Globalisierung ist keine Frage der Rhetorik oder der Parteipolitik
Peter Wahl* setzt sich mit parteitaktischen Anbiederungsversuchen auseinander
Unter dem Titel "Die Grünen müssen auf Phrasen verzichten und sich Tabuthemen stellen" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau im Rahmen ihrer Nach-Genua-Berichterstattung einen Beitrag des Entwicklungstheoretikers und Attac-Mitbegründers Peter Wahl. Wir dokumentieren Auszüge:
Dass der Durchbruch der globalisierungskritischen Bewegung in den letzten
Monaten dazu führen würde, dass die traditionellen Macher der Politik begehrliche
Blicke auf das - großenteils jugendliche - Wählerpotenzial dieser Bewegung
werfen, war zu erwarten. Dies gilt besonders für eine Sechsprozentpartei wie die
Grünen ...
Dennoch ist es gut, wenn eine öffentliche Diskussion in Gang kommt - vor allem,
wenn die brennenden inhaltlichen Probleme der Globalisierung zur Sprache
kommen. Genau das wollen wir. Wenn sich auch die anderen Parteien einmischen,
umso besser. Allerdings werden Worte allein nicht genügen. ...
So genügt es beispielsweise nicht, das Demokratiedefizit festzustellen, das durch
die Globalisierung entsteht. Man muss Ross und Reiter nennen, wenn man
wirksam etwas dagegen tun will. So ist ein entscheidender Faktor bei der
Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie, dass die internationalen
Finanzmärkte zunehmend den Regierungen die Wirtschafts-, Sozial- und
Steuerpolitik diktieren. Die entfesselten Finanzmärkte sind die Speerspitze
neoliberaler Globalisierung. Man wird nicht darum herumkommen, sich mit den
Finanzmarktakteuren anzulegen. Man wird den Mut aufbringen müssen, auch
Maßnahmen gegen deren Interessen zu ergreifen. Manches Tabu wird dabei
angekratzt werden müssen, zum Beispiel die allen demokratischen Prinzipien
Hohn sprechende "Unabhängigkeit" der Zentralbanken. ...
... Eine internationale Regulierung und demokratische Kontrolle der
Finanzmärkte muss her. Konkrete Vorschläge liegen auf dem Tisch. So die Idee
einer internationalen Steuer auf Devisengeschäfte. 1,6 Billionen Dollar werden
börsentäglich gehandelt. Schon eine Steuer von einem halben Prozent würde Sand
in ein Getriebe werfen, das für die institutionellen Anleger - die meisten davon sind
Banken - wie eine Lizenz zum Gelddrucken ist, gleichzeitig aber permanente
Instabilität und Crashs in immer kürzeren Abständen produziert. Vom belgischen
Parlament über den DGB bis zum Weltrat der Kirchen und Finnlands Regierung
reichen bereits die Stimmen, die sich für diese Steuer einsetzen. Man kann
darüber streiten, ob es noch andere Maßnahmen gibt, die entfesselten
Finanzmärkte an eine demokratische Leine zu legen, aber anfangen muss man
endlich damit. ...
Auch die Ideologie, Privatisierung sei das Patentrezept für alle Probleme, sollte auf
den Prüfstand. Dass die Privaten nicht alles besser können, sehen wir an dem
maroden Eisenbahnsystem in Großbritannien, während die französische Bahn - der
Inbegriff von Etatismus - heute über das modernste und sicherste System Europas
verfügt. Die gleiche Frage stellt sich für Basisdienstleistungen wie Gesundheit und
Bildung. ...
Die Hoffnungen, die Daniel Cohn-Bendit dabei auf die EU setzt, lassen sich
empirisch bisher in keiner Weise bestätigen. Im Gegenteil. Wenn es darum geht,
die eigenen Wettbewerbsvorteile auszubauen, etwa die Märkte der
Entwicklungsländer für die private Wasserwirtschaft zu öffnen - Millionen haben
keine Zugang zu sauberem Wasser -, merkt man nichts von einer Alternative zum
Shareholder-Kapitalismus, wie er in den USA gepflegt wird.
Deutlich sollten die Grünen sich auch von der Phrase "Es gibt keine Alternative zur
Globalisierung" distanzieren. Richtig ist: Die Internationalisierung der
Kommunikation, der internationale Verkehr und Austausch, all das ist irreversibel,
und darin liegen auch Chancen für den Planeten. Aber zur neoliberalen
Wirtschaftspolitik, die diesen Prozess beherrscht und deformiert, gibt es sehr wohl
Alternativen: Priorität für die Globalisierung von Gerechtigkeit, von Demokratie,
Umweltschutz und Menschenrechten - die politischen und die sozialen
Menschenrechte. Die beliebte Praxis, die einen gegen die anderen auszuspielen,
muss aufhören. ...
* Peter Wahl ist Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation WEED und Mitglied im
Koordinierungskreis von Attac Deutschland
Aus: Frankfurter Rundschau, 21. August 2001
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