nur
die Interessen der eigenen Unternehmen verfolgten, vergössen jetzt
Krokodilstränen über verpasste Entwicklungschancen.
"Für viele Länder des Südens hätte ein Abschluss nicht nur keine
Vorteile, sondern deutliche Nachteile bedeutet", ergänzte Alexis
Passadakis. Studien internationaler Organisationen haben festgestellt,
dass die meisten Entwicklungsländer die Verlierer der WTO-Verhandlungen
wären. Einer Weltbankstudie von 2005 zufolge wäre der Gewinn der
Entwicklungsländer durch höheren Marktzugang bei einem wahrscheinlich
anzunehmenden Szenario auf 16 Milliarden Dollar anzusetzen -- das sind
0,14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Andere Studien kamen zum
Ergebnis, dass 50 Prozent dieser Gewinne auf nur acht Länder und dort im
Wesentlichen auf große Agrokonzerne entfallen würden. Dem stehen
erhebliche volkswirtschaftliche Verluste für viele Bevölkerungsgruppen
und ein Negativwachstum in zahlreichen Ländern gegenüber. Allein bei den
Zolleinnahmen hätten die Entwicklungsländer 60 Milliarden Dollar
Verluste hinzunehmen.
"Angesichts der aktuellen Krisen in der Weltwirtschaft und dieser
prognostizierten Desaster ist es Zeit, die extreme Exportorientierung
Deutschlands zu überdenken", sagte Johannes Lauterbach. "Die Vorschläge
von sozialen Bewegungen für ein soziales und am Umweltschutz
orientiertes Welthandelsystem liegen auf dem Tisch. Ein Ende der
Doha-Runde würde endlich Raum bieten, diesen Politikwechsel einzuleiten."
Quelle: Website von Attc: www.attac.de
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