Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Boykott, Lobbyismus und Räucherlachs

IWF-Gipfel: Der Balanceakt der Weltbankkritiker in Singapur

Von Michael Lenz, Singapur *

Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank stehen seit geraumer Zeit unter Reformdruck. Daran Anteil haben auch die Kritiker aus den Nichtregierungsorganisationen. In Singapur sind die Protestmöglichkeiten freilich begrenzt.

Mit dem Demonstrieren gegen die Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds ist es auf der Konferenz der beiden Institutionen in Singapur so eine Sache. Der südostasiatische Stadtstaat ist ziemlich strikt, wenn es um die Äußerungen von Meinungen in der Öffentlichkeit geht. So sind Protestaktionen nur im Saale und dort nur auf einer klar begrenzten, rund 50 Quadratmeter großen, Fläche erlaubt. Und das auch nur zwischen neun Uhr vormittags und 18 Uhr abends. Danach verkündet ein hübsches Schild: »Der Demonstrationsplatz ist geschlossen«.

50 Quadratmeter für Proteste

Die Demo-Spielwiese wird von den angereisten Nichtregierungsorganisationen (NRO), die in der Weltbanksprache »Civil Society Organizations« (CSO) heißen, fleißig genutzt. Es gibt genug, womit sie nicht einverstanden sind. Zunächst sorgte das Einreiseverbot für 28 NRO-Vertreter durch die Regierung Singapurs für Zündstoff. Selbst die Weltbank und der IWF übten harsche Kritik an der Haltung Singapurs, die Weltbankpräsident Paul Wolfowitz »autoritär« nannte. Immerhin hatten Weltbank und IWF den 28 Ausgeschlossenen ihrerseits das OK erteilt und Akkreditierungen ausgestellt.

Über 500 Vertreter von NRO sind zur Herbsttagung der beiden globalen Finanzinstitutionen akkreditiert, mehr als je zuvor, wie Weltbank, IWF und Singapur nicht müde werden zu betonen. Im Zentrum aber stehen die 28, die nicht dabei sein durften (Singapur hat inzwischen für 22 das Einreiseverbot aufgehoben). Die NRO tun sich schwer mit einer klaren Haltung zu dem Einreiseverbot. Offiziell haben die meisten der NRO ihren »Boykott« der Konferenz von Weltbank und IWF verkündet. Alle gemeinsamen Veranstaltungen mit Weltbank und IWF wurden abgesagt. Auch ein Boykott der zahlreichen Empfänge stand auf der Tagesordnung. Zumindest solange, bis die NRO-Leute herausfanden, dass ein Bier in Singapurs Hotels und Bars ab umgerechnet 5 Euro aufwärts kostet. »Vielleicht sollten wir doch zu den Empfängen gehen«, sagt ein Schweizer Wortführer des Boykotts.

Boykott hin – Boykott her, abgereist aus Protest ist keiner der NRO-Delegierten. Eine Weltbanksprecherin grinst: »Sie nutzen gerne unsere Einrichtungen.« Kein Wunder: Im Konferenzzentrum gibt es kostenlos kabelloses Internet, im NRO-Zentrum gibt es Kaffee und Tee gratis, dazu werden den lieben langen Tag feinste Backwaren, Räucherlachs, Roastbeef und asiatische Leckereien serviert. Davon lasse man sich nicht »bestechen«, betonen NRO-Leute entrüstet. Vielmehr gehe es darum, die Gelegenheit zu nutzen, mit den Vertretern von IWF, Weltbank, Regierungen und Banken direkt ins Gespräch zu kommen.

Nicht nur in Sachen Boykottpraxis sind sich die NRO untereinander uneins. In Singapur wird ein Nord-Süd-Konflikt der Weltbankkritiker deutlich. Der »Boykott« ist von NRO aus dem Westen organisiert und bestimmt. Organisationen aus Asien oder Afrika sind darüber nicht wirklich glücklich. Obwohl nicht minder kritisch – sind sie doch im Guten wie im Schlechten die direkt Betroffenen von Weltbank- und IWF-Entscheidungen – steht für sie das Gespräch, der Dialog mit Weltbank und IWF im Vordergrund. Hoffen die Community-Gruppen aus Kambodscha, Indien oder Nigeria doch, mit konkreten Ergebnissen in ihre Heimatländer zurückreisen zu können – Ergebnisse, die direkte Auswirkungen auf ihr Leben und das Leben ihrer Landsleute haben.

Dann ist da noch Batam. Auf der indonesischen Insel vor der Küste Singapurs tagt die Gegenkonferenz, die die Globalisierungsgegner nicht in Singapur abhalten konnten. Von der Batam-Konferenz ist in Singapur nicht viel zu hören. Der Austausch zwischen den »offiziellen« NRO auf der Konferenz in Singapur und denen auf Batam ist eher mager und beschränkt sich auf gemeinsame Erklärungen gegen die Ausgrenzung der 28 Aktivisten. Die Musik spielt eben in Singapur. Wer was erreichen will, sucht das Gespräch mit Weltbank und IWF.

Stimmrechtsreform ohne Substanz

Im Zentrum der inhaltlichen Kritik steht neben Themen wie der Energiepolitik die Reform des IWF. Mit der Reform erhalten China, Südkorea, Mexiko und die Türkei mehr Mitspracherechte. Ihre Quoten, oder Kapitaleinlagen, wurden erhöht, was ihren Stimmenanteil um 1,8 Prozentpunkte ausbaut. Der deutsche Stimmanteil sank dadurch um 0,1 Prozentpunkte auf knapp unter sechs Prozent. Mit Abstand größter Anteilseigner bleiben die USA mit rund 17 Prozent.

Somit haben nach wie vor die reichsten Länder das meiste Sagen. »Trotz der Mehrheit für eine ad hoc Stimmrechtserhöhung von vier Ländern ist eine wirkliche Demokratisierung noch in weiter Ferne. Anstelle kosmetischer Korrekturen müssten Entwicklungsländer durch die Einführung von doppelten Mehrheiten wesentlich mehr Gewicht in den Institutionen erhalten«, kritisiert Daniela Setton, Sprecherin der deutschen NRO WEED. In vielen Fragen sind sich NRO einerseits und Weltbank und IWF andererseits aber auch schon näher gekommen. So schreiben es sich die NRO als Erfolg jahrzehntelanger Lobbyarbeit auf ihre Fahnen, dass die Weltbank in Singapur ein Rahmenprogramm zum Kampf gegen Korruption gestern verabschiedet hat.

Danach sollen sämtliche Kreditprogramme und Projekte der Weltbank künftig noch stärkere Komponenten zur Überwachung der Geldflüsse enthalten. Projekte können auch eingestellt oder verzögert werden, wenn die Regierung des Landes das Versickern von Geldern nicht entschlossen genug stoppt. »Das bedeutet nicht, dass Programme mit neuen Auflagen versehen werden«, versicherte Weltbankpräsident Paul Wolfowitz. Gerade das aber wird von nicht wenigen befürchtet. Neben afrikanischen Ländern äußerte auch Großbritannien Sorge, dass Projekte durch neue Bedingungen verzögert werden könnten. »Die Strategie der Bank geht nach hinten los, wenn sie benutzt wird, um Kredite zu verweigern oder Privatisierungen zu fordern«, warnte die Entwicklungsorganisation Oxfam.

Traurig zu sehen war es, dass die NRO nicht in der Lage waren, vor lauter Lobbyismus zu ihren globalen Themen Solidarität mit Bürgerrechtsaktivisten in Singapur zu zeigen. Kaum jemand von den NRO war gekommen, als der Oppositionspolitiker Chee Soon Juan und fünf Gefolgsleute von der Polizei an einem Protestmarsch für Rede- und Versammlungsfreiheit gehindert wurden.

* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2006


Zurück zur Seite "Globalisierung"

Zurück zur Homepage