Wachsende Herausforderung
Am 31. Oktober leben sieben Milliarden Menschen auf der Erde
Von Martin Ling *
Die Hochrechnungen der Weltbevölkerungsexperten sagen für den 31. Oktober die Geburt des siebenmilliardsten Menschen voraus. Damit ist die Weltbevölkerung innerhalb von nur zwölf Jahren um eine Milliarde Menschen gewachsen.
Nach der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler gibt es seit Freitag nun auch eine »Weltbevölkerungsuhr«. Sie wurde von der Ehefrau des Bundespräsidenten, Bettina Wulff, in Hannover enthüllt. Damit will die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) auf die rasant steigende Zahl der Erdbewohner aufmerksam machen. Die zwei mal zwei Meter große Digitaluhr zählt, wie viele Menschen zurzeit auf der Erde leben - statistisch kommen jede Sekunde 2,6 Menschen hinzu. Am 31. Oktober wird nach Angaben der Stiftung der siebenmilliardste Mensch geboren, vermutlich in Indien.
»Es geht darum, dass jedes Kind eine Chance auf Teilhabe in der Welt bekommt«, sagte die First Lady. »Bei dieser explosionsartigen Steigerung ist das nicht mehr möglich.« Der Stiftungsgründer und Drogerie-Unternehmer Dirk Roßmann wies darauf hin, dass die Weltbevölkerung in nur zwölf Jahren um eine weitere Milliarde gewachsen sei. Viele Kinder müssten in Armut und ohne Bildung leben und fänden später häufig keinen Arbeitsplatz.
Besonders rasant wächst die Bevölkerung in Afrika. Bis zur Jahrhundertmitte werden hier vermutlich fast zwei Milliarden Menschen leben - doppelt so viele wie heute.
Fast ein Drittel des weltweiten Bevölkerungswachstums beruht auf ungewollten Schwangerschaften. »Noch immer werden jedes Jahr 75 Millionen Frauen in den Entwicklungsländern ungewollt schwanger, vor allem weil ihnen der Zugang zu Aufklärung und Verhütung fehlt«, sagt Renate Bähr, Geschäftsführerin der DSW. »Wenn wir die Armut an ihrer Wurzel bekämpfen wollen, müssen wir Frauen helfen, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Familienplanung spielt hierbei eine Schlüsselrolle.«
Nach Angaben der DSW wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf voraussichtlich 9,3 Milliarden Menschen steigen. Das Weltbevölkerungswachstum findet zu 99 Prozent in Entwicklungsländern statt.
Der Berliner Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg geht von einem Rückgang der Weltbevölkerung in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts aus. »Über den Zeitpunkt gibt es verschiedene Berechnungen, meinen zufolge wird es um das Jahr 2070 sein«, sagte er in einem Gespräch mit dpa. »Aber einig sind sich alle, dass bald die Wende kommt. Schon von 2040 an wird die Kinderzahl pro Frau unter zwei sinken.« Grund sei der weltweit steigende Wohlstand. »Vor 50 Jahren bekam jede Frau im Durchschnitt der Weltbevölkerung fünf Kinder, heute sind es noch 2,5, Tendenz fallend.«
* Aus: neues deutschland, 29. Oktober 2011
Die Welt braucht eine nachhaltige Lösung
Experten fordern Wandel in Produktion und Konsumtion, um den Druck auf die knappen Ressourcen zu mildern
Von Martin Ling **
Statistisch gesehen kommen in jeder Sekunde 2,6 neue Erdenbürger auf der Welt hinzu. Die Menschheit wächst und wächst und wächst. Ob Nahrung, Wasser oder Energie - überall drohen Engpässe. Experten haben schon Lösungsansätze entwickelt.
Mehr als sieben Milliarden leben
bald auf der Erde – ein Ende des
Wachstums ist nicht in Sicht. Und
egal ob in Europa, Amerika oder
Asien, die Menschen haben Bedürfnisse:
Sie wollen essen und
trinken, viele von ihnen brauchen
eine Heizung, manche kaufen sich
ein Auto oder irgendeines der anderen
Millionen Dinge, die auf dieser
Welt zu haben sind.
Bis zum Jahr 2100 könnten laut
UN über zehn Milliarden Menschen
auf der Welt leben. Das
Wachstum findet dabei vor allem
in Schwellen- und Entwicklungsländern
wie China, Indien oder
Nigeria statt. Dort soll nach Angaben
der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung
allein in den nächsten
40 Jahren die Bevölkerung von 5,7
auf fast acht Milliarden Menschen
wachsen. Gleich drei Erden benötigten
die Menschen im Jahr 2050,
um ihren Bedarf zu decken, wenn
sich die Gewohnheiten nicht änderten,
heißt es bei der Umweltorganisation
WWF.
Dazu kommt das Problem mit
dem Wasser. »In fast allen Regionen,
wo wir Wasserarmut haben,
gibt es regionale Konflikte«, sagt
Max Schön, Präsident der Deutschen
Gesellschaft Club of Rome.
Der Streit ums Wasser könnte
weiter zunehmen, glaubt Schön.
Um das zu verhindern, müsse
schonender mit der Ressource
umgegangen werden, etwa indem
exzessiver Landbau in wasserarmen
Regionen eingedämmt wird.
Wichtig ist laut Schön aber
auch, dass Unternehmen umdenken.
Sie müssten die Wege ihrer
Produkte genau überprüfen, um
nachhaltiges Wirtschaften zum
Beispiel durch Zusammenarbeit
mit wasser- und CO2-sparenden
Lieferanten zu fördern. »Es ist
wichtig, dass Unternehmen Initiativen
ergreifen, die andere zum
Nachahmen anregen«, sagt Schön.
Nachhaltige Nutzung und Wiederverwertung
könnten auch bei
der Rohstofffrage zu den Schlüsselwörtern
der Zukunft gehören.
»Geologisch gesehen gibt es ausreichend
mineralische Rohstoffe,
einschließlich der Metalle«, sagt
Volker Steinbach, Leiter der Deutschen
Rohstoffagentur in der Bundesanstalt
für Geowissenschaften
und Rohstoffe mit Sitz in Hannover.
Knappheit gebe es aus politischen
oder markttechnischen
Gründen. Und die ließen sich
überwinden: »Wir müssen uns mit
der Erschließung neuer Lagerstätten,
Recycling,
Ressourceneffizienz
und
Substitution intensiv
beschäftigen.«
Beim Öl ist
die Lage anders.
Verschiedene
Experten rechnen mit einem weltweiten
Produktionsrückgang ab
etwa 2030. Darin sieht Steinbach
eine große Herausforderung, gerade
mit Blick auf die Erkundung
neuer Lagerstätten und die Entwicklung
neuer Technologien. Der
Geologe betont, dass die Menschen
nicht auf den Rohstoff selbst angewiesen
sind, sondern auf seine
Funktion. »Wir brauchen nicht das
Erdöl, sondern wir wollen von A
nach B transportiert werden oder
ein warmes Zimmer haben.« Das
könne man auch anders erreichen,
beispielsweise durch verstärkten
Einsatz von Erdgas und erneuerbaren
Energien sowie durch eine
gesteigerte Energieeffizienz.
Die relative Überbevölkerung in
weiten Teilen der Dritten Welt betrifft
nach Ansicht des Wissenschaftlers
Joel Cohen auch die entwickelten
Länder bis hin zu den
USA und Deutschland. »Das Problem
ist ganz nah. Wir spüren es
jetzt schon und wir werden es noch
viel stärker spüren, wenn sich der
Westen nicht stärker engagiert«,
sagte der Professor der New Yorker
Rockefeller-Universität gegenüber
dpa in New York.
»Im Jahr 1950 lebten in Europa
dreimal so viele Menschen wie
in Afrika unterhalb der Sahara.
Heute sind es dort schon 16
Prozent mehr und 2100 werden
es fünfmal so viele wie in
Europa sein. Der Migrationsdruck
ist enorm und wird immer stärker.«
Die jetzt sieben und künftig womöglich
neun oder zehn Milliarden
Menschen seien zudem ein Umweltproblem:
»Abgase verteilen
sich auf der Nordhalbkugel innerhalb
von sechs Tagen. Dann ist es
egal, ob das Auto in Manhattan
oder in Peking fuhr, es hat unser
aller Luft verschmutzt.«
Nach Cohens Worten könne die
Erde auch »neun, zehn, elf Milliarden
Menschen« ernähren. »Das
Getreide ist da, schon heute. Aber
nur 46 Prozent wird gegessen. 34
Prozent wird an Tiere verfüttert,
der Rest ist Biosprit und Schmierstoff.
« Eine Milliarde Menschen
leide ständig Hunger. »Kein Wunder,
wenn wir mehr als die Hälfte
unserer Nahrungsmittel lieber an
Vieh und Maschinen als an Menschen
verfüttern.«
Dass Armut Bevölkerungswachstum
produziert und nicht
umgekehrt, zeigt ein Beispiel aus
dem afrikanischen Liberia: In dem
einfachen Geburtsbett in der Klinik
im liberischen Montserrado lächelt
die 32-jährige Beth Coope, erleichtert,
nachdem der kleine Yenti
seinen ersten Schrei gemacht hat.
Ihre letzten zwei Babys starben bei
der Geburt. Ihr jüngster Sohn lebt,
aber Yentis Zukunft in Afrikas
überfüllten Städten ist unsicher.
Für Frauen wie Beth Cooper
gibt es keine Alternative zur Großfamilie.
»Wer soll auf unserem
Bauernhof arbeiten, wenn ich keine
große Familie habe?« fragt sie.
»Ich verdiene nicht viel, deshalb
brauche ich Kinder, die mir helfen,
wenn ich alt bin.« Eine große Kinderschar
gilt als Versicherung gegen
Armut. Eine afrikanische Frau
bringt heute durchschnittlich 4,7
Kinder zur Welt. Im europäischen
Durchschnitt sind es lediglich 1,6
Kinder.
Solange dem Süden soziale
Entwicklung durch eine unfaire
Weltwirtschaftsordnung verwehrt
bleibt, wird die Bevölkerung dort
wachsen. Ein Bruchteil der 1,6
Billionen US-Dollar, die laut dem
Stockholmer Friedensforschungsinstitut
SIPRI 2010 für Rüstung
ausgegeben wurden, würden reichen,
um ländliche Entwicklung im
Süden hinreichend zu fördern,
denn nach wie vor leben 80 Prozent
der Armen auf dem Lande.
Megastädte
Lebte 1950 knapp ein Drittel der
Weltbevölkerung in Städten, ist
es heute die Hälfte. Nach UN-Schätzung
wird der Anteil bis 2050 auf 69 Prozent steigen. Und
während sich 1975 nur in New
York, Tokio und Mexiko-Stadt
mehr als zehn Millionen Menschen
drängten, lag die Zahl dieser
Megacities 2009 bereits bei
21. Bisher nicht zu den weltgrößten
Ballungszentren gehören die acht am schnellsten wachsenden
Städte (Berechnung ab 1990, relatives Wachstum und
Einwohnerzahl):
-
Shenzhen (China) 20,8 Prozent
auf 7 009 000 (2000)
-
Nakuru (Kenia) 13,3 Prozent auf
1 571 000 (2006)
-
Donguan (China) 13,1 Prozent auf
6 446 000 (2000)
-
Chongqing (China) 11,3 Prozent
auf 9 692 000 (2000)
-
Karadsch (Iran) 8,0 Prozent auf
1 386 000 (2006)
-
Dire Dawa (Äthiopien) 7,8 Prozent
auf 237 000 (2002)
-
Guanzhou (China) 7,7 Prozent auf
8 524 000 (2000)
-
Puente Alto (Chile) 7,5 Prozent auf
689 000 (2009)
** Aus: neues deutschland, 29. Oktober 2011
Die 10 bevölkerungsreichsten Staaten der Erde 2011 (in Millionen):
China | 1.348 |
Indien | 1.242 |
USA | 313 |
Indonesien | 242 |
Brasilien | 197 |
Pakistan | 177 |
Nigeria | 163 |
Bangladesch | 151 |
Russland | 143 |
Japan | 127 |
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