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Analyse der Situation mit der Dynamik des Aufbruchs zu verbinden

Kommentar des Sprechers der Kommission "Globalisierung und soziale Gerechtigkeit", Stefan Leibold, zur "Occupy Wall Street"-Bewegung


Berlin, 02.11.2011

Die Kritik der Occupy Wall Street-Bewegung an der zunehmenden sozialen Ungleichheit, an den rigiden und unsozialen Sparprogrammen, die die am schlechtesten Gestellten treffen, und an der Rettung der Banken durch die Steuerzahler ist berechtigt und sehr zu unterstützen. Es ist sehr erfreulich, dass auch in Deutschland eine solche außerparlamentarische Bewegung entsteht!

Zu beachten ist aber, dass nicht die Banken die Ursache der Krise sind, wie es bei einigen Protesten erscheint. Überschüssiges Kapital hat deshalb in den letzten Jahrzehnten verstärkt nach einer Anlage auf den Finanzmärkten gesucht, weil in der Realwirtschaft nicht genügend (hohe) Renditemöglichkeiten vorhanden waren. Die Abkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft ist wie die Rettung der Banken durch zunehmende Staatsverschuldung der Versuch, die Krise der Realwirtschaft zu lösen. Die Politik der Banken, Finanzinvestoren und Spekulanten war überhaupt nur möglich, weil vorher die Regierungen die Regulierungen auf den Finanzmärkten gezielt abgebaut haben.

Natürlich ist das Vorgehen vieler Banken und ihrer Manager kritikwürdig; es gilt aber, Personalisierungen zu vermeiden und die Systemfehler nicht auf die „Gier“ einzelner zurückzuführen. Die Sparprogramme, wachsende Ungleichheiten und die bedingungslose Rettung der Banken liegen letztlich nicht in der Verantwortung der Banken. Insofern ist es heuchlerisch, wenn die Politiker jetzt Verständnis für die Kritik an den Banken zeigen. Ein Appell an Frau Merkel wie jetzt von „Campact“ ist dementsprechend sinnlos; sie weiß, was sie tut. Neben ein „Occupy Wall Street“ oder ein „Occupy Frankfurter Börse“ müsste also auch ein „Occupy Reichstag“ und insgesamt ein „Occupy capitalism for a better future“ treten.

Die Forderungen des Campact-Aufrufs nach der Aufspaltung der Großbanken in kleinere Einheiten, nach der Trennung des Investmentbankings vom normalen Bankgeschäft, nach dem Verbot spekulativer Finanzprodukte, einer stärkeren Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen sowie einer Finanztransaktionssteuer sind teilweise unterstützenswert, zielen aber darauf, ein fundamental in die Krise gekommenes System für eine gewisse Zeit zu stabilisieren. Ist das sinnvoll? Im Moment ja, um die Lebenssituation von Menschen nicht weiter zu verschlechtern; auf Dauer reichen sie nicht aus. Wenn man dies im Hinterkopf hat, macht es Sinn, sich an der „Occupy“-Bewegung zu beteiligen. Denn in konkreten Kämpfen lernt man die Realität besser zu verstehen und in sozialen Bewegungen können Vorstellungen einer besseren Zukunft entstehen. Es gilt, die Analyse der Situation mit der Dynamik des Aufbruchs zu verbinden.

Zum Hintergrund:

Die Krise verstehen

(Erklärung der Kommission „Globalisierung und soziale Gerechtigkeit“) - Von Heribert Böttcher [externer Link, pdf]


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