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Selbstermächtigung

Weltsozialforum in Dakar: Zahlreiche autonome Frauenversammlungen. Afrikanerinnen tauschten sich über Erfahrungen mit Kampf gegen Patriarchat und Gewalt aus

Von Ann-Kristin Kowarsch *

Die Globalisierung unseres Kampfes ist die Globalisierung der Hoffnung.« Mit diesem Satz leiteten die senegalesischen Organisatorinnen die erste Sitzung der Frauenvollversammlung auf dem Weltsozialforum (WSF) am 10. Februar in Dakar ein. Über 500 Frauen aus fünf Kontinenten hatten sich versammelt, um ihre Standpunkte gegen das patriarchale kapitalistische System und ihre Forderungen für eine andere Welt zusammenzutragen. Die Diskussion sollte die Grundlage für eine gemeinsame Abschlußresolution liefern, die gemeinsame Ziele und Solidarität der Frauen weltweit reflektiert.

Zur zehnjährigen Geschichte des WSF gehört eine kontinuierliche und autonome Beteiligung von Frauen. Am Anfang waren die feministischen Dialoge im brasilianischen Porto Alegre und in Mumbai (Indien), über die Aktivistinnen eine stärkere Vernetzung innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung erreichen wollten. Darauf aufbauend wurde beim WSF 2007 in Kenias Hauptstadt Nairobi zum ersten Mal eine Frauenvollversammlung einberufen, die seither fester Bestandteil der Treffen ist.

Auch in Dakar waren Frauen überall präsent – angefangen vom Vorbereitungsprozeß über die Auftaktdemonstration bis zu den Veranstaltungen, Diskussionen, kulturellen und politischen Aktionen während des einwöchigen Treffens. Zu allen zwölf Schwerpunktthemen des WSF meldeten sich Vertreterinnen von Frauenorganisationen zu Wort und hoben insbesondere die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit und innerhalb der verschiedenen sozialen Bewegungen hervor.

Aktiv gegen Kriege

Auf dem Gelände der Universität von Dakar war ein »Frauendorf« errichtet worden, in dem zu Beginn des WSF am 7. Februar das Afrikanische Frauenforum stattfand. Teilnehmerinnen aus verschiedenen afrikanischen Ländern diskutierten hier über ihre Geschichte, ihren Widerstand und ihre Organisierung. In den folgenden Tagen wurden im Dorf Diskussionsforen organisiert, die sich an Aktive lokaler und internationaler Frauenorganisationen und anderer Initiativen und an solidarische Männer richteten. Der Aufbau alternativer Produktionsformen und die ökonomische Autonomie von Frauen wurden dabei ebenso thematisiert wie die Gewalt gegen Frauen insbesondere in Bürgerkriegsgebieten.

Colette Samoya von der Initiative »PeaceWomen« verurteilte den systematischen Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegswaffe und verwies darauf, daß die Täter nicht nur bewaffnete Banden und Soldaten, sondern auch UN-Blauhelme sind. Für die Überwindung persönlicher und gesellschaftlicher Traumata sahen die Teilnehmerinnen die selbstbestimmte Beteiligung von Frauen am demokratischen Wiederaufbau politischer und ziviler Strukturen und ihre internationale Solidarität untereinander als entscheidend an.

Frauen, die vor den bewaffneten Konflikten in Mauretanien und Sierra Leone in den 90er Jahren in den Senegal geflohen waren, erzählten, daß ihre Kinder aufgrund ihres Flüchtlingsstatus und der Armut in die Prostitution gezwungen würden. Demgegenüber berichteten Vertreterinnen kurdischer Initiativen von der Kampagne »Unser Freiheitskampf wird die Vergewaltigungskultur überwinden«, mittels derer es ihnen im vergangen Jahr gelungen war, über sexistische Gewalt breit zu diskutieren. Palästinenserinnen, die seit Jahrzehnten gegen die militärische Besatzung ihres Landes und die Fremdbestimmung ihres Lebens kämpfen, schilderten die Versuche von Frauen, trotz Lebensgefahr die neuerrichteten Mauern innerhalb der von Israel besetzen Gebiete zu überwinden, die ihnen den Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und ihren Familien verwehren.

Saharauische Frauen prangerten die systematischen Menschenrechtsverletzungen der marokkanischen Besatzer in der Westsahara an und riefen das Forum zur Solidarität mit ihrem Kampf um Selbstbestimmung auf. Senegalesinnen sprachen über die Situation der Frauen in der Region Casamance im Süden ihres Landes und deren Kampf für Frieden. Der von der internationalen Öffentlichkeit kaum beachtete Konflikt zwischen Gruppen, die die Unabhängigkeit von Casamance verlangen, und der Regierung in Dakar wird immer wieder mit Waffengewalt ausgetragen.

Chauvinistischer Mißton

Trotz aller Unterschiede waren die Diskussionen von der Hoffnung auf gemeinsames Handeln gekennzeichnet: »Wenn wir einander nicht verstehen, verursachen wir Konflikte. Aber wenn wir zusammenkommen, werden wir gemeinsam stärker«, heißt es in einem Lied, das eine Frau aus Mali gegen Ende einer Veranstaltung anstimmte.

Auf der Abschlußsitzung der Frauenvollversammlung vergangenen Freitag zeigte sich jedoch, daß das »Zusammenkommen« leichter gesungen als getan ist. Einerseits hatte mangelnde Transparenz in den Kommunikationsstrukturen zu Mißverständnissen bei der Vorbereitung der Veranstaltung geführt. So war es erst kurz vor Versammlungsbeginn gelungen, Konzepte, Ort und Zeit der Veranstaltung zwischen afrikanischen und globalen Netzwerken abzustimmen.

Die Verwirrung trug dazu bei, daß während der Sitzung unzureichend auf chauvinistische Provokationen einiger Marokkanerinnen reagiert wurde, die verhindern wollten, daß die Solidarität mit dem langjährigen Unabhängigkeitskampf der Saharauis in der Abschlußresolution erwähnt wurde. Statt auf den Prinzipien der Charta des WSF zu beharren, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkennt, sahen die Veranstalterinnen ganz von einer gemeinsamen Abschlußresolution ab. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen einigte sich schließlich darauf, den Resolutionsentwurf zur Solidaritätserklärung zu deklarieren und namentlich zu zeichnen. Dies hinterließ einen bitteren Nachgeschmack und zeigte, daß Chauvinismus auch innerhalb der globalen Frauenbewegung ein Problem sein kann. Nur wenn er entschieden zurückgewiesen wird, kann auf die Parole von der internationalen Solidarität eine entschlossene Praxis folgen.

* Aus: junge Welt, 18. Februar 2011


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