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Von Tobin zu Robin

Die Idee einer Finanztransaktionssteuer hat mittlerweile auch politische Machtzentren erfasst

Von Ralf Hutter und Kurt Stenger *

Mehr als 1000 Wirtschaftswissenschaftler aus allen Teilen der Welt, davon über 100 aus Deutschland, fordern in einem am Mittwoch (21. Sept.) veröffentlichten Aufruf an die Regierungen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Auf EU-Ebene gibt es dafür bereits konkrete Vorbereitungen. Aber viele Regierungen sträuben sich noch gegen die Steuer auf alle Formen von Finanzgeschäften. Dennoch: Die alte linke Forderung ist nach jahrelangem Ringen erstmals in den Bereich des Möglichen gelangt.

Viele Ökonomen machen sich für eine Finanztransaktionssteuer (FTS) stark, die auf den US-Ökonomen James Tobin zurückgeht. Bis zur Einführung ist es noch ein langer Weg – und fraglich ist, wo die Einnahmen landen würden.

Die Sagengestalt Robin Hood ist heute allgemein eher ein Sympathieträger. Er war die letzte Hoffnung der von den königlichen Bütteln drangsalierten Bevölkerung. Unvergesslich sein Motto: von den Reichen nehmen, den Armen geben.

Eine solche Umverteilung schwebt auch dem Bündnis »Robin Hood Tax« vor. Die in über 25 Ländern aktive Kampagne setzt sich für eine Steuer auf Finanztransaktionen ein, um die Spekulationen an den Finanzmärkten einzudämmen. Nun haben die diesem Netzwerk angehörigen Organisationen über 1000 Ökonominnen und Ökonomen in einem Dokument vereint: Darin appellieren diese an die G20-Regierungen, die sich Anfang November im französischen Cannes treffen werden, eine Steuer auf alle Finanztransaktionen einzuführen. Zu den Unterzeichnern gehören der US-Ökonom Jeffrey Sachs, Sonderberater von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der frühere ecuadorianische Energieminister Alberto Acosta und der Pekinger Ökonom Liu Zhen. Aus Deutschland sind u.a. der frühere Wirtschaftsweise Jürgen Kromphardt und UNCTAD-Chefvolkswirt Heiner Flassbeck beteiligt.

»Die Finanzkrise hat uns die Gefahren eines unregulierten Finanzwesens gezeigt«, heißt es in dem Aufruf der Fachleute aus 53 Ländern. »Das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und einem Finanzsektor, der dieser eigentlich dienen sollte, wurde ins Gegenteil verkehrt. Nun ist es an der Zeit, dieses Verhältnis wieder umzukehren.« Die Einnahmen aus der FTS, schreiben die Ökonomen weiter, werden dringend für öffentliche Güter wie Gesundheit, Bildung oder Wasser und den Kampf gegen den Klimawandel benötigt.

Der französische Präsident Nicholas Sarkozy hat die Finanztransaktionssteuer auf die Agenda des nächsten Gipfels der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gesetzt, wo es bisher aber große Widerstände gibt. Insbesondere der Bankensektor lobbyiert dagegen. Am weitesten gediehen ist die FTS iauf EU-Ebene. Hier gebe es seit 2010 Vorarbeiten, erläutert Peter Wahl vom Verein Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED). Im Herbst soll es dazu eine EU-Richtlinie geben. Unklar sei dabei jedoch noch, erläutert Wahl, welche Transaktionen wie hoch besteuert werden sollten und welche Länder überhaupt mitmachen würden. Denkbar seien bei Letzterem verschiedene Varianten: alle oder nur zwei Handvoll EU-Länder, die Staaten der Eurozone oder aber eine EU-Minderheit zusammen mit Nicht-EU-Ländern – je mehr Beteiligte, desto größer jedenfalls der Effekt. Zum Ausmaß der Besteuerung ergebe sich aus Äußerungen von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, dass der Handel mit Aktien und Anleihen mit einem Steuersatz von 0,1 Prozent sowie der mit Derivaten mit 0,01 Prozent belegt werden solle. Die Einnahmeerwartung würde sich demnach auf jährlich rund 30 Milliarden Euro EU-weit belaufen – 50 Milliarden könnten es laut Wahl sein, wenn auch noch der Devisenhandel besteuert würde. Barroso möchte, dass die Einnahmen in den Brüsseler Haushalt fließen. Wohl aus diesem Grunde haben Deutschland und Frankreich kürzlich eine eigene Initiative für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU oder zumindest im Euroraum gestartet. Hier soll das Geld in den nationalen Etats landen.

Die Verwendung der Einnahmen ist ein Knackpunkt. Die zivilgesellschaftlichen Akteure sehen sie im Dienste einer gerechteren Welt. »Einnahmen aus der Steuer werden dringender denn je für Armutsbekämpfung und Klimaschutz hier in Deutschland und weltweit benötigt«, sagt Jörn Kalinski, der für die Nord-Süd-Organisation Oxfam an der Kampagne »Steuer gegen Armut« beteiligt ist. Hingegen formulierten die Finanzminister Deutschlands und Frankreichs, Wolfgang Schäuble und François Baroin, kürzlich in einem Schreiben an die EU-Kommission, die Zweckgebundenheit der Einnahmen solle keine Vorbedingung für die Einführung dieser Abgabe sein. Angesichts der Euro-Schuldenkrise liegt die Vermutung nahe, dass Regierungen die Steuer zur Haushaltssanierung einsetzen könnten. Peter Wahl verweist indes auf Initiativen im Bundestag und auch in Frankreich, die eine Zweckgebundenheit der Einnahmen verankert sehen wollen. Aber selbst dann, erläutert der Mitbegründer von Attac Deutschland, könnte das Geld versickern – wenn die entsprechenden Etats um den aus der FTS eingehenden Betrag gekürzt werden. Es sei alles »eine Frage des politischen Kampfes und der politischen Kräfteverhältnisse«. Robin Hood kann seinen Bogen also wohl noch lange nicht zur Seite legen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2011


Was kann eine Finanztransaktionssteuer bringen?

ND beifragte drei Mitunterzeichner des Offenen Briefes an die G20-Regierungen **

ND: Was erhoffen Sie sich von einer Finanztransaktionssteuer (FTS)?

Altvater: Man muss zwischen der fiskalischen und der Lenkungswirkung unterscheiden. Für den Fiskus soll die Steuer je nach Steuersatz und dem Umfang der Finanztransaktionen weltweit zwischen 100 und 500 Milliarden Euro bringen, die zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden sollen. Kann man aber die Armut mit einer Steuer wirksam bekämpfen, die den Gegenstand der Besteuerung, die Finanztransaktionen, reduzieren soll? Die Steuer ist zusammen mit anderen Maßnahmen notwendig, um der Finanzspekulation den Stachel zu nehmen. So kann man vielleicht Armut und Elend, die aus der Finanzkrise resultieren, eindämmen.

Troost: Viele risikobelastete Finanzgeschäfte würden unprofitabel und damit wegfallen. Mit dieser Lenkungswirkung hilft die Finanztransaktionsteuer, exzessive Spekulation und Zockerei einzudämmen. Die Steuer könnte allein schon in Deutschland einen zweistelligen Milliardenbetrag einbringen. Wir wollen die Hälfte der Einnahmen für eine nachhaltige Entwicklung in den Ländern des Südens und für globalen Klimaschutz verwenden. Die andere Hälfte wollen wir für den sozial-ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft nutzen.

Kisker: Eine FTS ist kein Mittel, die sich zuspitzenden Krisen des Kapitalismus zu lösen, aber sie ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Ihre Einführung würde die ausschließlich den Banken und ihren reichen Kunden nützlichen Spekulationen ein Stück weit eindämmen und zugleich den Staaten Hunderte von Milliarden Euro jährlich einbringen. Sie müsste allerdings durch weitergehende Regulierungen ergänzt werden, die die Banken an ihre eigentliche Aufgabe erinnern, nämlich Dienstleister der Gesellschaft zu sein. Als nächster Schritt ist die Wiedereinführung der Kapitalverkehrskontrolle notwendig, die bis Ende der 1980er Jahre bestand.


Zu den Personen:
  • Dr. Elmar Altvater ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
  • Dr. Klaus Peter Kisker ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Freien Universität Berlin.
  • Dr. Axel Troost ist Wirtschaftswissenschaftler und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.


ND: Wie wäre der Effekt einer FTS, die nur in der EU oder im Euro-Raum eingeführt würde?

Altvater: Finanzmärkte sind seit der Liberalisierung in den 1980er Jahren globalisiert, ihre Regulation aber nicht. Doch sollte dies kein Argument gegen die Einführung einer FTS sein. Denn der Euroraum kann auch dann nicht umgangen werden, wenn nur dort und nicht weltweit eine FTS erhoben würde. Finanzmarktakteure würden sich ins eigene Fleisch schneiden.

Troost: Die EU könnte die Steuer problemlos einführen. Es ginge aber auch im Euroraum. Die FTS wäre dann weniger wirksam, aber immer noch eine sehr sinnvolle Maßnahme. Man könnte dann alle weltweit getätigten Finanztransaktionen von Unternehmen und Personen mit Sitz im Euroraum besteuern. Wenn dann ein paar tausend Banker aus Frankfurt ihre Koffer packen und nach London umziehen, sollte man ihnen eine gute Reise wünschen.

Kisker: Angesichts der weltwirtschaftlichen Bedeutung der EU und des Euroraumes hätte die Einführung hier eine große Wirkung. Da mehr als 95 Prozent der Finanztransaktionen keinen realwirtschaftlichen Hintergrund haben, also nicht auf Ex- oder Importen oder auf Direktinvestitionen beruhen, ist ausgeschlossen, dass die FTS irgendeinen negativen Einfluss auf die Realwirtschaft beziehungsweise die Arbeitsplätze in der EU hat.

ND: Welche Gefahren sehen Sie für den Fall, dass die Einnahmen nicht zweckgebunden sind?

Altvater: Armutsbekämpfung ist ein großes, aber nicht sehr genau spezifiziertes Ziel. Inwieweit dieses erreicht wird, hängt von der Ausgestaltung der Institution ab, die die Steuereinnahmen verwaltet. Die muss aber erst noch ausgehandelt werden.

Troost: Dann würden die Einnahmen normal in den Bundeshaushalt gehen. Zugleich müssten daher die Ausgaben in anderen Bereichen erhöht werden. Die Regierungskoalition könnte die Gelder aber auch einfach nur zum Stopfen von Haushaltslöchern nutzen.

Kisker: Ich sehe da keine Gefahr, aber das Geld wird dringend für öffentliche Güter benötigt, sowohl national als auch weltweit. Eine Zweckbindung wäre also wünschenswert.

** Aus: Neues Deutschland, 22. September 2011


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