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Renditejagd in armen Staaten

Entwicklungsländer sind längst im Visier von Großinvestoren

Von Thomas Nitz *

Die internationale Geldschwemme macht es möglich: Investoren entdecken nun auch bitterarme, aber rohstoffreiche Länder als Anlageziel.

Am besten kauft man dann, wenn das Blut noch auf den Straßen klebt, lautet ein Spruch in der Finanzwelt. Die Manager einiger privater Investmentfonds zeigen, wie das geht. Auf der Jagd nach immer höheren Gewinnen zieht es die Finanzjongleure in »Frontier States« – zumeist bettelarme, oft von bewaffneten Konflikten gebeutelte Staaten, die das Potenzial besitzen, langfristig zu Schwellenländern aufzusteigen. Auch die International Finance Corporation (IFC), eine Tochter der Weltbank, investiert hier eifrig. »Das nächste große Ding werden die Kapitalströme in ›Frontier States‹ sein«, sagt IFC-Chef Lars Thunell.

Der Bedarf dieser »Grenzstaaten« an Kapital aus dem Ausland ist riesig – wegen ihres gewaltigen Rückstands bei Technologie, Produktion und Konsum. Anlegern winken dort höhere Renditen als an den aufstrebenden Märkten der großen Schwellenländer Brasilien, Indien oder China, bei allerdings erheblich höherem Verlustrisiko.

Vor allem Afrika gilt derzeit bei Spekulanten als verlockend. Dort profitieren selbst Länder wie Sierra Leone vom Rohstoffhunger der Industrie- und Schwellenländer. Mark Mobius, Anlageguru bei der US-Investmentgesellschaft Franklin Templeton, rechnet mit einem deutlichen Aufwärtstrend bei den Rohstoffpreisen, weil die weltweite Nachfrage langfristig das Angebot übersteigen wird. Hinzu kommt eine junge, wachsende Bevölkerung in der Subsahara-Region, die besser ausgebildet den Ausbau der Produktion vorantreibt, meint Mobius. Langfristig werde Afrika nicht Abnehmer billiger Waren aus der industrialisierten Welt bleiben. Es lohne sich zunehmend für Unternehmen, in Afrika für den afrikanischen Markt zu produzieren.

Grenzmärkte gibt es auch in anderen Regionen. Weltweit werden rund 30 Staaten in diese Kategorie eingeordnet. In Lateinamerika gehören Bolivien, Peru und Kolumbien dazu, in Asien Vietnam, Pakistan, die Mongolei, Kasachstan und Usbekistan, im Nahen Osten Libanon, Jordanien, Irak oder das Westjordanland. Aber auch in Osteuropa werden Staaten wie Kroatien, die Ukraine und Rumänien als Grenzmärkte interessanter.

Insgesamt zeichnen sich die »Frontier States« durch eine niedrige Verschuldung und geringe Wechselwirkungen mit den großen Finanzmärkten der Industrie- und Schwellenländer aus. Aufgrund der geringen Börsenkapitalisierung und der niedrigen Liquidität können selbst kleinere Finanzbewegungen große Wirkungen haben. Anleger müssen also starke Kursschwankungen verkraften können. Es mangelt an Rechtssicherheit, an Transparenz und behördlichen Kontrollmechanismen. Und es gibt kaum unabhängige Informationen und Analysen.

Droht dort eine neue Spekulationsblase? Experten sind uneins. Aber einige Grenzstaaten schlagen bereits Alarm. Das neue Geld sorgt für einen Aufwertungstrend der Landeswährungen. Die Gefahr einer Überhitzung der kleinen Märkte wächst. Denn eines ist klar: Die neuen Investoren sind an hohen Erträgen für die Pensionssysteme der entwickelten Welt interessiert, nicht an der nachhaltigen Entwicklung eines Landes oder an fairen Arbeitsbedingungen vor Ort. Dabei ist Massenarmut dort das drängendste Problem. Mark Mobius: »Ich glaube nicht, dass ein Investor verantwortlich ist für Ethik, für die Verschmutzung oder das, was eine Firma verursacht, in die er investiert. Das ist nicht sein Job.«

Lexikon

Die International Finance Corporation (IFC) wurde 1956 von der Weltbank gegründet. Ihr Zweck ist die Armutsbekämpfung mittels Investitionen in Entwicklungsländern, die nichts vom großen Finanzkuchen abbekommen. Dabei vergibt die IFC selbst Darlehen oder beteiligt sich an Unternehmen. Und sie mobilisiert private Investitionen. Die IFC hat 182 Mitgliedsländer. Im abgelaufenen Fiskaljahr investierte sie insgesamt 18 Milliarden Dollar in 528 Projekte in 103 Ländern. ND



* Aus: Neues Deutschland, 13. November 2010


Kleine G20-Würfe

Von Kurt Stenger **

Wenn man nach nunmehr fünf G20-Gipfeln seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise ein Fazit zieht, fällt das Ergebnis einigermaßen ernüchternd aus: Nach über zwei Jahren hat man gerade mal höhere Risikopuffer für Banken beschlossen, die 2019 verbindlich werden. Die umfassende Regulierung spekulativer Produkte, Märkte und Finanzfirmen – so der ursprüngliche Anspruch – besteht aus einem umfangreichen Wunschkatalog. Und die Idee einer globalen Finanztransaktionssteuer ist unter den Staats- und Regierungschefs ganz in Vergessenheit geraten.

Während die Finanzmarktregulierung einer im Schneckentempo vorankommenden Großbaustelle gleicht, gibt es derweil schon erste Vorbereitungen auf das nächste Megaprojekt. Der kleine Mann Nicolas Sarkozy, der gerne ganz große Worte wählt, will als nächster G20-Gipfel-Gastgeber eine Reform der internationalen Währungsarchitektur in Angriff nehmen. Auch davon sollte man sich keine wirklich großen Würfe erwarten: Viel gewonnen wäre schon, wenn sich die großen Wirtschaftsmächte künftig besser absprechen und die riesigen Ungleichgewichte als Problem ansehen würden.

Gewiss: Die Dominanz der großen Industriestaaten mit ihren elitären G7-Runden ist gebrochen. Die Gruppe der 20 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer repräsentiert zwei Drittel der Weltbevölkerung, rund 90 Prozent der globalen Wirtschaftskraft und vier Fünftel des weltweiten Handels. Doch bei ihren Gipfeln geht es nur um die kurzfristigen Interessen einzelner Mitgliedsregierungen. Die großen Menschheitsfragen – Armut und Klimawandel – kommen nur am Rande vor.

* Aus: Neues Deutschland, 13. November 2010 (Kommentar)


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Zum Thema "Armut, Hunger, Massenelend"

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