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"Piraten des 21. Jahrhunderts"

Globaler Freihandel als neokoloniales Kriegssystem

Von Maria Mies

Die Wochenzeitung Freitag veröffentlichte unter dem Titel "Die neuen Kolonien des Westens" am 17. Mai 2002 Auszüge aus einer Analyse der Kölner Professorin Maria Mies, die auch eines der Eröffnungsreferate beim 7. Friedensratschlag in Kassel (Dezember 2000) gehalten hatte. Die vollständige Fassung des Texts mit Nachweisen ist unter www.come.to/netzwerk-gegen-den-neoliberalismus.de abrufbar. Wir folgen im folgenden der gekürzten Fassung.


Dass die Verleihung des Friedensnobelpreises an eine Internationale Ärzte-Initiative, die sich für Abrüstung und Frieden einsetzt, einmal Bonner Politiker beim norwegischen Nobelpreis-Komitee intervenieren ließ und eine beispiellose Rufmord-Kampagne auslöste, ist heute kaum mehr vorstellbar. 1985 jedoch, inmitten der Auseinandersetzungen um die Kernenergie und die atomare Aufrüstung in Mitteleuropa und drei Jahre nach Gründung der deutschen Sektion der "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW), protestierte die CDU gegen die Entscheidung der Jury, und die Regierung ließ die Friedensinitiative jahrelang vom Verfassungsschutz beobachten. Unter neuen politischen Vorzeichen feierte vergangene Woche die deutsche IPPNW in Berlin ihr zwanzigjähriges Bestehen. War nach 1982 der Ost-West-Konflikt handlungsleitend für die Friedensarbeit der Ärzte-Organisation gewesen, ist es heute der weltweite Kampf um Ressourcen, der Krieg, Armut und Umweltzerstörung hervortreibt und der sich nach den Ereignissen des 11. September noch verschärft hat. "Die Gefahr eines Krieges mit Nuklearwaffen", heißt es in der "Berliner Erklärung" der IPPNW, "ist präsenter denn je", doch er richte sich, "statt gegen eine Supermacht, gegen feindliche Staaten oder gar gegen islamistische Kämpfer". Gleichzeitig habe der 11. September gezeigt, wie angreifbar die technisierte Zivilisation - nicht zuletzt durch Angriffe auf AKWs - sei. Anlässlich des Jubiläums dokumentieren wir eine stark gekürzte Fassung eines Vortrags, den die Kölner Entwicklungssoziologin Maria Mies im Rahmen der Mitgliederversammlung hielt.

Die Theoretiker des neoliberalen Freihandels behaupten, dass durch "freien" Welthandel, das heißt Handel, der nicht von den Regierungen reguliert wird, ein "ebenes Spielfeld" geschaffen würde, auf dem alle Spieler, große und kleine, friedlich miteinander konkurrieren könnten und dass so der größte Wohlstand für alle entstehen würde. Kriege, wie wir sie von früher kannten, würden der Vergangenheit angehören.

Drei Mythen: Globaler Freihandel und Frieden ...

Wenn wir jedoch einen kurzen Blick auf die Geschichte des globalen "Freihandels" werfen und uns außerdem die Ergebnisse der neuen neoliberalen Freihandelspolitik in den letzten 15 Jahren ansehen, werden wir schnell eines Besseren belehrt. Karl Polanyi hat schon 1944 nachgewiesen, dass der internationale "freie Markt" sich nicht "natürlich" aus dem freien Tauschhandel entwickelt hat, wie die Neoliberalen ständig behaupten, sondern dass er im 18. und 19. Jahrhundert mit Gewalt vom englischen Kolonialstaat künstlich geschaffen wurde. Nach Polanyi hatte der Außenhandel ursprünglich mehr den Charakter von Piraterie, Raub und kriegerischer Eroberung als von friedlichem Tausch.

Noam Chomsky weist in seinem Buch über den Zusammenhang von Wirtschaft und Gewalt sehr ausführlich nach, dass die "Vormachtstellung Europas in der Welt" ganz wesentlich auf dem Einsatz kriegerischer Gewalt beruht und nicht auf irgendwelchen sozialen, moralischen oder natürlichen Vorzügen. Das erste globale Handelssystem der Welt entstand im Zusammenhang portugiesischer und später holländischer und britischer kolonialer Eroberungen. Im Unterschied zu den Portugiesen setzten die Holländer und die Engländer die Gewalt "eher auf selektive, ja rationale Weise ein. Sie wurde ausschließlich im und für den Handel eingesetzt". Viele, auch Marx waren der Meinung, diese bluttriefenden Zeiten seien nur Teil der "Geburtsstunde" des Kapitalismus, der "unter Blut und Tränen" zur Welt gekommen sei. Marx war der Auffassung, diese Periode der "ursprünglichen Akkumulation" würde von der eigentlich kapitalistischen Akkumulation, der erweiterten Reproduktion des Kapitals abgelöst. Christel Neusüß fragte mit Recht, wieso denn eine "Geburtsstunde" so lange dauern könne. Über 200 Jahre nach der Eroberung Indiens stellen wir fest, dass auch noch nach der politischen Entkolonialisierung in den Ländern des Südens immer noch Zustände und Methoden der "ursprünglichen Akkumulation" herrschen. Wir reden daher von "fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation". Immer noch sind Gewalt, Eroberung, Krieg und Vertreibung die effizientesten Mittel der Kapital-Akkumulation.

... Freihandel auf "ebenem Spielfeld"

Eine ähnliche Freihandelslüge ist die von der Schaffung eines "ebenen Spielfelds" zwischen einzelnen "Spielern". Heute gibt es genügend empirische Befunde, die nachweisen, dass die Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen "armen" und "reichen" Ländern nie größer war als in der Periode nach 1990, in der der Neoliberalismus seine weltweite Hegemonie errichtet und konsolidiert hat - durch Abkommen wie die der EU, NAFTA, APEC und vor allem der WTO. Das wird inzwischen nicht nur von der UNO in ihren Entwicklungsberichten zugegeben, sondern von der Weltbank selbst und sogar von Präsident Clinton beim letzten World Economic Forum-Treffen. Tatsache ist, dass der Freihandel immer mehr Verlierer produziert, die einer Minorität von globalen Gewinnern gegenüberstehen und dass die Kluft zwischen beiden immer größer wird: 52 der 100 größten Ökonomien der Welt sind Konzerne, nur 48 sind Länder, und der Reichtum der drei reichsten Männer der Welt, alle aus den USA, ist größer als der von 50 Prozent der ärmsten Länder. Die UNCTAD schreibt in ihrem Entwicklungsbericht von 1997, dass 1965 das persönliche Einkommen in den reichen G7-Ländern 20mal größer war als das in den sieben ärmsten Ländern. 1995 war diese Kluft 39mal größer. Die UNCTAD macht die Liberalisierungspolitik für die wachsende Ungleichheit verantwortlich.

Die Verlierer befinden sich aber nicht nur in den Entwicklungsländern. Seit Ende der achtziger Jahre ist die Armut auch in die reichsten Länder zurückgekehrt, nach England, in die USA und auch nach Deutschland, wie eine Studie des Caritas-Verbandes 1999 nachwies. Auch hier ist die Kluft zwischen den Reichsten und Ärmsten größer geworden.

Für die USA weist eine Studie des Institute of Policy Studies nach, "dass die Top-Manager amerikanischer Konzerne heute im Durchschnitt 419mal mehr verdienen als einfache Arbeiter. Nach Kevin Phillips erhöhten die oberen zehn Prozent der Amerikaner in den achtziger Jahren ihr Einkommen um 16 Prozent. Bei den ärmeren Schichten war es umgekehrt. Je weiter unten auf der sozialen Leiter, um so größer die Einkommenseinbußen. Die zehn Prozent am unteren Ende verloren im selben Zeitraum 15 Prozent ihrer ohnehin dürftigen Einkommen. 1977 war das Einkommen des obersten ein Prozent der Bevölkerung 65mal größer als das der ärmsten zehn Prozent. 1987 war das oberste ein Prozent 115mal reicher.

... Freihandel und Entwicklungsförderung

Die beschriebenen Ungleichheiten und die allgemeine Wirtschaftskonkurrenz führen nicht nur irgendwann auch zu sozialen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Heute können wir viel direkter den Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik und neu aufbrechenden Kriegen beobachten, wenn wir uns die Folgen der Politik der Weltbank, des IWF und der WTO ansehen. Diese drei sogenannten Bretton Woods Institutionen wurden im September in Prag die "Unheilige Trinität" oder auch die "Mörder-Trinität" genannt. Sie sind es, die seit Jahren die neoliberale Freihandelspolitik im Interesse der großen Konzerne und Banken schützen, verbreiten und konsolidieren. Die Folgen ihrer Politik waren zuerst in Afrika und Asien zu spüren, dann aber auch in den Ländern des ehemaligen Ostblocks.

Bei dem Treffen von Weltbank und IWF im September 2000 in Prag verteilte die Gruppe Globalization Challenge Initiative einen Bericht über die Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme (SAP) auf Tansania. Nach diesem Bericht ist die Kindersterblichkeit auf 85 pro 1.000 Kinder gestiegen. Während 1980 noch 80 Prozent der Kinder die Grundschule besuchten, sind es jetzt nur noch 50 Prozent. Die Regierung gibt das Vierfache dessen, was sie für Grundschulen ausgibt, für den Schuldendienst aus. Das Prokopfeinkommen war in den 70er Jahren 309 Dollar. Seit Einführung der SAPs im Jahre 1985 ist es auf 160 Dollar in den 90er Jahren gesunken. Die Lebenserwartung ist heute nur 48 Jahre. Ein großer Teil der Bevölkerung leidet an AIDS, aber die Regierung gibt nur ein Prozent ihres Budgets für die Gesundheit aus. Dass die "ökonomische Medizin" von Weltbank und IWF jedoch nicht nur zu diesen Folgen führt, sondern dass regelrechte Kriege das Resultat der "Armutsbekämpfungspolitik" sind, haben Silvia Federici und Michel Chossudovsky für verschiedene Länder Afrikas - zum Beispiel Mosambik - und Osteuropas nachgewiesen.

Die Zerstörung der sozialen und physischen Infrastruktur eines Landes, seiner Fähigkeit zu unabhängiger, ökonomischer Reproduktion ist nach Federici jedoch nicht nur ein Resultat von Bürgerkriegen, sondern kann auch "unblutig" direkt durch die SAPs erreicht werden. Die SAPs legen den kreditsuchenden Ländern Bedingungen auf, durch die sie ihre Wirtschaft dem freien Weltmarkt öffnen müssen. Diese sind unter anderem Förderung der Exportproduktion, Abwertung der Währung, Kürzung von Staatsausgaben im Sozialbereich (für Gesundheit, Schulen, Sozialhilfe, subventionierte Nahrung), Lohnkürzung, Entlassung von Staatsangestellten, Deregulierung von Arbeiterrechten, Abschaffen der Subventionen für Kleinbauern und Kleinbetriebe, Öffnung des Landes für Luxusimporte und Konsumgüter für die Mittelklasse (Autos, Fernseher, Videos und so weiter). Auch Waffen gelangen ungehindert in diese Länder. Frauen und Kinder sind die Hauptopfer der SAPs, durch die die Wirtschaft dieser Länder nach den Prinzipien des Freihandels "reformiert" werden soll. Solange solche Kriege in Asien oder Afrika stattfanden, konnten die Leute im Norden sie ignorieren oder sie als "Stammeskriege" bezeichnen. Doch dasselbe Muster, das Federici für Mosambik beschrieb, fand 1999 auch im NATO-Krieg im Kosovo Anwendung. Auch hier war die UCK, eine Rebellenorganisation, die die Bevölkerung terrorisierte, mit dem Ziel, ein unabhängiges Kosovo zu schaffen, systematisch von den USA und Europa unterstützt worden.

Michel Chossudovsky hat schon 1997 analysiert, wie die Freihandelspolitik der Weltbank und des IWF nicht nur viele Länder der "Dritten Welt" in den Ruin getrieben hat, sondern auch, dass der wirtschaftliche und politische Zerfall der jugoslawischen Republik ursächlich mit der makroökonomischen Umstrukturierung zusammenhängt, die der serbischen Regierung durch die Bretton Woods Institutionen und die ausländischen Gläubigerbanken aufgezwungen wurde. Das IWF-Abkommen von 1990 hatte schon ein Paket von SAPs enthalten, dessen "Bedingungen" das Ziel hatten, neoliberale Marktstrukturen in das sozialistische Jugoslawien einzuführen. Diese SAPs führten die Wirtschaft, die schon seit dem Tod Titos nicht mehr gut funktionierte, in den Kollaps.

In weniger als zwei Jahren, so Chossudovky, haben 1.137 Staatsfirmen Bankrott gemacht und mehr als 600.000 Arbeiter seien arbeitslos geworden, die meisten aus Serbien, Bosnien, Herzegowina, Mazedonien und Kosovo. Dieses Bankrott-Programm sei vom IWF gewollt gewesen, um die staatseigenen Firmen in Privatbesitz überführen zu können. Bei diesem Prozess, das ist bekannt, haben sich die alten Parteikader ordentlich selbst bedient. Doch dieser ökonomische Zusammenbruch führte zu Sezessionen - gefördert von Deutschland - angefangen bei Kroatien und Slowenien und schließlich zu den diversen Kriegen, die trotz des NATO-Krieges im Kosovo im letzten Jahr nicht aufgehört haben. Und diese Kriege wiederum machen die ganze Region ökonomisch und politisch abhängig von den NATO-Mächten, der EU und den USA.

Von der Lizenz zum Plündern zur Lizenz zum Töten

Es ist erschreckend, mit welcher Geschwindigkeit die sogenannte Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Krieges in neue Subventionen für die Rüstungsindustrie verwandelt wurde. Es ist kein Zufall, dass kurz nach Beginn des Kosovo-Krieges im April 1999, anlässlich des 50. Geburtstages der NATO, eine neue NATO-Doktrin verkündet wurde. Diese NATO-Strategie passt haargenau in die Erfordernisse des globalisierten Kapitals, das überall auf der Welt Krisensituationen wie die in Afrika oder in Jugoslawien hervorruft. Diese "Krisen" müssen dann durch "Krisen-Reaktions-Kräfte" gelöst werden. Das sind kleine, hochtechnisierte, professionelle, hochspezialisierte Einheiten der NATO, die überall auf der Welt flexibel eingesetzt werden können. Die NATO ist nach dieser neuen Strategie kein Verteidigungsbündnis mehr im alten Sinn. Die neuen Krisen-Reaktionskräfte - so der Jargon der Bundeswehr - haben die Aufgabe, die Interessen der NATO-Länder, sprich der großen Konzerne dieser Länder, überall auf der Welt zu verteidigen. 1998 haben Claudia von Werlhof und ich die Analysen über das geplante Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) unter dem Titel "Lizenz zum Plündern" veröffentlicht. Das - inzwischen gescheiterte - MAI war ganz eindeutig der Versuch, weltweit die ungebremste Freiheit für die global operierenden Konzerne durchzusetzen, und, um mit Percy N. Barnevik, dem Chef von Asea Brown Bovery (ABB) zu sprechen, zu investieren, wo und wie sie wollen, zu produzieren, was sie wollen, zu kaufen und zu verkaufen, was sie wollen und dabei möglichst keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen auf nationale Regierungen und deren Gesetze zum Schutz von Arbeits-, Sozial- und Umweltgesetzen. Was mich an der Propagierung dieser neuen NATO- und Bundeswehr-Doktrin am meisten entsetzt, ist nicht nur, dass kriegerische Gewalt nicht nur als solche wieder hoffähig geworden ist, sondern dass die Bundeswehr nun auch Frauen zu der kämpfenden Truppe zulässt und dass dies als Beitrag zu unserer Emanzipation gerechtfertigt wird. Das heißt, um gleichberechtigt zu sein, genügt es nicht, dass Frauen Leben schaffen und erhalten. Nein, erst wer töten darf, ist gleichberechtigt. Das ist patriarchale Logik seit 5.000 Jahren: Wer tötet, ist. Seit dem Kosovokrieg wird dieser Prozess der Ramboisierung der Gesellschaft als ein "Erwachsenwerden der deutschen Nation" gefeiert. Der Kosovokrieg war so eine Art Übergangsritus vom Knaben zum Mann. Wie oft habe ich gehört und gelesen: "Deutschland ist nun erwachsen". Das heißt, ein Mann ist ein Mann, wenn er Krieg führen, wenn er töten kann.

"Langanhaltender Krieg" gegen den Terrorismus

Präsident Bush hat die Kamikaze-Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 sofort eine Kriegserklärung gegen die USA, die westliche Zivilisation, die Freie Welt und den Freien Markt genannt. Osama bin Laden und seine Organisation al Qaida sowie die Taliban in Afghanistan wurden als Kriegsziel für die US-"Vergeltungsschläge" und einen "langanhaltenden Krieg gegen den Terrorismus" erklärt. Für die NATO-Verbündeten bedeutete Bushs Kriegserklärung den Bündnisfall. Wir leben also jetzt faktisch im Kriegszustand, und zwar in einem "langanhaltenden".

Abgesehen von den Ölvorkommen in der Region um das Kaspische Meer, die bereits beim Golfkrieg und im Kosovokrieg eine Rolle spielen, hat George Caffentzis darauf hingewiesen, dass dieser Krieg auch darum geführt wird, die ölreichen arabischen Länder, vor allem den Irak, unter amerikanische Kontrolle zu bekommen. Amerikanisches Militär ist bereits in Saudi-Arabien stationiert. Dem Kamikaze-Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon vorausgegangen ist ein Abkommen, das ausländischen Investoren in Saudi-Arabien ähnliche Freiheiten zugesteht, wie sie im MAI vorgesehen waren, unter anderem das Recht, Land auf arabischem Boden zu besitzen, ein Recht, an das bisher nie gedacht werden konnte. Ausländische Firmen können sich also jetzt als Landbesitzer in Saudi-Arabien niederlassen, ihr eigenes Personal mitbringen und Darlehen beanspruchen, die bislang den Saudis vorbehalten waren. Caffentzis schreibt: "Dieses Gesetz stellt in der Tat ein NAFTA-ähnliches Abkommen zwischen dem saudischen Monarchen und europäischen Ölgesellschaften dar."

Dies geschah nicht, wie in anderen Ländern, weil das Land verschuldet war, sondern weil die Regierung nicht länger dem Druck widerstehen konnte, den die Opposition im eigenen Land ausübte. Der König kalkuliert, dass er diesem Druck am besten standhalten könne, wenn er die Unterstützung der EU und Amerikas hätte. Nach Caffentzis kommt diese Opposition aus der eigenen Klasse, beruft sich auf den Islam und wehrt sich dagegen, dass ihr Land trotz Ölreichtum immer ärmer wird und dass es unter der Kontrolle amerikanischer Soldaten steht. Nach Caffentzis waren die Anschläge am 11. September der "Kollateralschaden", der im Kampf um die Ölpolitik auf der arabischen Halbinsel entstand. Neben solchen eher kurzfristigen Interessen des globalisierten Kapitals geht es bei diesem Krieg in Afghanistan jedoch auch um längerfristige ökonomische und geostrategische Überlegungen. Es geht um nichts weniger als um eine Re-Kolonisierung der Welt, zunächst dieser ganzen Region: Afghanistan, Turkestan, Dagestan, Usbekistan, Pakistan und vielleicht sogar Indien. Wie Silvia Federici für Afrika festgestellt hat, bedeutet Re-Kolonisierung, dass die unabhängige Reproduktions- und Subsistenzfähigkeit dieser Länder zerstört wird, dass sie abhängig werden von westlichen Hilfslieferungen, dass sie erpressbar werden, was ihre Wirtschaft und ihre Politik betrifft und dass sie gezwungen sein werden, alle Reichtümer ihrer Länder, einschließlich ihrer Menschen, dem internationalen Warenhandel zu unterwerfen. Wenn dies nicht schon durch die neoliberalen Abkommen durchgesetzt werden konnte, dann müssen sie dazu gezwungen werden, dann wird dieser Krieg dafür sorgen, dass sie es tun müssen.

Im Wallstreet Journal vom 9. Oktober 2001 erschien ein Artikel des britischen Historikers Paul Johnson unter dem Titel "Die Antwort auf den Terrorismus? Kolonialismus!" Johnson schreibt: "Amerika hat keine andere Wahl, als Krieg gegen die Länder zu führen, die gewohnheitsmäßig Terroristen unterstützen. Präsident Bush warnte, dass der Krieg lange dauern könne, aber er hat vielleicht noch nicht verstanden, dass Amerika auch langfristige politische Verpflichtungen akzeptieren muss. Denn die wohl passendste historische Parallele - der Krieg gegen das Piratentum im 19. Jahrhundert - war ein wichtiges Element für die Ausdehnung des Kolonialismus. Vielleicht zeichnet sich eine neue Art Kolonie, der vom Westen verwaltete ehemalige Terroristenstaat, am Horizont ab."

Quelle: www.come.to/netzwerk-gegen-den-neoliberalismus.de; Freiutag 21, 17. Mai 2002


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