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Krieg gegen den Terror oder Kriege ums Erdöl?

Das neue Sonderheft des isw-institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung münchen e.V.

Im Januar 2002 erschien als isw-spezial-Nr. 15 ein bemerkenswerter Beitrag zum Kampf gegen den Terrorismus:
Fred Schmidt/Conrad Schuhler, Krieg ums Erdöl - Zwischen Kaspischem Meer und Nahem Osten entscheidet sich die Zukunft des globalen Imperialismus, hrsg. vom institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V. (Schutzbegühr 6,-DM/3,-EUR)
Wir dokumentieren im Folgenden ein paar Auszüge.



Die EU und das Kaspische Meer

... Mit der jetzigen Wichtelparade einer EU-Streitmacht lässt sich noch nicht viel Staat machen. Aber in dem Maße, wie eine "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der EU Gestalt annimmt, wird die EU auch mit größerem Nachdruck und Gewicht einen (Mit-)Führungsanspruch auch in der Kaukasus-Kaspi-Region anmelden. Erst dann werden auch die "Differenzen mit Europas Hauptverbündeten, wie sie Rahr ungeschminkt auflistet, politikrelevant: "Europa stimmt mit den Vereinigten Staaten nicht überein in be-zug auf die Eindämmung des Iran ... Sie sehen den Iran vielmehr als einen künftigen Schlüsselpartner für kommerzielle Vorhaben in der kaspischen Region". Weiterhin "legen die Europäer mehr Wert als die Amerikaner darauf, Russland eine wichtige Rolle in dem Rohrleitungsnetz um das Kaspische Becken zuzugestehen sowie russischen Erdöl-Unternehmen eine größere Präsenz in den Konsortien, die in der Region tätig sind, zu verschaffen". Drittens: "Im Unterschied zu den USA möchten die EU-Staaten, dass Russland seine Rolle bei der Friedenssicherung in diesem Raum stärkt" und viertens: "Die EU teilt auch nicht die amerikanische Faszination für die Türkei als Haupttanker für Zentralasien und im Kaukasus". In diesem Zusammenhang unterstützt die EU "nicht die amerikanische Vision von der Türkei als Haupttransportland für Öl und Gas auf westliche Märkte. ... Der Testfall ist die Ölpipeline von Baku nach Ceyhan, die von der US-Regierung nachdrücklich unterstützt wird. Die EU verfolgt einen breiteren Ansatz in der Pipeline-Diplomatie". Schließlich befürchten die Europäer, "dass eine dominierende US-Politik in der Region langfristig genau die Art von Wettstreit um das Machtgleichgewicht nach dem Muster des "Great Game" hervorrufen könnte, wie ihn die trilateralen Länder verhindern wollen" (Rahr/Watanabe, Der Kaspische Raum vor den Her-ausforderungen der Globalisierung - Bericht an die Trilaterale Kommission, Opladen 01, S. 92f).
(S. 18)


Deutschland und die Neuordnung Eurasiens

... Mit dem "langanhaltenden Feldzug" ordnet Washington die Figuren auf dem "eurasischen Schachbrett" neu. Das weiß auch Kanzler Schröder. Er möchte bei diesem "unendlichen" Kriegsspiel wenigstens die Rolle eines (Mit-)Läufers erhalten. Deshalb die "uneingeschränkte Solidarität", die Schröder den USA roboterhaft immer wieder versicherte. Man möchte bei der Verteidigung "unserer Zivilisation", der "westlichen Wertegemeinschaft" mit dabei sein, um im Rahmen eines globalen "Law-and-Order"-Systems einen "Platz an der Sonne" zu ergattern. Der Schlüsselbegriff für die angestrebte neue Welt-Rolle lautet "Verantwortung übernehmen". Schröder: Deutschland müsse seiner "neuen Verantwortung umfassend gerecht werden". Mit dem "Verantwortungs"-Fusel und -gefasel wird der Bevölkerung das Gehirn vernebelt, um sie auf eine globale Machtprojektion des deutschen Imperialismus einzustimmen. "Verantwortungsethik als Passierschein zur Macht" (SZ), als Transformator, mit dem behäbige ökonomische Macht in zupackende militärische Gewalt umgewandelt werden soll. Schröder und Fischer können es kaum erwarten, bis der Ruf erfolgt: "The Germans to the Front". Wie "sauer Bier" dienen sie den USA militärisches Gerät und Menschenmaterial an. Doch diese lassen sich Zeit, stecken in Zentralasien offensichtlich erst mal ihre Claims ab. Kommen auf die Dauer jedoch nicht um ihre deutschen und europäischen Hiwis herum. Bereits bei der Neuordnung des europäischen Balkans erkannte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und bis Mai 1999 Vorsitzende des NATO-Militärausschusses Viersterne-General Naumann die Chance: "Wir leben in einer Welt, die in Unordnung ist. Alle Bemühungen, nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Weltordnung zu schaffen, sind bisher gescheitert. ... Die USA verstehen zunehmend, dass sie alleine mit den Dingen dieser Welt nicht fertig werden. Sie brauchen verlässliche Partner. Und das sind letztlich die Europäer." (Stern-Interview, 31.3.99). Der US-Berichterstatter an die Trilaterale Kommission und frühere Referatsleiter im Pentagon (für Russland, Ukraine, Eurasien) Sherman W. Garnett bestätigt: "Selbst die weitsichtigste amerikanische Politik in der Region kann aber ohne verstärkte Zusammenarbeit mit anderen interessierten Parteien vor allem den trilateralen Partnerländern und Institutionen, nicht durchgehalten werden." (Garnett/Rahr/Watanabe, a.a.O., S. 64). Darin sieht Schröder seine Chance, um als (Junior-)"Partner in leadership" im Rahmen einer imperialistischen Gesamtstrategie auch "deutsche Interessen" bei der kriegerischen Neuordnung des "Eurasischen Balkans" verfolgen zu können."
(S. 24/25)


"Krieg gegen den Terror - Viele Kriege ums Erdöl (Thesen)

1) Der "Krieg gegen den Terror" ist die Strategie der militärischen Absicherung der kapitalistischen Globalisierung. In diesem Kontext dient er vor allem auch der militärischen Kontrolle der Förderung und Vermarktung des Erdöls. Nichts beweist dies schlagender als das von Bundesregierung und Bundestag beschlossene Einsatzgebiet der deutschen Interventionsarmee: "die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nordafrika sowie die angrenzenden Seegebiete". In dieser Re-gion, die vom Horn von Afrika bis China reicht, lagern mehr als dreiviertel aller Öl- und mehr als die Hälfte aller Erdgasvorräte der Welt.

2) Dieser Krieg weist eine militärische und eine politische Seite auf. US-Präsident George W. Bush: "Wir haben eine Lektion gelernt. Wir dürfen nicht einfach weggehen, nachdem wir das militärische Ziel erreicht haben." Die USA und in ihrem Schlepptau die UN streben in den militärisch niedergeworfenen Ländern ein "Nation-Building" an, was die Errichtung eines politischen Systems bedeutet, das mit dem Westen kooperiert.

3) In der Welt des Islams, wo 1,3 Milliarden Menschen leben und vier Fünftel der WeltölVorräte lagern, setzen die USA auf konservativ-reaktionäre Regimes, die mit ihnen zusammenarbeiten (so wie heute in Saudi-Arabien). Islamische Kräfte, die sich der Globalisierung made in USA widersetzen, werden als "fundamentalistisch" und "terroristisch" gebrandmarkt und militärisch bekämpft. Säkular-demokratische Bewegungen, ohnehin nur schwach vertreten, werden als potentiell "anti-amerikanisch" zurückgewiesen. Ein solches Konzept kann zu keinen stabilen politischen Strukturen verhelfen. Dies passt aber zum Kalkül der amerikanischen Position: In einer unruhigen politischen Lage muss die militärische Kontrolle allgegenwärtig sein.

4) Der "Krieg gegen den Terror" soll alle Staaten in das Korsett der globalen kapitalistischen Struktur zwingen. Präsident Bush: "Entweder ihr seid auf unserer Seite, oder ihr seid auf der Seite der Terroristen." Wer den Qualitätstest der USA nicht besteht, muss mit militärischer Intervention und Zerstörung rechnen.

5) Die Fortsetzung der Globalisierungspolitik mit kriegerischen Mitteln soll für eine lange Periode gelten. Präsident Bush: "Unser Krieg gegen den Terrorismus beginnt mit der Al-Qaida, aber er endet dort nicht. Er wird nicht aufhören, ehe sämtliche Terroristengruppen mit weltweiter Reichweite ... niedergerungen sind ... Nicht bloß eine Schlacht, sondern einen lang andauernden Feldzug, wie wir ihn bisher noch nie erlebt haben." Die Kriegserklärung des Deutschen Bundestags trägt dem Rechnung. Deutsche Waffen sollen überall im Einsatzgebiet zur Geltung kommen, wenn die betroffene Regierung zustimmt. Somalia, heißt es nun, habe gar keine Regierung. Für den Irak konstruieren die Geheimdienste der USA und Großbritanniens derzeit eine "Exil-Regierung", was sie natürlich auch für jedes andere Land nach Belieben tun können. Auch wenn zunächst für Somalia und Irak höchste Alarmbereitschaft herrscht, so schwebt doch über allen "unbotmäßigen" Staaten die ständige Gefahr eines kriegerischen Überfalls.

6) Statt des Prinzips der Kriegsverhütung gilt nun die Doktrin von Kriegsführung, Sieg und Umerziehung der Besiegten. Die Stärke des internationalen Rechts wurde vom Recht des Stärkeren abgelöst. Die einzig verbliebene Supermacht USA weigert sich zunehmend, internationalen Regelungen beizutreten oder alte anzuerkennen. ABM- und Kyoto-Vertrag erklärt sie für nicht mehr bindend. Neuen Regelungen wie Landminen-Vertrag, Abkommen über Biologische Waffen oder Internationaler Strafgerichtshof verweigert sie ihre Zustim-mung. Insbesondere den Internationalen Strafgerichtshof, der für eine international rechtmäßige und effektive Bekämpfung v.a. auch des Terrorismus unerlässlich ist, bekämpft sie mit aller Macht. Die USA wollen sich ihr globales Handeln nicht durch internationales Recht einschränken lassen.

7) Die Einführung des Militärischen als prägende Kategorie der globalen Politik sichert den USA ihre Stellung als Hegemon. In dieser "Währung" der Waffen kann kein anderer Staat mithalten. Da die USA außerdem die Solidarität ihrer Partner verlangen, aber selbst entscheiden, wann, wo und in welchem Umfang diese von ihnen abgerufen wird, zwingen sie alle Konkurrenten ins Glied.

8) Die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands hat dennoch nichts mit "Vasallen-Treue" zu tun. Im Gegenteil. Zum einen besorgen die USA mit ihren Interventionen und Erpressungen auch die Interessen des deutschen Kapitals. Im Mittleren Osten geht es nicht zuletzt um das von Deutschland dringend gebrauchte Erdöl, in Zentralasien um den vor allem von deutschen Firmen genutzten Erdgasmarkt. Darüber hinaus haben die Transnationalen Konzerne welchen nationalen Gerichtsorts auch immer ein gemeinsames globales Interesse. Innerhalb dieses Blocks gibt es aber durchaus nationalstaatliche Konkurrenz. Mit ihrem Interventionspotential wollen die Deutschen beweisen, dass auch sie in der neuen globalen Währung zahlen können. BRD-Außenminister Fischer: "Der 11. September hat zu einer Achsen-verschiebung geführt, und wir Europäer müssen darauf achten, nicht an den Rand gedrängt zu werden."

9) Im "Krieg gegen den Terror" kommt den Nationalstaaten wachsende Bedeutung zu. Aufstellung und Einsatz der Interventionsarmeen werden von den nationalstaatlichen Agenturen bewerkstelligt. Dies gilt ebenso für das "Nation-Building", auch wenn es letztlich von internationalen Organisationen durchgeführt werden sollte, die ihrerseits aus Nationalstaaten bestehen. Auch die innenpolitische Seite des "Kriegs gegen den Terror", die Front der "inneren Sicherheit", wird vom Staat realisiert. Die neoliberale Position, wonach Fortschritt sich im Rückzug des Staates messen lässt, musste im Bereich der Herrschaftssicherung aufgegeben werden. Insofern gibt es auch für den Widerstand gegen die kapitalistische Globalisierung neben den Transnationalen Konzernen und den interna-tionalen Organisationen wieder den klaren natio-nalstaatlichen Adressaten.
(S. 30-31)

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