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Dakar war ein offener Ort

Teilnehmer attestieren Weltsozialforum überwiegend gute Noten

Von Odile Jolys, Dakar *

Jeder der 60 000 Teilnehmer am Weltsozialforum (WSF) ist mit seinem Anliegen angereist, so dass jeder seine eigene Bilanz zieht. Einig sind sich die Teilnehmer über die schlechte Organisation und darüber, dass Migration und Landraub die Diskussionen beherrschten.

»Phantastisch« fand Sarah Longwe das Weltsozialforum in Dakar. Die Frauenaktivistin aus Sambia ist Mitglied des afrikanischen Sozialrates. »Es war viel besser als in Nairobi 2007, es gab viele Afrikaner. Hier hat die lokale Bevölkerung mitgemacht. Aber wir brauchen noch mehr Frauen auf der Bühne.« Begeistert ist sie, weil es keine Sicherheitschecks gab, weil das WSF an der Universität Cheick Anta Diop von Dakar stattfand »Es war ein offener Ort. Die Studenten konnten vorbei kommen. Es war lebendig.«

Die Studenten nutzten die Gesprächsgelegenheiten, die sich auf dem Campus ergaben, um über ihre Studienbedingungen, etwa die überfüllten Wohnheime, zu informieren. Auch eine Gruppe von 30 Abiturienten, die keine Zulassung an der Uni bekam, breitete ihre Wut und Entschlossenheit vor der Weltöffentlichkeit aus. Sie demonstrierten auf dem Campus und bei der Schlussveranstaltung der Versammlungen der Sozialforen am Donnerstagnachmittag.

Zufrieden mit dem WSF zeigt sich der Senegalese Sidiki. Er leitete die Organisation des Forums in einem Vorort von Dakar. Hunderte von Leuten hätten den Weg dahin gefunden. Die Bewohner der Vororte wurden nicht vergessen. Gesprochen haben sie über lokale Entwicklung und die Alltagsprobleme der Menschen dort, wie die häufigen Überschwemmungen von mehreren Monaten während der Regenzeit, weil es an einem Abwassersystem mangelt.

Dagegen ist die senegalesische Frauenaktivistin Madjiguène Cissé, die das Thema Afrika und Migration beim WFS betreute, nur halb zufrieden: »Es war schwierig, dass senegalesische Volk zu interessieren«, bedauert sie. Viele wussten nicht, worum es geht und selbst die Studenten waren nicht wirklich bei den Diskussionsrunden dabei.

Winnie Overbeck vertrat in Dakar allein eine kleine Bewegung aus Uruguay, die für den Schutz der Wälder und ihre Völker eintritt. Die kleine Organisation, die gegen die Abholzung und Plantagenwirtschaft kämpft, arbeitet besonders mit Graswurzelbewegungen zusammen und konnte sich keine starke Delegation leisten.

»In unserem Netzwerk haben viele noch nie was vom WSF gehört.«

Die chaotische Organisation hatte auch ihm zu schaffen gemacht. Doch aus der Not ist doch etwas Gutes geworden. Durch die Doppelbesetzung eines Vortragsraumes kam Winnie in Kontakt mit einer Gruppe, die das Verhalten der Bolloré-Gruppe, ein Forstunternehmen, weltweit anprangert. Mit dem World Rainforest Movement soll nun zusammen weiter das Thema verfolgt werden.

Jedoch fragt sich Winnie Overbeck, ob es nicht Zeit ist, das Weltsozialforums-Experiment aufzugeben. »Wieso muss es ewig dauern«, fragt er. Was die Organisationen in seinem Netzwerk wollen, ist richtiger Süd-Süd-Austausch. Dass Gemeinschaften aus Brasilen, die mit Widerstand gegen Waldabbau Erfahrung haben, diejenigen in Mosambik treffen, die am Anfang des Prozesses stehen.

Corinna Genschel, Mitarbeiterin bei der LINKEN im Bundestag, findet, dass in Dakar viele Gruppen aus verschiedenen Ländern sich gut vernetzt haben. Insbesondere, um das Thema »links sein« und Ökologie. Aus der chaotischen Organisation macht sie ein politisches Statement: »Es ist klar geworden, wie wichtig Infrastuktur ist, wenn man will, dass Leute miteinander reden, sich austauschen können.« Es sei durch die fehlende Organisation auch etwas Positives passiert: »Die Leute haben selber die Initiative ergriffen, haben sich selbst organisiert.«

Boualem Hammouche ist aus Algerien und das erste Mal beim Weltsozialforum. Dass es französischsprachig war und auf seinem Heimatkontinent stattgefunden hat, habe ihn motiviert. Er ist begeistert und verspricht, nie wieder ein WSF verpassen zu wollen: »Ich hatte noch nie von kanadischen Minen in Mexiko gehört, es tut so gut seinen Horizont zu erweitern. Man soll nicht nur unter sich bleiben!«

Der Algerier wartet nun, dass nach Tunesien und Ägypten auch sein Volk sich erhebt. »Es wird passieren, eine Tür wurde geöffnet. Aber erstmal werden wir bei unserer Rückkehr von der Polizei schikaniert werden.« Ihm ist klar, dass die Spitzel der Regierung mit auf das WSF gefahren sind.

Mit Jubel hat die Schlussversammlung der Sozialforen auf das Gerücht reagiert, dass Mubarak sich wohl bald von der Macht verabschieden wird. Am Donnerstagnachmittag wurde dann beim WSF zur Revolution aufgerufen und gefragt, wer wohl der nächste Despot auf der Liste ist.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2011


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