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Keine Entwicklung ohne fairen Handel

Die Welthandelsorganisation wird ihrem Gründungsanspruch nicht annähernd gerecht

Von Martin Ling *

Ein großer Schritt für Berlin, ein kleiner für die Welt: Durch das von der rot-roten Koalition geplante Vergabegesetz würde Dumpingpraktiken bei öffentlichen Aufträgen in Berlin künftig ein Riegel vorgeschoben. Für eine neue, faire Weltwirtschaftsordnung bedarf es indes weit mehr, als ein Vergabegesetz je leisten kann.

»Wir haben Erdnüsse exportiert, das wurde uns kaputtgemacht. Wir exportierten Fisch, der wurde uns weggefangen. Nun exportieren wir eben Menschen.« Die Aussage des senegalesischen Bauernpräsidenten Samba Gueye bringt die Entwicklung des Welthandels im Zuge von Globalisierung und Liberalisierung treffend auf den Punkt. Nichts ist aus der Neuen Weltwirtschaftsordnung geworden, die die 1965 gegründete UNCTAD (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) als Interessenvertreter des Südens in den 70er Jahren lautstark gefordert hat. Dabei wollte die UNCTAD nicht mehr, als die Idee einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) wieder beleben, die 1944 auf der Bretton-Woods-Konferenz als dritter Pfeiler für die Weltwirtschaft neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank eigentlich geplant war. Eigentlich, denn die umfassende Havanna-Charta der ITO wurde nie verabschiedet. Sie hatte internationale Wettbewerbsregeln, Schutzklauseln im Investitionsbereich, eine Förderung der Dritten Welt und Arbeitsschutzrechte zum Inhalt. Die USA sahen dadurch ihre Souveränität bedroht und blockierten die Inkraftsetzung.

Stattdessen wurde die finanzpolitische Ebene um IWF und Weltbank durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) auf handelspolitischer Ebene ergänzt, das am 30. Oktober 1947 in Kraft trat. Oberstes Ziel des GATT war die Handelsliberalisierung. Zu diesem Zweck sollten nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie zum Beispiel Importbegrenzungen in Zölle, also tarifäre Handelshemmnisse, umgewandelt und diese dann sukzessiv gesenkt werden. In diesem Zusammenhang wurden zwischen 1947 und 1994 acht mehrjährige Verhandlungsrunden durchgeführt. Trotz der formalen grundsätzlichen Verpflichtung auf einen generellen Freihandel und der Regel »ein Land, eine Stimme« entschied letztlich jeweils die Verhandlungsmacht über die Gestaltung der Abkommen.

Massive Zollsenkungen gab es daher nur bei jenen Waren, die die Industrieländer unter sich tauschen (verarbeitete Industrieprodukte), und bei solchen, die sie selber nicht produzieren können (Rohstoffe und tropische Produkte). Güter, bei denen die Entwicklungsländer konkurrenzfähig sind beziehungsweise sein könnten, wie Textilien, Bekleidung und verarbeitete Primärgüter wie etwa Stahl, wurden weiter mit starken Handelshemmnissen belegt - zum Beispiel durch mit der Verarbeitungsstufe steigende Zölle, die sogenannte Zolleskalation, oder durch Importquoten.

Diesem unfairen Handelsregime sollte der GATT-Nachfolger, die Welthandelsorganisation (WTO), offiziell ein Ende bereiten. Die Industrieländer selbst formulierten den hehren Anspruch an die 1994 gegründete WTO, Schluss mit dem Recht des Stärkeren im internationalen Handel zu machen. Davon ist die WTO indes so weit entfernt wie eh und je. Die 2001 einberufene »Entwicklungsrunde« ist seit 2006 paralysiert - der Norden ist nicht bereit, die vom Süden geforderten Zugeständnisse im Agrarhandel sowohl bei Agrarsubventionen als auch beim Marktzugang zu machen.

Mit ihrer Handelspolitik hemmen die Industriestaaten die Entwicklung des Südens. Die Wiedereinführung der EU-Exportsubventionen für Milchprodukte Anfang 2009 ist nur das letzte Beispiel. Tomatenmark und Ghana, Hühnchenschenkel und Kamerun sind andere. Hunderttausenden Kleinbauern und ihren Familien wurde und wird so die Existenzgrundlage zerstört. Die EU nimmt sich das Recht, ihre eigene Landwirtschaft und ihre Bauern nach Gusto zu schützen, verweigert es aber zusammen mit den USA dem Süden konsequent im Rahmen der Agrarverhandlungen der WTO.

Im Rahmen der Weltwirtschaftsordnung ist das Berliner Vergabegesetz nur ein kleiner Mosaikstein. Dass es bisher den Bezug von Produkten aus fairem Handel beispielsweise beim Kaffee für öffentliche Kantinen nicht festschreibt, ist bedauerlich. Auch werden die im Vergabegesetz vorgesehenen Umwelt- und Sozialstandards Mindestlöhne im besten Falle im Norden sichern, während das Problem existenzsichernder Löhne im Süden ausgeklammert bleibt. Doch dieses Problem lässt sich ohnehin nur im Rahmen einer fairen Neugestaltung der Weltwirtschaftsordnung lösen, die dem Süden eine gleichberechtigte Teilhabe am globalen Wirtschaftskuchen und das Recht auf nachholende Entwicklung zubilligt. Solange das nicht passiert, werden aus perspektivlosen Fischern in Senegal Schlepper und in Somalia Piraten.

* Aus: Neues Deutschland, 10. September 2009


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