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Es gibt keinen Philosophenkönig

Der kanadische Marxist Leo Panitch über die Krise in Europa, Occupy und die USA als Weltmacht


Verliert der Staat seit der Globalisierung an Bedeutung? Welche Rolle spielen die USA im weltweiten Kapitalismus? Das sind Fragen, mit denen sich die Kanadier Leo Panitch um Sam Gindin seit vielen Jahren beschäftigen. Gindin war Forschungsdirektor der kanadischen Automobilgewerkschaft CAW. Panitch ist Herausgeber der Zeitschrift »Socialist Register«. Beide Marxisten lehren in Toronto Politikwissenschaften und sie sind seit ihrer Studienzeit in den 1960er Jahren befreundet. In ihrem neuen Buch »The Making of Global Capitalism« zeigen sie detailliert den Weg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht auf.
Mit Leo Panitch sprach nd-Redakteur Simon Poelchau.



Herr Panitch, viele Menschen in Europa waren im Herbst 2011 sehr aufgeregt, als die Occupy-Bewegung entstand. Sie legte eine bisher unbekannte Form der Basisdemokratie an den Tag.

Ja. Die Demokratie des Platzes. ! Fanden Sie das gut? Ja. Das war sehr gut. Aber es gab da die Vorstellung, dass eine freie Diskussion mit drei, vier Hundert Menschen in irgendeinem Stadtpark schon ein Beispiel von Sozialismus sei. Eine komplette Illusion war das.

War Occupy nicht aber der Anfang von etwas Neuem? Immerhin hat die Bewegung in den USA auch mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet.

Ja es gab davon einige Elemente. Aber dieser Gedanke ist etwas sehr romantisch, weil es auch einige Spannungen gab.

Welche waren das?

Das große Problem war nicht, dass die Gewerkschaften Occupy nicht unterstützt hätten. Sie bezahlten ihnen oft die Toiletten auf den Plätzen und öffneten ihre Häuser. Stattdessen hätte Occupy besser ein Zeichen für die Gewerkschaften sein sollen, dass sie selber anfangen sollten, ihre Fabriken zu besetzen.

Gab es nicht auch Positives?

Es war eine Rückkehr zu einem Klassenstandpunkt. 99 zu 1 ist eine sehr einfacher Spruch, aber es ist ein Klassenstandpunkt. Das war sehr wichtig.

Wie sollte dann eine neue soziale Bewegung aussehen?

Die wichtigste Einsicht ist, dass man die Welt nicht verändern kann ohne die Macht zu übernehmen. Und das bedeutet, die Macht im Staat zu übernehmen. Denn der Kapitalismus schafft sich nicht von alleine ab.

Reicht das aus?

Nein. Wir müssen den Staat demokratisieren. Zurzeit sind die Behörden aufgebaut wie eine Armee mit Chefs und Untergebenen. Die Gewerkschaften sollten sich für Möglichkeiten der Mitentscheidung der Angestellten im öffentlichen Dienst einsetzen.

Der Staat ist also nicht verschwunden, wie es die beiden Globalisierungskritiker Antonio Negri und Michael Hardt vor einem Jahrzehnt prophezeit haben?

Multinationale Konzerne und internationale Banken brauchen immer noch einen starken Staat, der intervenieren kann.

War das Zeitalter der Globalisierung aber nicht auch eine Zeit der Deregulierung?

Das ist eine Illusion. Die Ausweitung der Finanzmärkte war keine Sache von weniger Gesetzen. Die USA hatten vor dieser Krise mehr Finanzmarktregulationen als alle anderen Staaten.

Warum braucht der Kapitalismus noch den Staat?

Ohne das Rechtssystem, Eigentums- und Vertragsrechte wären gar keine Kapitalbewegungen möglich. Die Finanzmärkte wollen einen starken Staat, der in einer Krise als Kreditgeber in letzter Instanz fungieren kann. Der ganze Gegensatz zwischen dem Markt und dem Staat, der in den letzten Jahren von den Linken aufgemacht wurde, ist eine Illusion.

Nicht alle Staaten können diese Aufgaben erfüllen.

Genau das ist es, was den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank an manchen Ländern der so genannten Dritten Welt stört. Deswegen nennen sie solche Länder »gescheiterte Staaten«. Staaten sind kapitalistische Einrichtungen, deren Aufgaben es sind, die Ausdehnung des globalen Kapitalismus und der Finanzmärkte zu erleichtern und die Krisen einzudämmen. Das sind nicht unsere Staaten.

Der Staat also als ideeller Gesamtkapitalist?

Ja. Aber es gibt keinen Philosophenkönig, der immer weiß was zu tun ist. (lacht) Deswegen stolpern sie immer und versuchen eine Antwort auf den irrationalen globalen Kapitalismus zu finden. Bei den ganzen Widersprüchen die in der chaotischen Welt der globalen Märkte existieren, ist es schwer, das allgemeine Interesse des Kapitals ausfindig zu machen.

Ist das der Grund, warum Europa so stark von der Krise getroffen wurde, obwohl sie ihren Ausgangspunkt in den USA hatte?

Nein. Die USA sind nicht froh über die Krise in Europa. Sie wissen, dass die Krise sehr gefährlich ist. Die amerikanische und die europäischen Volkswirtschaften sind sehr eng miteinander verwoben, vor allem im Finanzbereich.

Aber es gibt eine Differenz in der politischen Architektur.

Das ist offensichtlich. Die Eurozone ist ein Zusammenschluss souveräner Staaten mit einer gemeinsamen Zentralbank und einzelnen nationalen Notenbanken. Es gibt keine gemeinsame Fiskalpolitik und das wichtigste ist, dass die einzelnen Staaten ihre eigenen Anleihen herausgeben können.

Warum ist das ein Problem?

Wenn Deutschlands Wirtschaft boomt und Griechenlands am Boden liegt, dann kommt es zu einer enormen Differenz in der Höhe der Zinsen für die Staatsanleihen. Dann bekommt das eine Land billiges Geld, während das andere es viel schwerer hat, sich zu finanzieren.

Ist Deutschland schuld an dem Ausmaß der Eurokrise?

Ja. Vor allem die Bundesbank kann man dafür in die Verantwortung ziehen. Sie hat sich immer widersetzt, in die Finanzkrise einzugreifen. Seit Ausbruch der Krise haben die USA immer wieder darauf gedrängt, dass sie auch Verantwortung für die Situation im europäischen Ausland übernimmt.

Die US-Notenbank Fed war da nicht so zurückhaltend?

Die Fed hat es spätestens seit den 1970er Jahren als ihre Aufgabe angesehen, ökonomische Krisen einzudämmen. Das bedeutet, auch ausländische Banken zu retten.

Ist die USA jetzt wieder raus aus der Krise?

Sicherlich nicht. Es gibt die Möglichkeit einer zweiten Verschärfung der Krise. Auf jeden Fall ist die Arbeitslosigkeit noch sehr hoch, und es gibt keinerlei Anzeichen für eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft.

Aber die Vereinigten Staaten haben ihren Einfluss erweitern können?

Nein. Es gibt eine Tendenz, zu denken, dass dem amerikanischen Imperium vor allem daran gelegen ist, seine wirtschaftlichen Interessen mit Hilfe der Außenpolitik gegenüber dem Rest der Welt durchzusetzen. Das ist falsch.

Was verstehen Sie dann unter dem amerikanischen Imperium?

Die Form von Imperium, die wir jetzt haben, ist wie damals eine territorial ausgeweitete Herrschaft. Aber nicht mehr durch die direkte Kontrolle von Kolonien, sondern indem man Verantwortung für andere souveräne Staaten übernimmt.

Die USA führen aber auch Kriege.

Der Grund warum die USA den Irak angegriffen haben, ist, dass sie Sadam Hussein nicht kontrollieren konnten. Sie wollten aber sein Öl nicht für sich selber haben, sondern sicherstellen, dass es weiterhin nach Europa und Japan fließt.

Ist dann das Ziel des amerikanischen Imperiums, das Sie ein informelles Imperium nennen, die amerikanische Wirtschaftsweise zu exportieren?

Ja. Aber es ist keine Einbahnstraße. Als Daimler Chrysler kaufte, war das kein Ausdruck eines deutschen Imperialismus in den Vereinigten Staaten. Es zeigte, wie eng das deutsche und das US-amerikanische Kapital miteinander vernetzt sind.

Was halten Sie von Prophezeiungen, dass China bald die USA als Weltmacht ablösen könnte?

Die Menschen, die das sagen, vergessen, wie abhängig China von den USA und Europa ist. China braucht ihre Märkte und ihr Kapital.

Also ist das eingetreten, was der marxistische Theoretiker Karl Kautsky vor 100 Jahren mit seinem Hyperimperialismus prophezeit hat: dass der Kapitalismus zu Frieden zwischen den kapitalistischen Staaten führt?

In gewisser Hinsicht hatte er Recht. Nur gibt es keine nationalen Bourgeoisien mehr, die hauptsächlich darauf aus sind, in den Einflusssphären ihrer eigenen Volkswirtschaften zu akkumulieren. Sie wollen heute überall akkumulieren. Und das ist der Fehler der heutigen Sozialdemokraten. Sie haben deswegen keine nationale Bourgeoisie mehr, mit der sie sich verbünden könnten.

Könnte man mit keynesianischen Maßnahmen, also der Ausweitung von Staatsausgaben, noch der heutigen Krise Herr werden?

Da bin ich mir nicht sicher. Die Fed legte im Jahr 2009 das größte volkswirtschaftliche Programm auf, das es in der Geschichte der USA je gegeben hat. Das Einzige was es gebracht hat, war, dass die Krise sich nicht weiter verschärft hat. Was benötigt wird, sind gewaltige Infrastrukturmaßnahmen, die Arbeit schaffen. Wie der New Deal in den 1930er Jahren.

Wäre der sozial-ökologische Umbau, wie ihn die LINKE mit ihrem »Plan B« fordert, eine solche Maßnahme?

Ja. Das wäre fantastisch. Aber es ist schwer sich das vorstellen zu können, ohne dass dafür die Deutsche Bank verstaatlicht werden müsste. Was man für solche Vorhaben braucht, ist ein Plan davon, wie man das finanziert, ohne die Staatsschulden in die Höhe schnellen zu lassen.

Gibt es eine Möglichkeit?

Ja. Man könnte halbstaatliche Institutionen gründen, die Anleihen ausgeben. Dadurch würden die Schulden nicht den Staatshaushalt belasten. Die Banken und Pensionsfonds wären auch sehr froh, in diese Anleihen investieren zu können. Finanzpolitische Engstirnigkeit wird das aber verhindern. Dabei wäre es noch nicht mal eine sozialistische Lösung.

Was wäre eine sozialistische Lösung?

Eine sozialistische Lösung würde bedeuten, das Bankensystem zu vergesellschaften.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Januar 2013


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