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Kalaschnikow statt Krummsäbel

Piraten sind in mehreren Weltregionen auch gegenwärtig ein ernstes Problem

Von Thomas Berger *

Für die einen ist es pure Seeräuber-Romantik. Doch für viele Seeleute weltweit stellt sich Piraterie bis heute als reale Gefahr dar. Einige Abschnitte der Weltmeere sind geradezu berüchtigt für Überfälle.

Piraterie – das verknüpft man schnell mit vergangenen Jahrhunderten, mit finsteren Gesellen, die Augenklappen tragen und mit ihren Säbeln rasseln. Kaum bekannt ist dagegen, dass es durchaus auch moderne Piraten gibt. Nur hat sich ihre »Arbeitsweise« ein klein wenig geändert, den Krummsäbel haben sie gegen hochmoderne Feuerwaffen eingetauscht, mit denen sie Fracht- und Passagierschiffe angreifen.

Erst vor wenigen Tagen hat der Leiter des Piracy Reporting Centres (PRC) in Kuala Lumpur, Noel Choong, die Statistik für das erste Halbjahr 2006 vorgelegt. 127 Schiffe weltweit waren demnach das Ziel von Überfällen, genau soviele wie in der ersten Hälfte 2005. Doch in diesem Jahr gab es zusätzlich schon sechs Todesfälle. Rufe aus Europa und den USA werden lauter, die betroffenen Wasserstraßen besser zu überwachen. Das PRC hat einige Meeresgebiete für besonders gefährdet erklärt. Neben der Straße von Malakka, von Kuala Lumpur aus auf der Westseite der Halbinsel gelegen, sind es Küstengewässer in Indonesien, das Umfeld von Bangladeschs Überseehafen Chittagong sowie das südliche Rote Meer und insbesondere die gesamte Küstenlinie von Somalia am Horn von Afrika.

Dort sind die Seeleute in höchster Alarmbereitschaft: Kapitäne halten einen extra großen Abstand zum Ufer und versuchen, den Abschnitt des Indischen Ozeans schnell hinter sich zu bringen. Doch die Piraten in diesen Gewässern sind so dreist, dass sie sich selbst an humanitäre Frachtschiffe der UNO und einmal sogar an einen mächtigen Luxusliner herantrauen. Mehrfach wurden Schiffe einschließlich Besatzung entführt und erst gegen hohe Lösegeldzahlungen wieder freigelassen.

Oft sind es einst harmlose Fischer, die blanke Not oder manchmal auch Geldgier dazu treibt, ihren Job ganz oder zeitweise gegen das Piratenleben einzutauschen. Sie finden sich in der neuen Rolle als Banden zusammen, die im Ernstfall kaum Erbarmen kennen.

Indonesien, Malaysia, Thailand und der Stadtstaat Singapur haben eine bessere Zusammenarbeit im Kampf gegen Piraten speziell in der Straße von Malakka angekündigt. Die Vernetzung von Sicherungsmechanismen soll die Zahl der Überfälle senken, die Täter abschrecken und bei ihrem Aufspüren helfen. Dazu soll es Überwachungsflüge an den Küsten geben. Wie erfolgreich die Bemühungen sein werden, wird sich erst in ein, zwei Jahren zeigen, wenn aus der Absichtserklärung ein funktionierendes System multinationaler Kooperation geworden ist.

Die Meerenge zwischen dem festländischen Teil Malaysias mit Singapur an der Südspitze und der indonesischen Insel Sumatra verzeichnet im globalen Maßstab fast ein Drittel aller Transporte auf dem Seeweg. Insbesondere Öllieferungen nach China und Japan sind von den Überfällen betroffen. Mehr als einmal hat Noel Choong bessere Sicherheitsmaßnahmen auf den Schiffen gefordert, sei es in Form technischer Systeme oder mit Wachen rund um die Uhr. Doch der harte Konkurrenzkampf der Unternehmen macht solch teure Investitionen schwierig. Eher wird Personal abgebaut, und an hochmoderne Piratenabwehrsysteme auf den mitunter altersschwachen Frachtern ist nicht zu denken.

In Bangladesch, wo eine effektiven Küstenwache fehlt, sind die Schiffe vor allem bei der Einfahrt in den riesigen Hafen von Chittagong gefährdet. In kleinen Einheiten schlagen die Piraten zu und sind schon wieder verschwunden, kaum dass die Betroffenen den Überfall überhaupt realisiert haben. In Somalia und im ebenfalls vermehrt betroffenen Irak haben dagegen Marine-Einheiten der NATO ein wachsames Auge auf Piratenaktivitäten. Entlang der somalischen Küste gelang es dadurch zumindest, die Reichweite der Banden ein wenig einzuschränken.

Kam es vorher im Extremfall sogar zu Überfällen 390 Kilometer vom Land entfernt, konzentrieren diese sich nun auf eine Zone, die nicht über 60 bis 80 Kilometer hinausgeht.

Vom erneuten Zuschlagen hält das die Piraten nicht ab – 25 Besatzungsmitglieder eines im April vor der somalischen Küste entführten koreanischen Fischereitrawlers kamen dieser Tage frei. Vermutlich ein sechsstelliger Dollarbetrag als Lösegeld hat das bewirkt.

* Aus: Neues Deutschland, 30. August 2006


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